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Joseph Stiglitz im Interview «Es ist gut möglich, dass hier die nächste Finanzkrise ausbricht»

Nobelpreisträger Joseph Stiglitz warnt vor möglichen Nebeneffekten der Bekämpfung des Klimawandels. Er hält es für einen schweren Fehler, dass die Nationalbank die Überbewertung des Frankens toleriert

Joseph Stiglitz im Interview «Es ist gut möglich, dass hier die nächste Finanzkrise ausbricht»

«Deutlich zu benennen, was falsch läuft, heisst nicht, Weltherrschergelüste zu verspüren» : Joseph Stiglitz. (Bild: imago )

NZZ am Sonntag: Vor kurzem hat das «Wall Street Journal» geschrieben: «Joseph Stiglitz denkt, wenn er die Welt beherrschen würde, wäre alles gut.» Warum polarisieren Sie so?

Joseph Stiglitz: Es besteht ein grosser Unterschied dazwischen, Dinge aus akademischer Perspektive zu kritisieren und wirkliche Verantwortung zu tragen. Deutlich zu benennen, was falsch läuft, heisst nicht, Weltherrschergelüste zu verspüren.

Hinter der Kritik steht der Vorwurf, Sie plädierten häufig für Staatsinterventionen, wo Vertrauen in Märkte besser wäre.

Dabei wissen wir, dass Märkte nicht sehr gut funktionieren. Sie sind weder effizient noch stabil. In manchen Bereichen ist das Konsens. Kaum jemand fordert, das Bestimmen der Leitzinsen sollte dem Markt überlassen werden. Es ist klar, dass es dafür Notenbanken braucht.

Die Kritik bezieht sich eher auf Ihre Vorschläge, Finanzmärkte stark zu regulieren.

In der Ära, bevor Regierungen intervenierten, gab es mehr Rezessionen und Depressionen. Die Märkte waren extrem instabil. Den letzten Versuch einer vollständigen Liberalisierung hat der Ökonom Milton Friedman in Chile mit Diktator Augusto Pinochet forciert. Anschliessend war das Land 25 Jahre lang damit beschäftigt, seine Schulden zurückzuzahlen. Die Debatte sollte nicht darum gehen, ob Interventionen richtig sind, sondern nur, wie interveniert wird.

Sie haben 2014 geschrieben, auch China brauche nicht weniger, sondern mehr Staat. Stehen Sie nach wie vor zu dieser Aussage?

Die grössten Herausforderungen Chinas sind Umweltverschmutzung, Ungleichheit, die Verstädterung, Finanzstabilität, das Gesundheitssystem und Bildung. Nichts davon kann der Markt lösen. Die jetzige Instabilität am Finanzmarkt resultiert daraus, dass sich die Regierung nicht im Klaren über ihre Rolle ist. Zudem fällt ihr der Übergang von der Export- zur Dienstleistungswirtschaft schwer.

Sind Sie optimistisch, dass die Transformation letztlich gelingt?

China ist dazu in der Lage.

Mit Blick auf die Schweiz sagen Sie, die Aufgabe des Mindestkurses sei falsch gewesen. Warum?

Wie gesagt, niemand würde fordern, Märkte sollten Leitzinsen festsetzen. Daraus folgt, dass es auch falsch ist, Wechselkurse dem Markt zu überlassen. Wer das tut, macht sich in Wahrheit nicht vom Markt abhängig, sondern von Mario Draghi bei der Europäischen Zentralbank und Janet Yellen bei der Federal Reserve. Warum tut die Schweizerische Nationalbank das ohne Not? Draghi und Yellen kümmert es doch nicht, was ihre Massnahmen für die Schweiz bedeuten.

Die SNB argumentierte bei der Aufgabe des Mindestkurses mit den Kosten. Kann die Grösse der Bilanzsumme einer Notenbank nicht zum Problem werden?

Es ist grundfalsch, derartige Bedenken höher zu gewichten als die Wirkung des Wechselkurses auf die Realwirtschaft. Letzteres zu bedenken, ist oberste Pflicht jeder Notenbank. Der Mindestkurs war sinnvoll, weil ein überbewerteter Franken der Realwirtschaft schadet. Tourismus und Export sind nicht wettbewerbsfähig. Das war ein wesentlicher Grund, warum die Schweiz 2015 weniger stark wuchs als Deutschland.

Was schlagen Sie vor?

Die Nationalbank kann unbegrenzt ausländische Devisen kaufen, um die eigene Währung zu schwächen. Viele Länder tun das. Der umgekehrte Fall, Reserven einzusetzen, um eine fallende Währung zu stärken, ist doch viel unangenehmer.

