Phallus heilt allus

Siri Hustvedt greift in ihrem neuen Roman „Die gleißende Welt” den patriarchalischen Kunstbetrieb an. von 

Die Schriftstellerin Siri Hustvedt   |  © dpa

Verletzter Stolz, Neid, Rachgier sind Brandbeschleuniger in Konfliktlagen, weshalb sie im Leben eher zu meiden sind, sich aber in der fiktionalen Welt rasant bewähren. Mit ihrer Hilfe wurden schon im jakobinischen Drama sprudelnde Blutquellen erschlossen, bei Shakespeare die Ränke befeuert, noch heute laufen sie im Krimi zur Hochform auf. Insofern hat Siri Hustvedt nicht schlecht gewählt, als sie ihre Heldin, befeuert von diesen Emotionen, auf die Piste dieses Romans schickt – Harriet Burden, eine New Yorker Künstlerin. Begabt, ambitioniert und gänzlich erfolglos. Als Gattin beglückt mit einem Kunsthändler-Ehemann, aber doch von ihm betrogen, dann verlassen, durch Tod. Harriet Burden ist eine Witwe im sperrigen Format einer Walküre und schon 60, in einer Phase, in der das Leben vom Ende her in den Blick kommt. Was sieht sie? Missachtung überall.

Aus dieser Perspektive heraus wächst der Entschluss, alles noch rumzureißen. Endlich abzuwerfen die elende Bürde des erfolglosen Selbst (burden, engl.: Last). Der Blick geht kämpferisch von einer Bestlage in Brooklyn über den Fluss zur Skyline von Manhattan, über der ein pestilenter Nachhauch von 9/11 liegt. Das Projekt eines Riesen-Showdowns zeichnet sich ab. Das gilt für Harriet in diesem Roman, aber auch für Hustvedt, die Autorin, die nicht wenig aufbietet, schon mit dem Titel Die gleißende Welt greift sie mit großer Geste zurück auf das gleichnamige Werk The Blazing World, 1666 erschienen, als erste Utopie eines weiblichen Verfassers, einer Margaret Cavendish, Herzogin von Newcastle. Die auch Gedichte schrieb sowie naturwissenschaftliche und philosophische Traktate, nicht weniger als 20 Werke sind überliefert. Leider vergessen.

Männer werden jetzt stöhnen, schon wieder Frauenkram. Frauen werden seufzen. Hatten sie dieses feministische Tralala nicht im Regal verstaut, um den Kopf frei zu haben für neue Abenteuer, die von Frauen, und die von Männern, miteinander oder nicht? Ja. Und: Nein.

Tatsache: Wohin man blickt, glitzert weiblicher Glamour in der Kunstwelt. Cindy Sherman, Yoko Ono, Sasha Waltz, Marina Abramović! Um nur mal Marlene Dumas zu erwähnen – in Südafrika geboren, in Europa lebend, Ausstellungen im MoMA in New York, in der Londoner Tate, dem Pariser Centre Pompidou, Dumas erzielt Höchstpreise, 2,8 Millionen Pfund für ein Bild, sie ist die teuerste lebende Künstlerin überhaupt. Und: Nein, nichts ist damit erledigt. Was sind schon 2,8 Millionen Pfund gegen die 28 Millionen Euro, die ein Gerhard Richter erzielt?

Noch mal: Paula Modersohn-Becker. Von Rainer Maria Rilke verehrt, mit dem sie in Worpswede tiefe Gespräche über Poesie und Kunst führte, ohne dass der liebe Rainer auch nur bemerkt hätte, dass Paula – malt. Übersehen. Auch das trug bei zu ihrer Verehrung als Opfergestalt. Es brauchte mehr als 100 Jahre, bis das Louisiana-Museum in Kopenhagen in Paula Modersohn-Becker eine Begründerin der Moderne erkannte und sie im Herbst 2014 mit einer großen Ausstellung feierte. Welche Faktoren beeinflussen also unsere Wahrnehmung von Kunst? Am wirkmächtigsten „ein Schwanz und ein Paar Eier”, heißt es im neuen Hustvedt-Roman.

Aus diesen Gründen plant Harriet Burden, ihre Installationen – eine Venus-Skulptur, eine Sequenz immer winziger werdender Erstickungsräume etc. – drei männlichen Künstlern unterzuschieben und als deren Kreationen feiern zu lassen, um dann, im Finale, ein Coming-out als weiblicher Urheber hinzulegen. Motto: „Heil der fiktiven Rute, dem Zauberstab, der die Augen für ungesehene Welten öffnet!” Weniger lyrisch formuliert: Phallus heilt allus! Im Reich des imaginären Männlichen, dessen Wumm sich als weibliche Inszenierung enttarnt, kann endlich weibliche Kreativität erstrahlen.

Verhüllung als Offenbarung also. Ein riskantes Unternehmen. Die Autorin Siri Hustvedt kann es, was den Ehrgeiz betrifft, aufnehmen mit ihrer Harriet Burden, vielleicht auch, was das Kränkungspotenzial angeht. Alles ist hier ja ein Spiel mit Masken und poetisierten Persönlichkeiten! Siri Hustvedt ist die Tochter eines Literaturprofessors. Promotion über Charles Dickens. Romandebüt 1999 mit Die unsichtbare Frau. Romane, Essays, Kunstkritik, hochbeachtete naturwissenschaftliche Sachbücher, Hustvedt kann in diesem Sinne auch als Wiedergängerin der Herzogin von Newcastle durchgehen. Es dauerte Jahre, bis sie nicht mehr als Anhängsel ihres Mannes, des Autors Paul Auster, wahrgenommen wurde, ausgerechnet sie, die schon im ersten Roman ihre weibliche Hauptfigur männlich konnotierte, ein früher Hauch des jetzt so angesagten Transgender-Diskurses. Mit dem Hustvedt auch in frühen Interviews gerne spielte, androgyn changierend zwischen Diva und Toy Boy. Wie natürlich auch die Herzogin, um den Kreis einmal mehr zu schließen, die gerne im Kavaliershut auftrat, als „bartlose Überraschung”.

Hustvedt nennt Harriet im Buch denn auch „Harry” und verschiebt sie so in ein auch männliches Narrativ, das wohlwollend kommentiert wird von einem „Richard Brickman”, hinter dem sich wiederum Harriet Burden verbirgt. Die Facetten dieser Persona, die Burden ist und sich zugleich selber spiegelt, werden ihrerseits gespiegelt in Textfragmenten, die andere Personen zuliefern – Burdens Kinder, rivalisierende Künstler, der Geliebte. Es treten weiter auf der ignorante Kunstkritiker, die erste Freundin, der Psychotherapeut. Auf diese Weise entsteht der Roman als disparates Textgebilde aus Tagebuch-Notizen, Zeitungsinterviews, Zeugenaussagen, Memoir. Den Rahmen für alle Splitter gibt eine Einführung einer Person, die den Namen I.V. Hess trägt, was womöglich die Künstlerin Eva Hesse evozieren soll (ebenfalls zu Lebzeiten missachtet). Vielleicht auch nicht. Alles so schillernd hier.

Forrás: http://www.zeit.de/2015/17/siri-hustvedt-die-gleissende-welt

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