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Geschlecht ist, was man sieht

Mit dem Spielfilm „Mein Sohn Helen” wagt sich die ARD an das Thema Transgender. Der Film ist didaktisch und übervorsichtig – und trotzdem eine Errungenschaft. von Sarah Schaschek

Ging als Finn ins Austauschjahr in die USA, kam als Helen zurück: Helen.   |  © ARD Degeto/Britta Krehl

Natürlich hätte Tobias etwas ahnen müssen. Da wird der eigene Sohn zur Tochter, während er von Vater-Sohn-Sachen geträumt hat: Motorradtour durch Europa, Paddeln auf dem Amazonas. Dass er so blind für die Sorgen seines Kindes war, kann Tobias sich nun schwer verzeihen. Die Tochter bleibt geduldig: „Du kannst doch auch mit mir als Mädchen Kanu fahren.”   

Transgender im Öffentlich-Rechtlichen: Mit dem Film Mein Sohn Helen (Regie: Gregor Schnitzler) nimmt sich die ARD eines Stoffes an, der bislang selten im Unterhaltungsprogramm vorkam. Filme über Transgender, also Menschen, die sich im falschen Körper fühlen, beschränkten sich in Deutschland auf wenige Streifen im Indie-Bereich wie Lola und Bilidikid (Regie: Kutluğ Ataman, 1999). Vielleicht wollte das Erste deshalb beim Publikum nicht zu viel voraussetzen. Der Film ist wichtig, doch etwas weniger Didaktik hätte ihm nicht geschadet: Hier wird alles erklärt, vom Dilemma transidenter Menschen in der Umkleidekabine bis zur geschlechtsangleichenden Operation. Leider hat das zur Folge, dass es einem beim Zuschauen so geht wie dem Vater: Der eigentlichen Heldin kommt man irgendwie nicht nah.   

Schweren Herzens lässt Tobias Wilke (Heino Ferch) seinen 16-jährigen Sohn Finn (Jannik Schümann) für ein Auslandsjahr in die USA reisen. Dort entschließt dieser sich, zu seiner lange gespürten Weiblichkeit zu stehen. Am Flughafen wartet ein Jahr später also eine junge Frau auf den Vater: Aus Finn ist Helen geworden. Daheim beginnt ein Spießrutenlauf. Die Freunde wenden sich ab, das Jugendamt droht mit Psychiatrie. Nur wie es Helen geht, dafür interessiert sich eigentlich niemand. Es zeigt sich: Bei Transidentität geht es seltener um die Schwierigkeiten der Menschen, die sich ein anderes Geschlecht wünschen, als um die des Umfeldes.

Für einen Film ist Transgender eigentlich ein gutes Thema. Hier können Regisseure so richtig mit visuellen Scheinbarkeiten spielen. Sie können Pumps in Nahaufnahme zeigen, in denen – in der Totale –plötzlich ein Mann steckt. Sie können Schauspieler bis zur Unkenntlichkeit schminken lassen oder Doubles einsetzen – wie in der britischen Serie Hit and Miss (2012-), in der eine Auftragskillerin erfährt, dass sie aus ihrem früheren Leben als Mann einen Sohn hat. Hauptsache, man erkennt nicht gleich, ob es um eine Frau oder einen Mann geht. Geschlecht ist ja noch immer zuerst das, was man zu sehen meint. Transidentität verwirrt.

Das gelingt auch hier: Als Zuschauerin sucht man permanent nach Indizien, die Helen als Jungen verraten. Sind die Bewegungen nicht zu schlaksig? Die Haare übertrieben lang? Die Verwandlung ist gelungen, Schümanns Androgynität beeindruckend. Mit Regisseur Gregor Schnitzler hat Schümann schon für „Spieltrieb” (2013) zusammengearbeitet, Intimität vor der Kamera fürchtet er nicht. Für die Rolle der Helen habe er Transgender-Biografien gelesen, weibliche Gesten studiert, mit einem Coach gearbeitet: „Am Ende war ich so trainiert, dass es für mich komplizierter war, vor der Kamera Finn zu sein.”   

Und doch: Seine Figur Finn/Helen bleibt blass. Das liegt vor allem an den holzschnittartigen Sätzen, die Schümann aufzusagen hat: „Ich war schon immer ein Mädchen, bloß gezwungen, im Körper eines Jungen zu leben.” Statt Bilder und Blicke sprechen zu lassen, krallt sich der Film an erzieherische Dialoge:

„Ist jetzt Halloween, oder was?”

„Vergiss Halloween, Theo, das ist wie Todesstrafe und Halloween auf einmal.”

Ein bisschen Lehrbuch

Nur einer Figur gesteht Mein Sohn Helen ernsthaft eine Entwicklung zu: der des Vaters. Schon der Titel deutet an, dass die Geschichte aus seiner Perspektive erzählt wird. Es sind seine Träume, die begraben werden, es ist seine Vorstellung von Männlichkeit, die infrage gestellt wird. Wo Finn/Helen allzu glatt daherkommt, darf der Vater zweifeln, lernen, sich verändern. Er, der seine Tochter zunächst anherrscht: „Du hörst jetzt sofort auf mit dem Mist und steigst aus dem Fummel”, sich über seinen eigenen Ruf Gedanken macht: „Du blamierst mich bis auf die Knochen”, und am liebsten alles kleinredet: „Das ist nur eine Phase!” – ist am Ende ehrlich stolz auf sie. Ferch, nicht unbekannt für hart-weiche Väterrollen, etwa aus Vincent will Meer, ist auch hier eine gute Besetzung.

Manches gesellschaftliche Klischee mag nerven, manch politisch korrekte Lösung schwer erträglich sein: Mein Sohn Helen bleibt trotzdem eine Errungenschaft. Ein bisschen Lehrbuch ist in diesem Fall vielleicht sogar nicht schlecht. Der Film erklärt die schwierige rechtliche Lage, gerade von Minderjährigen, die wissen, dass sie im falschen Körper leben. Er zeigt, wie wenig sie bestimmen können, wenn es um ihren Namen oder eine Hormonbehandlung geht. Es war sicher nicht jeder Zuschauerin bewusst, wie vielen psychologischen Tests sich transidente Menschen unterziehen müssen. Und wie häufig ihnen unterstellt wird, dass ihr Gefühl weniger zählt als das, was andere in ihnen sehen wollen.

„Mein Sohn Helen”. Freitag, 24. April um 20.15 Uhr in der ARD

http://www.zeit.de/kultur/film/2015-04/transgender-mein-sohn-helen-ard-spielfilm

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