Joseph Stiglitz

Joseph E. Stiglitz, 72, ist Wirtschaftsprofessor an der Columbia University in New York. Von 1997 bis 2000 war er Chefökonom der Weltbank. 2001 erhielt er für Arbeiten über das Verhältnis von Information und Märkten mit George Akerlof und Michael Spence den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften. In seinem neuesten Buch  Reich und Arm  befasst er sich mit Verteilungsfragen. (smb.)

Was, wenn der Euro auseinanderbrechen sollte?

Derartige Risiken muss man in die Überlegungen einbeziehen. Aber die grösste Wahrscheinlichkeit wäre dann ein Austreten der schwachen Länder aus der Gemeinschaftswährung. Ein Euro, in dem Deutschland und den Niederlande verbleiben, würde aufwerten. Die SNB würde also auf ihren Reserven viel Geld verdienen.

Hätte die Nationalbank die Glaubwürdigkeit, den Mindestkurs wieder einzuführen?

Psychologische Effekte werden überbewertet. Die Nationalbank ist ohne jeden Zweifel in der Lage, den Franken zu schwächen.

Sie beschäftigen sich neuerdings intensiv damit, wie die Klimapolitik Finanzmärkte beeinflusst. Mit welchem Ergebnis?

Auf dem Klimagipfel in Paris im vergangenen Dezember ist deutlich geworden, dass in den nächsten Jahren viel passieren wird. Der Markt für fossile Brennstoffe droht zusammenzubrechen. Unternehmen müssen das bedenken, sonst riskieren sie hohe Verluste.

Sie rechnen damit, dass Investoren schon heute auf künftige Gesetze reagieren?

Genau. Ein treuhänderischer Anleger, der die Entwicklung ignoriert, wird seiner Verantwortung nicht gerecht. Es ist unklar, wann der Markt korrigiert, aber er wird korrigieren. Kohlefirmen in den USA haben schon jetzt rapide an Wert verloren.

Gibt es scharfe Preiskorrekturen?

In diesem Fall ist es ausnahmsweise gut, dass Märkte ineffizient sind. Sie korrigieren Überbewertungen nicht sofort. Anleger können sich darauf einstellen. Aber dennoch ist gut möglich, dass hier die nächste Finanzkrise ausbricht. Wir haben bereits heute mehr Öl- und Gasquellen erschlossen, als wir nutzen können, wenn be-stimmte Klimaschutzziele erreicht werden sollen. Warum wir weitere Ölquellen in der Tiefsee oder in der Arktis erschliessen oder Kohleminen in Australien, ist ein Mysterium. Bei derartigen Investitionen drohen hohe Verluste. Ölfirmen sind tiefer bewertet als Ölreserven. Da besteht eine Schieflage.

Was kann getan werden, um eine Finanzkrise zu vermeiden?

Eine Lehre aus der Krise 2008 lautet, dass Kettenreaktionen üblich sind. Damals war der US-Notenbank nicht einmal klar, dass Geldmarktfonds unter Druck geraten, wenn sie Lehman Brothers nicht retten. Immerhin wissen wir heute um die Vernetzung und können Systemrisiken antizipieren. Wir wissen genug über Finanzmärkte, um sagen zu können, was passiert, wenn fossile Brennstoffe 30% korrigieren. Zwar wissen wir nicht, wann das der Fall ist. Vielleicht beträgt die Veränderung 1% pro Jahr, dann ist sie zu bewältigen, vielleicht passiert sie über Nacht, dann kommt es zum Crash. Aber wir können sicherstellen, dass die folgende Kettenreaktion nicht ausser Kontrolle gerät.

Eine Wiederholung von 2008 ist also unwahrscheinlich geworden?

Ja. Wir würden Lehman Brothers nicht noch einmal ungeordnet in die Insolvenz schicken.

Obwohl der damalige Notenbankchef Ben Bernanke zuletzt sagte, er habe gar nicht das Recht gehabt, die Bank zu retten?

Das war Unsinn. Wenn er das wirklich geglaubt haben sollte, hätte er sechs Monate vorher, als sich die Probleme abzeichneten, vom Kongress die Erlaubnis zur Rettung einholen müssen.

Stiglitz in Zürich

Am Montag, 18. Januar, hält Joseph Stiglitz an der Uni Zürich einen öffentlichen Vortrag unter dem Titel  Financial Complexity and Climate Change . Stiglitz thematisiert, inwiefern die Transformation zu einer Wirtschaft mit geringerem CO2-Verbrauch systemische Risiken mit sich bringen könnte. Der Vortrag auf Einladung des Instituts für Banking und Finance beginnt um 18Uhr15 in der Aula an der Rämistrasse 71. Weitere Informationen hier. (smb.)

Forrás: http://www.nzz.ch

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