Der kleine Balkanstaat soll zur Festung ausgebaut werden, weil Griechenland beim Schutz der EU-Außengrenze versagt. Doch das Nicht-EU-Mitglied erhofft sich eine Gegenleistung für den Grenzschutz.

Von Bojan Pancevski,Gevgelija

Hamsa und Jassin Seladin aus der marokkanischen Metropole Casablanca haben sich gemeinsam auf den Weg nach Europa gemacht. Schließlich sind sie Brüder. Jassin ist 20, Hamsa 26 Jahre alt. Hamsa kann nur mithilfe von Krücken gehen, wegen der Muskelkrankheit, an der er seit seiner Kindheit leidet. In Marokko hätten ihm die Ärzte nicht helfen können, sagt er. Deswegen wollten sie jetzt nach Deutschland oder vielleicht Italien. Wo es eben gute Mediziner gebe. Aber hier an der mazedonischen Grenze kommen sie einfach nicht mehr weiter. Jetzt stehen sie wieder in Griechenland. „Die Mazedonier haben uns schlecht behandelt. Warum sollen wir hierbleiben, und andere dürfen einfach weiterreisen?”, sagt Hamsa in holprigem Französisch. „Jetzt müssen wir entweder einen guten Schmuggler finden oder zurück nach Athen und syrische Pässe kaufen.”

Es ist eine absurde Situation: Der EU-Staat Griechenland schafft es weder, Migranten abzuwehren, noch zu registrieren, noch an der Weiterreise in den Norden der Union zu hindern. Das Nichtmitglied Mazedonien ist dagegen zum Bollwerk der EU geworden. Seit den Terroranschlägen in Paris lässt der Balkanstaat nur noch Syrer, Afghanen und Iraker durch, die auf dem Weg in den Norden sind. Alle anderen werden zurück nach Griechenland geschickt. Polizeibeamte aus EU-Staaten helfen hier beim Grenzschutz, sie bringen Überwachungsgerät und Fachwissen, sie unterstützen ihre mazedonischen Kollegen beim Aufbau eines durchgehenden Stacheldrahtzauns an der Grenze zu Griechenland. Trotz der Einschränkungen und der kalten Temperaturen kommen durchschnittlich 1000 bis 2000 Menschen täglich ins Land. Kürzlich wurde die Grenze zwei Tage lang vollständig geschlossen – auch für Syrer, Afghanen, Iraker. Das dürfte die Generalprobe für die Total-Abriegelung gewesen sein.

Die Kontrolle der Grenzen Europas und der Schengenzone hat versagt

Viktor Orbán
Ungarischer Ministerpräsident
Die Sicherungsmaßnahmen sind mit Deutschland koordiniert. Aber es sind vor allemOsteuropäer, die auf Hilfe für Mazedonien dringen und Beamte schicken. „Die Kontrolle der Grenzen Europas und der Schengenzone hat versagt”, sagte der rechtskonservative ungarische Premierminister Viktor Orbán kürzlich in Brüssel. „Wir müssen eine zweite Linie der Verteidigung schaffen, um Europa zu schützen und die Grenzen von Mazedonien und Bulgarien mit Griechenland zu schützen.” Die „Welt am Sonntag” zitiert aus einem Brief des slowenischen Ministerpräsidenten Miro Cerar an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), in dem dieser Hilfen aller EU-Staaten zur Sicherung der mazedonischen Grenze fordert. In der mazedonischen Hauptstadt Skopje herrscht vor allem Entgeisterung angesichts der Zustände im benachbarten Griechenland.

„Diese Grenze wird nur von einer Seite geschützt”, sagt Außenminister Nikola Poposki im Gespräch mit der „Welt”. „Wir hatten keine andere Wahl, als physische Barrieren aufzubauen.” Von den Zielländern bekomme seine Regierung das Signal, dass man keine weiteren Wirtschaftsflüchtlinge aufnehme. „Aber Griechenland versucht immer noch so schnell wie möglich, die aus der Türkei kommenden Migranten nach Mazedonien zu schicken.”

