Ahnlich wie Donald Trump in seinen Reden schockt Jaroslaw Kaczynski gerne in seinen Interviews. Doch während das Poltern des US-Präsidenten kaum noch jemanden verwundert, wirken die Aussagen des Parteichefs der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) immer wieder aufs Neue überraschend, auch weil er selbst unscheinbar wirkt: Er ist ein älterer, kleiner Mann im immer gleichen schwarzen Anzug. Er spricht in Interviews meist völlig ruhig über Politik, als berichte er davon, welche Nahrung er am Vortag seiner Katze gegeben hat. Und beiläufig lässt er dann etwas fallen, das die Frage aufkommen lässt: Hat er das gerade wirklich gesagt?

So spricht er von „Polen der schlechteren Sorte“ oder sagt, dass Teile der regierungskritischen Demonstranten wie Menschen aussehen, die „besonderer Fürsorge“ bedürften – also wie Behinderte. Einen solchen Moment gab es auch vor drei Wochen. In einem ungewöhnlich scharfen Tonfall warnte er Angela Merkel: „Ich werde gezwungen sein, der Kanzlerin zu sagen, dass Deutschland entscheiden muss, welche Art von Beziehungen es mit Polen haben will. Denn es ist nicht möglich, Polen anzugreifen und für alles Übel verantwortlich zu machen und gleichzeitig auf gute Beziehungen zu hoffen.“

Kaczynski will Klartext reden – und dadurch Stärke demonstrieren. Denn ein entschiedenes Auftreten gegenüber der Kanzlerin kommt bei den PiS-Sympathisanten gut an. Die Kanzlerin kommt am Dienstag zu einem Besuch nach Polen und wird nicht nur mit Premierministerin Beata Szydlo und Präsident Andrzej Duda sprechen, sondern sich auch mit PiS-Parteichef Kaczynski treffen.

Wie auch Trump fällt Jaroslaw Kaczynski häufig durch Äußerungen auf, die man traditionell als Halbwahrheiten oder Lügen, aber seit Neuestem als „alternative Fakten“ bezeichnen würde. Dabei verfolgt er in der Regel zwei Ziele: Seine Gegner in Verruf zu bringen und Gefahren heraufzubeschwören, vor denen er das Volk angeblich beschützt. Als er im Januar etwa den friedlichen Protest der Oppositionsparteien im Parlament als Putschversuch bezeichnete, ging es darum, seine politischen Gegner als gefährliche Umstürzler und gewaltbereite Anti-Demokraten zu diskreditieren.

Kaczynski hat ein Problem

Nun hat Kaczynski aber das Problem, dass die Kanzlerin ihn gar nicht angegriffen hat und Polen schon gar nicht. Denn deutsche Politiker halten sich sehr zurück, wenn es darum geht, die politischen Entwicklungen im Nachbarland zu kommentieren. Kaczynski spricht trotzdem von einem Angriff auf sein Land, nämlich durch Presse und Fernsehen, und für den sei Merkel „mindestens mitverantwortlich“. „Man kann keine Märchen darüber erzählen, dass die Regierung in Deutschland keinen Einfluss auf die Medien habe, denn das hat sie, und zwar unvergleichbar größeren als in Polen“, behauptete er.

„Werde Merkel sagen, dass sie sich entscheiden muss“

Der Chef der polnischen Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, will beim bevorstehenden Polen-Besuch von Kanzlerin Merkel kein Blatt vor den Mund nehmen. Der genaue Zeitpunkt für Merkels Besuch ist noch offen.

Quelle: Die Welt

In einem Interview mit dem Fernsehsender TV Republika im Dezember 2015 fantasierte er sogar minutenlang von einer angeblichen deutschen „Kampagne“ gegen Polen, für die die Regierung die Verantwortung trage. Diese erinnere ihn an „die Situation zur Zeit der Weimarer Republik“. Durch die damalige Kampagne seien „einfache Deutsche“ zur Zeit des Nationalsozialismus dazu in der Lage gewesen, Polen zu ermorden. Eine solche Situation könne sich wiederholen, die deutsche Politik solle sich bewusst sein, was sie da aufbaue, warnte er.

Nun müssen aber auch Kaczynski und die aktuelle Regierung erkennen, dass Deutschland ein wichtiger Verbündeter ist: Der Wunschpartner innerhalb der EU, Großbritannien, bereitet sich gerade auf den Brexit vor. Und die USA unter Trumpsind ein unsicherer Partner geworden. Vor allem der Flirt Trumps mit Putin bereitet den Polen Sorgen, denn Russland wird als Bedrohung gesehen. Wenn also nicht aus Sympathie, dann sind der PiS-Regierung die Beziehungen zu Deutschland zumindest wegen der gemeinsamen Interessen wichtig, etwa in der Verteidigungspolitik.

Dennoch baut Polen auf Deutschland

Außerdem will Kaczynski mit Merkel über die Zukunft der EU sprechen. Polen will die Verträge ändern und mehr Souveränität der Mitgliedsstaaten festschreiben. Deutschland lehnt eine Änderung der europäischen Verträge ab.

Aber auch für Deutschland ist Polen ein wichtiger Verbündeter. Angela Merkel kommt vor allem deshalb, um auszuloten, was mit dem Nachbarland innerhalb der EU zu machen ist. Denn Polen fordert seit Monaten Reformen, hat aber bisher keine konkreten Vorschläge vorgelegt.

Kaczynskis Poltern kann also vor allem als Show für die eigenen Wähler verstanden werden. Einen Instinkt für die Massen hat der Mann sicher. Nur von Außenpolitik soll er wenig verstehen. Und das eröffnet Möglichkeiten für die versöhnlicheren Kräfte in der Partei. So gilt etwa Konrad Szymanski, Staatssekretär im Außenministerium, als Architekt der polnischen Europapolitik. Und der gehört zu den gemäßigten Kräften in der Partei und gilt als eher deutschlandfreundlich.

https://www.welt.de/politik/ausland/article161851603/Merkel-erwarten-in-Polen-alternative-Fakten-und-scharfe-Toene.html