Home Newspaper NÉMET - Sprachtraining „Wieder Politik für Menschen machen, die jeden Tag arbeiten gehen“

„Wieder Politik für Menschen machen, die jeden Tag arbeiten gehen“

CDU-Vorsitzende Laschet hat der eigenen Partei eine falsche Schwerpunktsetzung vorgeworfen.
  • In Koalitionsverträgen sei „zu wenig an ganz normale Leute, die unser Land tragen“ gedacht worden
  • Die CDU müsse weniger Minderheiten und den Blick nehmen, sondern die Durschnittsfamilie, forderte Laschet.

Die Welt: Angela Merkel will uns weder verraten, ob sie noch einmal für das Amt des Bundeskanzlers antritt, noch, wen sie als Bundespräsidenten vorschlägt. Warum schweigt Ihre Vorsitzende?

Armin Laschet: Ob Angela Merkel 2017 kandidiert, ist zunächst einmal ihre persönliche Entscheidung. Und natürlich bestimmt sie den Zeitpunkt, an dem sie sich äußert.

Die Welt: Dafür haben Sie keinen Kandidaten für das Bundespräsidentenamt und suchen schon wochenlang vergeblich. Warum nehmen Sie nicht einfach Frank-Walter Steinmeier von der SPD?

Laschet: Zur richtigen Zeit einen überzeugenden Kandidaten vorzuschlagen ist dem Amt angemessener als die Methode Gabriel, der fast wöchentlich neue Vorschläge macht. Erst Herr Kermani, dann Herr Voßkuhle, dann Frau Käßmann und jetzt Herr Steinmeier. Das Amt des Bundespräsidenten eignet sich nicht zu geschwätzigem Spekulieren.

Die Welt: Was spricht eigentlich gegen Steinmeier?

Laschet: Nichts. Er ist ein guter Außenminister. Aber es spricht viel dafür, dass die mit weitem Abstand stärkste Fraktion in der Bundesversammlung aus CDU und CSU ihrerseits über einen starken und guten Kandidaten oder Kandidatin nachdenkt.

Die Welt: Geht die Welt eigentlich unter, wenn Merkel doch nicht noch einmal antritt?

Laschet: Viele Menschen in Deutschland schätzen die besonnene Art und Erfahrung von Angela Merkel – gerade in den Zeiten der Krisen, durch die wir derzeit gehen. Deshalb wäre es wünschenswert, dass sie auch nach 2017 Bundeskanzlerin bleibt.

Seit 2012 ist Armin Laschet Vorsitzender der nordrhein-westfälischen CDU und einer von fünf Stellvertretern von Parteichefin Angela Merkel

Quelle: Amin Akhtar

Die Welt: Von den vergangenen fünf Landtagswahlen hat die Union nur eine einzige gewonnen: in Sachsen-Anhalt, wo der Spitzenkandidat auf Distanz zur Flüchtlingspolitik von Merkel ging. Welche Lehre ziehen Sie daraus für Ihren Wahlkampf in NRW, der bald beginnt?

Laschet: In Nordrhein-Westfalen geht es um die Ablösung einer rot-grünen Landesregierung, die NRW auf die Schlusslichtplätze in ganz Deutschland gebracht hat. Unser starkes Bundesland darf nicht Letzter beim Wirtschaftswachstum bleiben. NRW hat die höchste Einbruchskriminalität, steigende Salafistenzahlen und nach Aussage der Polizeigewerkschaften No-go-Areas in manchen Städten. Und die chaotischen Umstände und das Abtauchen der Landesregierung rund um die Kölner Silvesternacht waren schlicht und einfach skandalös und verantwortungslos. Deshalb will ich über Landesthemen reden, Tag für Tag.

Die Welt: Wenn die Landesregierung so schlecht ist, warum liegt die NRW-CDU dann in Umfragen hinter der SPD?

Laschet: In den meisten Umfragen bisher liegen CDU und SPD Kopf an Kopf, aber bei keiner Umfrage hat Rot-Grün seit zwei Jahren eine Mehrheit. Klar ist aber auch: Der öffentliche Streit zwischen CDU und CSU auf der Bundesebene hat nicht geholfen. Deshalb ist es gut, dass seit dem Ende des Streits zu spüren ist, dass die Stimmung für die Union wieder steigt. Das hilft uns auch in Nordrhein-Westfalen.

