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Das «Kalifat» verlegt seine Strategie nach aussen

Das «Kalifat» verlegt seine Strategie nach aussen

Im «Kalifat» stehen die Dinge nicht zum Besten. Doch der IS ist versiert darin, seine Strategie veränderten Bedingungen anzupassen.

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IS bei Rakka, 2014. (Bild: Maya Alleruzzo / AP)
Die Dynamik ist bekannt und das damit verbundene Dilemma für seine Gegner auch: Geht es dem Islamischen Staat (IS) an einer Front schlecht, schlägt er an einer anderen zu. Früher waren es morbide Videos von Enthauptungen, mit denen die Terrormiliz die Welt entsetzte und deren Aufmerksamkeit auf sich lenkte, wenn es militärisch gerade haperte. In letzter Zeit macht sich ein Strategiewechsel hin zu einem Export des Chaos nach Europa bemerkbar, während die Miliz in ihrem selbsterklärten Kalifat zunehmend unter Druck gerät. Für die Propaganda wichtige militärische Erfolge sind selten geworden, tatsächlich verliert der IS schon seit Monaten Territorium.

22 Prozent Gebietsverlust

Recherchenergebnisse der amerikanischen Sicherheitsanalyse-Firma IHS besagen, dass der IS im letzten Jahr 14 Prozent seines Territoriums verloren hat und allein im Januar dieses Jahres weitere 8 Prozent – insgesamt 22 Prozent. Den einzigen spektakulären territorialen Gewinn konnte der IS letzten Frühling in Palmyra verbuchen. Dort ist derzeit indes eine Offensive der Milizen des Asad-Regimes mit russischer Hilfe im Gang. Die immer wieder angekündigte baldige Rückeroberung Palmyras ist zwar bisher ausgeblieben, aber der IS ist an dieser Front unter Druck. Am Mittwoch positionierte sich das Regime fünf Kilometer vor dem Stadteingang.

Neben dem Regime haben auch die Rebellen dem IS etwas Gebiet abgetrotzt. Beiden hilft in dieser Hinsicht die partielle Waffenruhe. Die grössten Gebietsverluste musste die Jihadisten-Mafia aber im Norden Syriens verzeichnen, wo kurdische und arabische Bodentruppen mithilfe von Luftangriffen der internationalen Koalition sowie Russlands vorangeschritten sind. Die von Washington unterstützte irakische Armee nahm im Irak die Stadt Ramadi ein. Recherchen haben ergeben, dass die wichtigste Geldquelle des IS aus Abgaben und Enteignungen in seinem Territorium besteht. Verliert die Miliz Territorium, schwinden auch ihre Geldquellen.

Halbierte Löhne

Das Bild von der «reichsten Terrorgruppe der Welt» bröckelt. In der Provinz Rakka hat die Administration des «Kalifats» Löhne um 50 Prozent gekürzt. Zuschüsse für Kämpfer wurden reduziert. Luftangriffe der Koalition, die seit den Anschlägen in Paris intensiviert wurden, zielten auf Ölfelder und Versorgungsrouten. Zeichen, dass der IS unter Druck ist, zeigen sich auch an Generalamnestien für Deserteure, wie der britische Analyst Aymen al-Tamimifesthält . Die irakische Regierung hat zudem aufgehört, Löhne an Beamte auszubezahlen, die im IS-Gebiet leben. Ein Zusammenbruch des «Kalifats» ist aber nicht in Sicht. Wie Luftangriffe sind auch wirtschaftliche Massnahmen ein heikler Balanceakt zwischen dem Ziel, die Jihadisten zu bekämpfen, und dem Risiko, ihnen die Bevölkerung erst recht in die Arme zu treiben. Militärische Probleme bestehen zudem weiter: So braucht es Bodentruppen mit lokaler Legitimation. Kurdische und schiitische Milizen sind in sunnitischen Gebieten nicht willkommen. Syriens Armee ist schwach, eine Kooperation mit den Rebellen gegen den IS undenkbar.

Sosehr eine vernichtende militärische Niederlage der Propaganda des IS schaden würde – die Wurzeln des Problems sind damit nicht aus der Welt geschafft. Für das unter Sunniten verbreitete Gefühl der Marginalisierung fehlt es an Antworten. Dieses ist eine der Hauptursachen für die Rekrutierungserfolge des IS. Von der amerikanischen Invasion im Irak über die Etablierung eines antisunnitischen Regimes in Bagdad bis hin zur schwachen Unterstützung für syrische Rebellen: Zu beklagen gibt es vieles. Syrische Regimegegner konnten nicht verstehen, weshalb die halbe Welt den IS bombardiert, während Asad verschont wird.

Muslime vor die Wahl stellen

Militärischer Druck bedeutet noch keine Niederlage für die Miliz, die ihre Strategie stets anzupassen weiss. In den letzten Wochen gelangen ihr Angriffe auf sechs Ziele ausserhalb ihres Territoriums: Bagdad, Damaskus, Homs, Ben Guerdan in Tunesien, Istanbul und nun Brüssel. Die Angriffe richten sich nicht nur gegen den Westen, sondern auch gegen alle Muslime in West und Ost, die den IS ablehnen. In Europa will man einen Keil zwischen Muslime und Nichtmuslime treiben und die Muslime vor die Wahl stellen: Sie sollen sich dem «Kalifat» anschliessen oder ihrer muslimischen Identität abschwören.

Forrás: http://www.nzz.ch

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