Würde man die Geschichte ohne Namen der Beteiligten und des Tatortes erzählt bekommen, tippte man vielleicht auf eine Despotenfamilie in einer ehemalige Sowjetrepublik in Zentralasien oder auf die Karikatur eines archetypischen afrikanischen Diktators, dessen Land an Südafrika, Botswana und Sambia grenzt.

Diese Geschichte (die mit einer besonderen Pointe enden soll) geht so: Ein mächtiger Präsident beschimpft eine Kaufhauskette öffentlich als „unfair“, weil sie es gewagt hat, die Produkte der eigenen als Designerin tätigen Tochter aus dem Sortiment zu streichen.

Die Designerin heißt Ivanka Trump, sie ist nebenberuflich eine Art Ersatz-First-Lady in Washington, und am Dienstag hatte die Warenhauskette Nordstrom angekündigt, deren Produktlinien in Mode und Schmuck auslaufen zu lassen. Das empörte ihren Vater Donald Trump, der vor knapp einem Monat versichert hatte, sich als Präsident komplett aus den Geschäften der Familie herauszuhalten.

„Meine Tochter Ivanka wurde so unfair von ‚@Nordstrom‘ behandelt“, twitterte der Präsident am Mittwoch um 10.51 Uhr auf seinem privaten Account „@realDonaldTrump“. „Sie ist eine großartige Person – drängt mich immer, das Richtige zu tun! Schrecklich!“

My daughter Ivanka has been treated so unfairly by @Nordstrom. She is a great person — always pushing me to do the right thing! Terrible!

Die Kurznachricht wurde bis 24 Uhr Ortszeit gut 22.000-mal retweetet und 113.000-mal geliked. Einer der ersten Retweet-Accounts war der offizielle des „President Of The United States“, abgekürzt „@POTUS“.

Dass der steuerfinanzierte Twitter-Kanal des mächtigsten Amtes der Welt genutzt wird, um ein Privatunternehmen einzuschüchtern, weil es den Geschäftsinteressen der Familie unbotmäßig begegnet, wird seit der jüngsten Inauguration in Washington eher mit grinsendem Schulterzucken denn als handfester Skandal hingenommen.

Obama, Bush, Reagan und Carter haben sich nie beschwert

Vor dem 20. Januar wäre es völlig unvorstellbar gewesen, dass sich Barack Obamabeispielsweise via Twitter beschwert hätte, wenn Barnes & Noble seinen Memoirenband „Dreams from my Father“ nicht mehr ins Regal gestellt hätte. Oder dass sich George W. Bush, damals noch übers Fernsehen, beklagt hätte, weil die 1987 erschienene erste Autobiografie seines Vaters, „Looking Forward“, nicht neu verlegt wurde. Ronald Reagan startete keine Tirade gegen amerikanische Fernsehsender, weil sie nicht mehr alte Schwarz-Weiß-Western mit ihm, zumeist in einer Nebenrolle, ausstrahlten. Jimmy Carter bedrängte keine Lebensmittelläden, Erdnüsse von seiner Farm zu verkaufen.

Der frühere Ethikbeauftragte in der Regierung von Präsident George W. Bush, Richard Painter, sagte dem „Wall Street Journal“: „Dies ist ein Missbrauch des öffentlichen Amts zum privaten Vorteil.“ Es sei zudem ein Machtmissbrauch, denn die Nachricht sei eindeutig – Nordstrom werde so zur „Persona non grata“ der Trump-Administration erklärt.

Regierungssprecher Sean Spicer formulierte es bei seiner täglichen Pressekonferenz anders: „Das ist ein Abzielen auf ihre (Ivankas) Marke, und es ist ihr Name. Sie leitet das Unternehmen nicht direkt, aber es trägt noch immer ihren Namen. Es gibt klare Bestrebungen, diesen Namen zu untergraben. Der Grund dafür sind die Positionen ihres Vaters in bestimmten politischen Bereichen. Das ist ein direkter Angriff auf seine Politik und ihren Namen. Sie wird schlechtgemacht, weil sie ein Problem mit seiner Politik haben.“

Nordstrom, es sei wiederholt, ist ein privates Unternehmen und hätte darum sogar jedes Recht, aus rein politischen Gründen Ivanka Trump zu boykottieren. Aber ganz offensichtlich handelte es sich um keine ideologische, sondern um eine rein marktwirtschaftliche Entscheidung.

