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Jetzt wird Italien zu Europas größtem Risiko

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Mario Draghi gab sich ganz unbescheiden. „Die Übertragung der Geldpolitik hat nie besser funktioniert als heute“, prahlte der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) auf der ersten Pressekonferenz nach der Sommerpause.

Nicht einmal eine Woche später steht der Italiener als Schönredner da: Ausgerechnet Zahlen der italienischen Notenbank belegen, dass sich die ultralockere Geldpolitik wohl doch nicht so reibungslos auf die Wirtschaft übertragen lässt, wie das die Notenbanker gern hätten. Im jüngsten Monatsbericht weist die Banca d’Italia einen neuen Negativrekord aus.

Danach haben sich die Verbindlichkeiten gegenüber dem Euro-System, der sogenannte Target2-Saldo, im August um mehr als zehn Prozent auf 327 Milliarden Euro ausgeweitet. Das liegt sogar über dem bisherigen Rekord, den die Notenbank auf dem Höhepunkt der Euro-Krise im August 2012 publizieren musste.

Anleihekaufprogramm der EZB funktioniert nicht

Damit ist eines der größten Reizthemen der vergangenen Jahre zurück. Über das Target2-System wird der gesamte grenzüberschreitende Zahlungsverkehr innerhalb des Euro-Raums abgewickelt. Fließt den Banken eines Landes mehr Geld zu, als sie an das Ausland überweisen, entsteht eine Target-Forderung. Überweisen die Banken umgekehrt mehr Geld ins Ausland, als ihnen zufließt, kommt es in der Bilanz der Notenbank zu einer Target-Verbindlichkeit.

„Italiens rekordhoher Target2-Saldo ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass QE nicht funktioniert”, sagt Fabio Balboni, Ökonom bei HSBC in London. Eigentlich sollte das milliardenschwere Anleihekaufprogramm der EZB, kurz QE (steht für „quantitative easing“, also mengenmäßige Lockerung) dazu führen, dass die Ungleichgewichte in der Euro-Zone eingeebnet werden. Doch genau das Gegenteil sei der Fall. Seit dem Start des QE-Programms im März 2015 haben sich die Target2-Salden wieder deutlich erhöht. „Die üppigen Mittel, die durch das Anleihekaufprogramm geschaffen werden, kommen nicht dem Wachstum Italiens zugute, sondern das Geld fließt ins Ausland“, sagt Balboni.

Quelle: Infografik Die Welt

Dabei hat Italien Wachstum dringend nötig. Nach einer aktuellen Studie der Deutschen Bank ist Italien das einzige Euro-Land, das seit 1999 gemessen an der Wirtschaftsleistung pro Kopf ärmer geworden ist. Selbst Griechenland oder Portugal konnten seit dem Start des Euro ein leichtes Plus verbuchen. Und die Chancen stehen schlecht, dass die italienische Wirtschaft rasch eine Wende hinbekommt.

Sichtbar wird das insbesondere am Arbeitsmarkt. Zwar ist Italien mit einer Rate von 11,4 Prozent bei Weitem nicht das Land mit der höchsten Arbeitslosenquote in der Euro-Zone. Allerdings liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 39,2 Prozent. Der Abstand ist in keinem anderen europäischen Land so hoch. „Die Jugend wird in Italien am stärksten bestraft“, sagt Marco Stringa von der Deutschen Bank.

Italien wird zu einem politischen Rätsel

Nun sind die Ökonomen der Deutschen Bank in Sachen Euro-Zone nicht für unbändigen Optimismus bekannt. Doch den Ausblick für Italien sehen sie besonders düster. „Italien ist für seine politische Instabilität bekannt, aber was wir jetzt erleben, gab es so noch nie“, sagt Stringa. Das Land werde mehr und mehr zu einem politischen Rätsel.

Quelle: Infografik Die Welt

Zwei Dinge treiben den Ökonomen besonders um: die verhängnisvolle Abhängigkeit zwischen den kriselnden Banken und dem schwächelnden Staat sowie das drohende Referendum im Spätherbst. Italiens Premier Matteo Renzi will zwar auf dem Papier nur über eine Senatsneuordnung abstimmen lassen. Da er sein politisches Schicksal aber an den Ausgang dieser Wahl geknüpft hat, ist das Referendum indirekt zu einer Abstimmung über Renzi selbst geworden. Zwar weiß er ein gutes Drittel der Bevölkerung hinter sich, doch das allein reicht noch nicht für eine Mehrheit. In den jüngsten Umfragen liegt das Neinlager leicht vorn.

Entsprechend sieht Deutsch-Banker Stringa nicht etwa das politisch gelähmte Spanien oder die bevorstehenden Wahlen in Frankreich und Deutschland als das größte politische Risiko für die Euro-Zone an, sondern Italien und sein Referendum. Er steht mit dieser Einschätzung keineswegs allein da. So warnte die Ratingagentur Fitch am Dienstag vor den Folgen, die das geplante Referendum haben könnte: „Jegliche politische Turbulenzen oder Ungemach bei den Banken, das auf die Realwirtschaft übergreift, könnten unser Italien-Rating negativ beeinflussen.“

Für Italien läuft die Zeit ab

Das Referendum beschäftigt die gesamte Finanzwelt. Der Tenor ist klar: Für Italien läuft die Zeit ab. Schafft Rom nicht bald die Wende, wird ausgerechnet eines der Gründungsmitglieder der Europäischen Union zu einem ihrer größten Risiken. Geht es nach den Analysten von Morgan Stanley, die sich in einer ausführlichen Studie mit dem Plebiszit beschäftigen, wird es wohl nichts mit dem großen Wurf. Die Experten schätzen die Wahrscheinlichkeit, dass Renzi mit seinem Referendumdurchkommt, auf gerade einmal 35 Prozent. Daraufhin werde es wohl zu einer Übergangsregierung kommen, möglicherweise auch mit Renzi an der Spitze, die jedoch den Reformprozess verschleppen werde.

Quelle: Infografik Die Welt

Sorge bereitet den Analysten aber ein anderes Szenario, in dem Renzi mit seinem Referendum krachend scheitert und anschließend anberaumte Neuwahlen die populistische Fünf-Sterne-Partei mit ihrem Anti-Euro-Kurs als Siegerin hervorbringen. Zwar rechnen die Experten nicht damit, dass Italien aus der Euro-Zone austreten wird. Das Risiko, dass danach Reformen widerrufen werden und die Verschuldung weiter in die Höhe steigt, sei aber extrem hoch.

Aber auch ohne dieses Extremszenario steht es nicht gut um die Zukunft des Stiefelstaates. Das Land brauche einen billigen Euro, um wieder nach oben zu kommen. Nach Berechnungen von Morgan Stanley ist die Gemeinschaftswährung gegenüber dem fairen Wert für das Land um rund 15 Prozent überbewertet. Nur für Griechenland sei der Euro noch unvorteilhafter: „Die Märkte unterschätzen die massiven Risiken für italienische Anleihen und Aktien.“

Zumindest um die Anleihen müssen sich die Finanzmärkte vorerst keine Sorgen machen. Denn das Anleihekaufprogramm der EZB sorgt dafür, dass die Papiere nicht allzu sehr abstürzen. In dieser Hinsicht kann Draghi liefern.

https://www.welt.de/finanzen/article158120626/Jetzt-wird-Italien-zu-Europas-groesstem-Risiko.html

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