Obwohl nur noch wenige Flüchtlinge nach Deutschland kommen, stürzt die CDU in den Umfragen weiter ab. Nicht nur im Wirtschaftsflügel und im konservativen Lager ist der Frust so groß wie lange nicht.

„Wie sieht gerade die typische Woche eines CDU-Abgeordneten aus?” Das fragt einer, der schon lange dem Bundestag angehört, und gibt gleich selbst die Antwort: „Am Montag schöpft er Hoffnung in der Landesgruppe, die am Dienstag in der Fraktion enttäuscht wird. Am Mittwoch verzweifelt er darüber, was das Kabinett beschließt, aber am Donnerstag, wenn die neuen Umfragen kommen, kann er nur noch lachen.”

Die Pointe kann nicht über die Bitterkeit hinwegtäuschen. Obwohl kaum nochFlüchtlinge nach Deutschland kommen, wächst der Frust in der CDU. In der Bundestagsfraktion, aber auch in den Landesverbänden hat sich etwas angestaut, das es seit dem Tiefpunkt der schwarz-gelben Regierung vor fünf Jahren so nicht mehr gegeben hat.

Es wird befeuert durch die Meinungsforschung. Bei nur noch 19 Prozent wird die CDU in Berlin taxiert, wo im Herbst gewählt wird. Wie in Mecklenburg-Vorpommern, dort sind es nur 24 Prozent. Die neue Konkurrenz von der AfD liegt in beiden Ländern nur noch wenige Prozentpunkte entfernt. Im Bund kommt die Union auf 33 Prozent.

Angela Merkel wird als Person nicht infrage gestellt, aber ihr Kurs bereitet vielen zunehmend Kopfzerbrechen. In der Fraktionssitzung in dieser Woche gab es eine Debatte über den Türkei-EU-Deal. Die überwältigende Mehrheit der Wortmeldungen war kritisch bis sehr kritisch. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) legte sich fest, keinesfalls dürfe man die eigenen Werte dem Wohlwollen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan opfern. Am gleichen Abend sickerte dann die Nachricht durch, die Kanzlerin werde sich in wenigen Tagen abermals zu einem Besuch nach Istanbul aufmachen.

Blamage für Union bei der Elektroauto-Prämie

Eine Woche zuvor hatten die Abgeordneten Ähnliches bei der Kaufprämie für Elektroautos erlebt. Beinahe alle Abgeordneten argumentierten entschieden gegen diese „Subvention Besserverdienender” – darunter auch der Fraktionschef Volker Kauder. Doch am gleichen Abend sagte Merkel den Chefs der Automobilkonzerne bei einem Treffen im Kanzleramt die Prämie zu. Von ihren SPD-Kollegen, die für die E-Auto-Prämie gestimmt hatten, mussten sich die Unionsabgeordneten am nächsten Tag im Plenum regelrecht verspotten lassen.

Im Kanzleramt hat man erkannt, die Fraktion vielleicht einmal zu viel überfahren zu haben, und grübelt darüber nach, welchen Herzenswunsch man zur Wiedergutmachung den gedemütigten Abgeordneten im Gegenzug demnächst einmal erfüllen könnte. Vielleicht dürfen sich darbende Landwirte bald über höhere staatliche Hilfen freuen.

Die schärfsten Kritiker wird man damit freilich nicht überzeugen. 15 konservative Abgeordnete von CDU und CSU meldeten sich Mitte der Woche mit einer prinzipiellen Kritik an der „Linksdrift” der CDU zu Wort. „Die inzwischen häufig so genannte ‘Modernisierung’ der CDU schafft rechts von ihr dauerhaft Platz für eine neue Partei”, klagten sie in einem Manifest. Die Führung müsse sich fragen, ob sie mit ihrem Kurs überhaupt noch die eigenen Anhänger erreiche.