Die Welt: CDU und CSU veranstalten gerade Versöhnungskongresse. Kommende Woche geht es um Bevölkerungsentwicklung. Kann man darüber überhaupt ernsthaft sprechen, bevor man entschieden hat, ob man eine Obergrenze für Flüchtlinge will oder nicht?

Laschet: Ja. Weil es viele große, wichtige Herausforderungen gibt, auf die wir gemeinsame Antworten geben müssen. Das Ziel, die hohe Zahl des Jahres 2015 zu reduzieren, ist doch längst verwirklicht. CDU und CSU halten es aus, in einer Frage einmal nicht gleicher Meinung zu sein. Die Grundlinien in der Flüchtlingspolitik werden von CDU und CSU geteilt: Asyl ist nur für Schutzbedürftige.

Das EU-Türkei-Abkommen kann Vorbild auch für Afrika sein: einerseits umfassende Hilfe für Menschen in den Herkunftsländern und andererseits Bekämpfung illegalen Schleppertums und gemeinsamer Schutz der EU-Außengrenze. Die Beseitigung von Fluchtursachen muss Europa endlich ernsthafter und konsequenter anpacken als in den letzten Jahrzehnten.

Die Welt: Die CSU will die Obergrenze notfalls in ihr eigenes Wahlprogramm schreiben und sie in den nächsten Koalitionsverhandlungen durchsetzen.

Laschet: Zuwanderung kann man durch ein Einwanderungsgesetz steuern und begrenzen, den Schutz des Asylrechts für Verfolgte und Schutzbedürftige nicht.

Die Welt: Die CSU möchte die erneute Erhöhung der Mütterrente ins gemeinsame Wahlprogramm schreiben, weil das auch im letzten Wahlkampf ein Knaller war.

Laschet: Die Erhöhung der Mütterrente nach der letzten Wahl hat tatsächlich zu mehr Anerkennung für Familienarbeit geführt. Aber jetzt geht es darum, das Rentensystem ab 2030 demografiefest zu machen und weiterzuentwickeln. Insbesondere für die junge Generation müssen wir das Rentensystem in der Zukunft sicher und bezahlbar halten. Eine Mütterrente, die jetzt noch einmal sechs Milliarden Euro kosten würde, passt nicht dazu.

Die Welt: Die CSU lässt die eigenen Mitglieder darüber abstimmen, ob sie sich künftig für bundesweite Volksentscheide einsetzten soll? Gute Idee?

Laschet: Wir Christdemokraten haben eine klare Meinung: Die repräsentative Demokratie des Bonner Grundgesetzes hat sich bewährt. Sie hat Deutschland gutgetan und ist die beste Form, Lösungen zu finden und im Parlament auch Kompromisse zu finden zwischen einem undifferenzierten Ja oder Nein. Schwerwiegende Fragen sollten in sachlicher Abwägung und nicht in polarisierenden, verfälschenden und verkürzenden Kampagnen geklärt werden. Kernfragen einer Nation werden in einem Referendum gegenüber Kleinigkeiten, Taktik und Emotion vernachlässigt.

Wenn jemand noch Zweifel hatte, ob Volksentscheide vielleicht doch besser sind, ist er wohl spätestens nach dem britischen Referendum über den EU-Austritt überzeugt, dass unsere parlamentarische Demokratie besser ist. Am Tag nach dem Referendum kam das böse Erwachen und das Eingeständnis falscher Behauptungen in der Kampagne. Regierungen kann man bei Fehlern abwählen, für falsche Referendumsentscheidungen trägt niemand Verantwortung.

Die Welt: Das Freihandelsabkommen Ceta wird nicht im Europaparlament, sondern vom wallonischen Regionalparlament entschieden.

Laschet: Die Diskussion um Ceta war von Anfang an durch Populisten von links und rechts ideologisch aufgeladen. Die Europäische Kommission hatte die Rechtsauffassung, dass über das Kanada-Abkommen wie bei allen anderen Handelsabkommen im Rat und im Europäischen Parlament abgestimmt wird. Es war vor allem der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der aus innenpolitischen Gründen, nämlich aus Sorge vor einem SPD-Parteitag, darauf gedrungen hat, dass 28 Nationalstaaten und dazu noch regionale Kammern abstimmen sollen.