„Im vergangenen Jahr und vor allem in der letzten Hälfte von 2016 sind die Verkäufe der Marke (Ivanka Trump) ständig zurückgegangen bis zu dem Punkt, wo es für uns geschäftlich nicht mehr sinnvoll war, mit dem Sortiment weiterzumachen“, erklärte das Management gegenüber dem Businesskanal von NBC News. Und weiter: „Wir hatten ein großartiges Verhältnis mit dem Ivanka-Trump-Team. Wir haben mit ihnen im vergangenen Jahr offen über unsere Sicht gesprochen, und Ivanka wurde Anfang Januar persönlich über unsere Entscheidung informiert.“

Aktie legte zu

Und jetzt kommt die eigentliche Pointe: Als Reaktion auf den vorwurfsvollen Tweet des Präsidenten brach die Nordstrom-Aktie am Mittwochvormittag zwar zunächst ein. Aber sie erholte sich bis zum Nachmittag und legte um 4,09 Prozent und eine Marktkapitalisierung von 303 Millionen Dollar zu.

„Nordstrom brach den Fluch der Trump-Tweets“, analysierte die „Washington Post“ und erinnerte daran, dass andere von Trump via Twitter attackierte Konzerne am Aktienmarkt Verluste hinnehmen mussten: Lockheed Martin, dessen Kampfflugzeuge angeblich zu teuer seien, verlor zwei Prozent, General Motors wegen einer Produktionsstätte in Mexiko 0,7 Prozent und Toyota wegen ähnlicher Pläne 0,07 Prozent.

Quelle: Infografik Die Welt

Der Unterschied mag darin liegen, dass Flugzeug- und Rüstungsunternehmen von staatlichen Aufträgen abhängen und Autos zu selten gekauft werden, als dass man mit ihnen ein politisches Exempel statuieren würde. Hingegen kann jeder Kunde durch einen umgehenden Einkauf bei Nordstrom demonstrieren, dass ihn der (nicht allzu) subtile Boykottaufruf des Präsidenten nicht kümmert.

Übrigens wird der Präsident in den kommenden Tagen und Wochen möglicherweise Gründe finden, weitere Handelshäuser der Unfairness zu zeihen. Die Kaufhauskette Macy’s plant dem Vernehmen nach eine Ausmusterung von Schuhen und Klamotten der Ivanka-Marke – und wird von politisch motivierten Kunden über Facebook und andere soziale Netzwerke dazu gedrängt. Zum Teil gehören diese Aktivisten zur im Oktober gestarteten Kampagne „Grab your Wallet“ (Pack dein Portemonnaie), das an Donald Trumps zotigen Spruch „Grab them by the Pussy“ erinnern soll. Kampagnenziel ist der Boykott aller Geschäfte, in denen Trump-Produkte verkauft werden.

Die negativen Zahlen tun ein Übriges. Amazon, Bloomingdale’s und Zappos verzeichneten zwar gemeinsam mit Nordstrom und Macy’s in den ersten zehn Monaten des Jahres 2016 eine Umsatzsteigerung von 6,6 Prozent bei Ivanka-Trump-Produkten, aber ab November und Dezember stürzten die Zahlen steil ab, berichtet die „Chicago Tribune“. Bei Nordstrom brach dieses Geschäft gar um 66 Prozent ein.

Ivanka Trump wird die aktuelle Entwicklung schadlos überleben. Um die Marktwirtschaft der USA darf man sich hingegen etwas sorgen.

https://www.welt.de/politik/ausland/article161931105/Wenn-der-Praesident-fuer-seine-Tochter-ein-Kaufhaus-attackiert.html