Dieser „Berliner Kreis” ist nur ein Überbleibsel des ehemals stolzen konservativen Flügels der Union. Doch zu den Unterzeichnern gehört mit Wolfgang Bosbach der profilierteste Innenpolitiker und Talkshow-König der CDU. Und mit Christian von Stetten der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand (PKM), also des Wirtschaftsflügels der Fraktion.

Teilweise kaum Kontakt zwischen Führung und Wirtschaftsflügel

Zwischen dem Wirtschaftsflügel, immerhin die größte Gruppe in der Fraktion, und Teilen der Führung ist der Gesprächsfaden regelrecht abgerissen. Der parlamentarische Geschäftsführer, Michael Grosse-Brömer, trat im Zorn sogar aus dem PKM aus, weil er die dort geäußerte Kritik an Merkels Flüchtlingskurs unbotmäßig fand.

Die Wirtschaftspolitiker sind mit der großen Koalition nie warm geworden, die mit Rentengeschenken und Mindestlöhnen zwar kräftig Sozialpolitik betrieb, aber bis heute kein marktwirtschaftliches Reformprojekt verwirklichte.

Die Innenpolitiker, lange Befürworter der großen Koalition, verzweifelten hingegen erst in der Flüchtlingskrise an ihrer Kanzlerin. Mehrmals mussten sie um eine Einladung ins Kanzleramt bitten, bevor sie dort ihre Einwände vorbringen konnten – vergeblich.

Die kleine Gruppe der Außenpolitiker stützte hingegen Merkels Flüchtlingspolitik aus Überzeugung – nun aber haben viele von ihnen wachsende Bauchschmerzen wegen des EU-Türkei-Deals.

Seehofer wird die Merkel-Vertraute Hasselfeldt los

Wichtiger als diese Gemeinschaften der Fachpolitiker sind in der Unionsfraktion allerdings die Landsmannschaften. Die CSU-Landesgruppe, die früher gerne eine Mittlerrolle zwischen Berlin und München einnahm, hat sich nun ganz auf die SeiteHorst Seehofers geschlagen. Der bayerische Ministerpräsident konnte sogar durchsetzen, dass die Merkel-Vertraute Gerda Hasselfeldt in der nächsten Legislaturperiode nicht mehr die Landesgruppe führt. Sie kandidiert nun gar nicht mehr für den Bundestag.

Ihr Nachfolger könnte Alexander Dobrindt werden. Der Verkehrsminister provoziert Merkel schon jetzt mit öffentlicher Kritik. Doch vor seiner eigentlich fälligen Entlassung aus dem Kabinett schreckt die Kanzlerin zurück, weil sie keine Machtprobe mit Seehofer wagen will.

Die CDU in Baden-Württemberg, die viele Abgeordnete stellt, ist ganz mit sich beschäftigt. Ihr langjähriger Chef Thomas Strobl ist gerade als Stellvertreter des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann vereidigt worden. Aber die Landtagsfraktion strafte Kretschmann und damit Strobl in einer geheimen Probeabstimmung am Dienstag zunächst mit zahlreichen Gegenstimmen ab. Strobl, der auch stellvertretender Vorsitzender der Bundes-CDU ist, behielt nach einigen Krisentelefonaten mit Merkel die Nerven und wurde am Donnerstag gewählt.

Die Abgeordneten, die aus Rheinland-Pfalz stammen, haben dem Vernehmen nach um ein Gespräch mit der Kanzlerin gebeten. Sie möchten Irritationen ausräumen, die im Landtagswahlkampf entstanden sind. Als die Spitzenkandidatin Julia Klöcknermit einem Papier auf Distanz zur Flüchtlingspolitik ging, hatte ausgerechnet der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder es im Fernsehen pointiert verworfen.

Bis zum Sommer müssen die ärgsten Differenzen ausgeräumt sein. Dann wird über die nächsten Hilfen für Griechenland abgestimmt.

http://www.welt.de/politik/deutschland/article155358703/Merkels-Kurs-bringt-ihre-CDU-zur-Verzweiflung.html