In zwei Wochen wird die Bundesbank ihr 60-jähriges Jubiläum feiern. Sinnigerweise wollen die Währungshüter die „Grenzen im Notenbanking“ ausloten, so lautet das Motto der Veranstaltung. Eine Grenze dürfte dabei vermutlich eher nicht so genau ausgeleuchtet werden. Die Frage nämlich, wie viele Risiken eine Notenbank in ihre Bilanz nehmen kann, bevor ihre Glaubwürdigkeit dahin ist.

Die Frage beschäftigt die Finanzwelt schon lange, zumal der Umfang der Anleihekäufe in den vergangenen Jahren stetig gewachsen ist. Und auch die Politik ist alarmiert. Schließlich werden durch die Käufe der Europäischen Zentralbank (EZB) Milliarden bewegt, für die im Zweifelsfall auch Deutschland und die übrigen Euro-Staaten haften müssen.

Damit berührt die Geldpolitik indirekt auch das Haushaltsrecht, das Königsrecht der Parlamente. Geht etwas schief, muss der Steuerzahler einspringen. Mehrere Kritiker klagen daher gegen das aktuelle Anleihekaufprogramm der Zentralbank vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Es ist nicht die erste Klage gegen eine ausufernde Geldpolitik der EZB.

Haftungssumme für Deutschland stetig weiter

Um sich einen Überblick über die deutschen Verpflichtungen zu machen, haben sich die obersten deutschen Verfassungsrichter zuletzt sogar einen kritischen Fragekatalog von der Zentralbank beantworten lassen. Darüber hat in dieser Woche bereits der Tagesspiegel berichtet.

Quelle: Infografik Die Welt

Bei all den vielen Programmen, mit denen die EZB den Euro retten will, kann man schließlich schon mal den Überblick verlieren. Nach Berechnungen der WELT summiert sich die Summe, für die Deutschland Stand Ende April allein aus den gesammelten Anleihekaufprogrammen haften muss, auf 155,5 Milliarden Euro.

Doch dabei dürfte es nicht bleiben. Derzeit kauft die EZB bis mindestens Ende Dezember Anleihen im Umfang von 60 Milliarden Euro monatlich hinzu. Damit wächst auch die Haftungssumme für Deutschland stetig weiter.

Ankauf von Anleihen sollte Märkte beruhigen

Den größten Brocken machen die öffentlichen Papiere aus. So summieren sich die Papiere aus dem 2015 gestarteten Anleihekaufprogramm mittlerweile auf über 1,5 Billionen Euro. Hinzu kommen noch 98,4 Milliarden Euro aus dem ersten Rettungsversuch der EZB. Im Mai 2010 entschied der frühere EZB-Präsident Jean-Claude Trichet, europäische Staatsanleihen aus den Euro-Krisenländern zu kaufen, um Turbulenzen an den Anleihemärkten zu glätten.

Deutschland haftet für die gemeinsame EZB-Bilanz gemäß dem Kapitalschlüssel von 25,6 Prozent. Allerdings gehen die 1,5 Billionen nicht voll in die Rechnung ein, da sich die Notenbanken darauf geeinigt haben, dass jedes Land für die eigenen Anleihen haftet und lediglich ein Fünftel des gesamten Risikos geteilt wird.

Eine Ausnahme besteht bei den Papieren von internationalen Organisationen oder Entwicklungsbanken wie etwa der Osteuropa-Bank. Bei diesen Anleihen wird das Risiko von allen, also auch der Bundesbank, geteilt. Rechnet man diese Verbindlichkeiten für Deutschland zusammen, kommt man auf eine Haftungssumme von rund 119 Milliarden Euro. Bundesanleihen sind in dieser Rechnung nicht berücksichtigt.

Totalausfall ist unwahrscheinlich

Doch die EZB nimmt nicht nur Staatsanleihen in ihre Bücher, sondern kauft auch Schuldtitel von Unternehmen. Auch für diese privaten Papiere, neben Unternehmensanleihen sind das vor allem auch Pfandbriefe und andere forderungsbesicherte Papiere, haben die Währungshüter mehrere Programme aufgelegt. Die Verbindlichkeiten daraus zusammengerechnet ergeben 141,5 Milliarden Euro.

Legt man auch hier wieder den Kapitalschlüssel an, kommt man auf eine Haftungssumme von 36,2 Milliarden Euro für Deutschland. Beides zusammen schließlich ergibt die genannten rund 155 Milliarden Euro. Diese Summe würde allerdings nur dann für Deutschland fällig werden, wenn wirklich sämtliche Papiere außer den Bundesanleihen ausfielen und auch der Restwert Null wäre.

Das ist indes nicht sonderlich realistisch. In den meisten Fällen bekommen Gläubiger beim Ausfall von Anleihen zumindest noch eine gewisse Restwert zurück. Selbst Pleitier Argentinien hat seinen Gläubigern noch 30 Prozent der Schulden überwiesen. Außerdem ist es wenig realistisch, dass Anleihen von soliden öffentlichen Organisationen oder A-gerateten Staaten überhaupt ausfallen.

EZB wird zum größten Gläubiger

Doch das Risiko darf auch nicht unterbewertet werden, zumal es weiter steigen dürfte. Nimmt man an, dass die EZB in den verbleibenden sieben Monaten bis zum Jahresende weiterhin monatlich Anleihen im Volumen von 60 Milliarden kauft, summiert die zusätzliche Haftungssumme für Deutschland gemäß Kapitalschlüssel und nach Abzug der Bundesanleihen auf rund 80 Milliarden Euro. Und jeden Monat, den das Programm verlängert wird, kämen weitere elf Milliarden hinzu, wenn das Kauftempo von monatlich 60 Milliarden Euro beibehalten wird.

DWO_FI; Anteil der gehandelten Anleihen, EZB, Euro-Staaten, Laufzeit
DWO_FI; Anteil der gehandelten Anleihen, EZB, Euro-Staaten, Laufzeit

Quelle: Infografik Die Welt

An den Finanzmärkten geht es weniger um Haftungsfragen. Dennoch schauen die Investoren sehr genau darauf, wie sich die Risiken verteilen. So hat unlängst die US-Investmentbank Goldman Sachs errechnet, dass die EZB mittlerweile der größte Gläubiger der Euro-Staaten ist. In Deutschland hat die EZB rund 28 Prozent aller ausstehenden Anleihen aufgekauft. Bei spanischen sind es rund 22, bei französischen rund 18 und bei italienischen rund 15. Tendenz weiter steigend.

Die Goldman-Strategen haben auch errechnet, wie stark die Zinsen durch die EZB-Politik künstlich gedrückt werden. Sollten die Anleihenkäufe der Notenbanken nachlassen, wäre das zwar gut für die Haftungssummen, aber womöglich schlecht für die Anleiherenditen und damit die Finanzierungskosten der Staaten.

Die EZB steckt damit in einem Dilemma, das die Währungshüter zusehends an ihre Grenzen bringt. Zumindest über diese Grenzen dürfte bei der Feierstunde gesprochen werden.

https://www.welt.de/finanzen/article165137660/Mit-dieser-Summe-haftet-Deutschland-fuer-die-EZB-Politik.html