Die Regierung erhofft sich EU-Hilfen und möglicherweise auch Fortschritte bei den Verhandlungen über eine Vollmitgliedschaft in der Union, die derzeit von Griechenland wegen des sogenannten Namensdisputs blockiert werden. Die griechische Regierung akzeptiert die Staatsbezeichnung Mazedonien für ihr Nachbarland nicht, weil sie Gebietsansprüche auf die griechische Region Makedonien abwehren will. Athen scheint hier kaum kompromissbereit. Dennoch bekommt der Südbalkanstaat immer mehr Zuspruch, während Griechenland immer härtere Drohungen zu hören bekommt.

„Mazedonien macht den Job, den eigentlich Griechenland machen sollte”, sagt der CDU-Politiker Elmar Brok, der Vorsitzende im Auswärtigen Ausschuss des Europaparlaments. „Dies ist nicht akzeptabel, und Griechenland könnte bald innerhalb des Schengenraums isoliert werden, wenn es so weitermacht.” Am Wochenende hatte die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner in der „Welt am Sonntag” ebenfalls mit einem Ausschluss Griechenlands aus der Schengenzone für passkontrollfreies Reisen gedroht.

Wie Mazedonien von Kooperation überzeugt wurde

Nun soll eine Mission der EU-Grenzschutzagentur Frontex in Mazedonien zum Einsatz kommen. Das würde die Absurdität auf die Spitze treiben: Eine EU-Körperschaft schützt ein Drittland vor dem polizeilichen Versagen eines Mitglieds. Athen wehrt sich heftig gegen diese Maßnahme. Mazedoniens Außenminister ist sichtlich bemüht, nicht den kleinsten Anflug von Häme erkennen zu lassen: „Die Anwesenheit von Frontex an unserer Außengrenze wäre eher eine Pflicht als ein Privileg für uns. In Griechenland sähe man darin vielleicht auch eine Infragestellung der eigenen Souveränität”, sagt Poposki. „Aber letztlich muss der Nutzen eines solchen Einsatzes in einem derart kritischen Moment über Gefühlen stehen.” Die Zeit dränge, so der Außenminister. Die Risiken würden immer größer. Dass hier gefeilscht wird, kann er offenkundig nicht verstehen. „Es kann doch nicht sein, dass wir uns mehr um den Schutz der Schengenzone kümmern als bestimmte Mitgliedsstaaten.”

Dass Mazedonien politisch für seinen Einsatz zum Wohle anderer belohnt wird, ist unwahrscheinlich. Der eigentliche Antrieb für die Kooperation mit der EU scheint simpel: Wenn die Mazedonier nicht kooperieren würden, so hat man ihnen erklärt, dann würde ihr Land schlichtweg überflutet werden von Flüchtlingen. Yasmin Rexepi von der mazedonischen Organisation Legis, die Flüchtlinge betreut, bezweifelt, dass die Strategie funktioniert. „Ich glaube, dass wir als Staat zu diesen Maßnahmen gezwungen wurden, und das ist nicht gut. Die Maßnahmen der EU werden die Situation hier nur verschlechtern.” Die Flüchtlinge würden sich an kriminelle Schleuser wenden und illegal kommen. Das könne erst recht Chaos stiften.

Auf der griechischen Seite der Grenze, wo Hamsa und Jassin ihre nächsten Schritte beraten, sind nur zwei griechische Polizisten zu sehen. Sie sitzen in einem Streifenwagen. Ob jetzt mehr Menschen illegal über die Grenze gehen? Das können sie nicht beantworten. Aber vor allem verstehen sie die Kritik der Europäer nicht. „Zu uns kommen jeden Tag Busse. Jeden Tag landen Kleinboote an unseren Inseln. Was sollen wir mit all diesen Menschen tun? Soll unser Land zu einem riesigen Flüchtlingssammelzentrum verkommen?”

Bojan Pancevski ist Korrespondent der „Sunday Times„.

-Mitglied erhofft sich eine Gegenleistung für den Grenzschutz.

http://www.welt.de/politik/ausland/article151430655/Das-Nichtmitglied-Mazedonien-ist-jetzt-das-Bollwerk-der-EU.html