Diese Prinzipienlosigkeit nationaler Regierungen macht Europa handlungsunfähig. Europa wird zu einem politischen Zwerg in der Welt verkommen, wenn Wallonien oder die zweite rumänische Kammer oder die dritte zypriotische über das Schicksal von 500 Millionen Menschen entscheiden. Wir müssen jetzt zum Prinzip zurück: Wenn Europa zuständig ist, entscheiden Rat und das von den Bürgern gewählte Parlament und sonst niemand.

Die Welt: Die NRW-CDU will auf dem Bundesparteitag ein Baugeld für junge Familien durchsetzen. Warum?

Laschet: Die CDU hat in den vergangenen Jahren zu viele Parteitage mit Themen verbracht, die Einzelanliegen, Randgruppen und alles Mögliche zum Thema hatten. Darüber haben wir den Mittelpunkt unserer Gesellschaft aus dem Blick verloren: junge Familien mit Kindern. Auch in Koalitionsverträgen wurde an vieles gedacht, aber zu wenig an ganz normale Leute, die unser Land tragen. Wir wollen jungen Familien helfen, Eigentum bilden zu können. Eigentum schafft Heimat und Verlässlichkeit und ist die beste Form der Altersversorgung, gerade in der jetzigen Niedrigzinsphase.

Um Wohneigentum auch nicht so wohlhabenden Familien zu ermöglichen, haben wir einen ganzen Maßnahmenkatalog vorgeschlagen, zu dem das Baukindergeld zählt, aber auch ein Freibetrag auf die Grunderwerbsteuer und eine Priorität für Familien bei der Vergabe von Flächen und Immobilien im Bundesbesitz. Es geht um diejenigen, die man nicht jeden Tag laut in den Medien hört, die aber unsere Gesellschaft zusammenhalten.

Nach Willen des NRW-Landesvorstands soll Laschet im Dezember als stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender bestätigt werden

Quelle: Amin Akhtar

Die Welt: Um welchen Betrag geht es für eine Durchschnittsverdienerehe mit zwei oder drei Kindern?

Laschet: Die frühere Kinderzulage bei der Eigenheimzulage betrug 800 Euro pro Kind und Jahr. Das muss der Ausgangspunkt für die Diskussion sein. Aber neben dieser Förderung geht es auch um Erleichterungen bei den Baukosten, etwa durch weniger bürokratische Auflagen bei der Bauplanung und Finanzierung. Ein Anfang etwa wäre es, wenn SPD-Justizminister Maas die EU-Richtlinie zu Wohnraumkrediten einfach eins zu eins umsetzt, statt sie zulasten von jungen Familien zu verschärfen.

Die Welt: Vorsicht, wer heutzutage etwas für normale Leute tut, steht im Verdacht, minderheitenfeindlich zu sein.

Laschet: Das ist zwar Unsinn, aber leider ticken manche inzwischen so. Wenn wir als Volkspartei unsere breite Akzeptanz erhalten wollen, müssen wir wieder mehr Politik für die Menschen machen, die nicht jeden Tag für ihre Forderungen an die Gesellschaft auf die Straße gehen, sondern jeden Tag ihrer Arbeit nachgehen und sich um ihre Familien kümmern.

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Die Welt: Die CDU führt gerade eine drollige Leitkulturdebatte. Frau Merkel hat das Blockflötenspiel von Weihnachtsliedern empfohlen, Herr de Maizière den Schweinebraten. Was empfehlen Sie?

Laschet: Ich plädiere schon seit vielen Jahren für eine gemeinsame Leitkultur, die mehr umfasst als nur die Artikel des Grundgesetzes. Die besondere deutsche Verantwortung aus dem Holocaust im Kampf gegen Antisemitismus gehört beispielsweise dazu. Oder das Prinzip, dass Eltern für ihre Kinder sorgen und Kinder im späteren Leben für ihre Eltern Verantwortung tragen, steht nicht im Grundgesetz. Der Wert des Familienzusammenhalts oder der Respekt vor dem Alter ist bei uns ein wenig verloren gegangen. Da können wir auch von der Kultur vieler Zuwanderer etwas lernen.

https://www.welt.de/politik/deutschland/article159097803/Wieder-Politik-fuer-Menschen-machen-die-jeden-Tag-arbeiten-gehen.html

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