Home Newspaper NÉMET - Sprachtraining Dieselverbot schwebt wie ein Damoklesschwert über Deutschland

Dieselverbot schwebt wie ein Damoklesschwert über Deutschland

Jürgen Wolters’ Taxiflotte zählt 42 Autos – alles Mercedes, alles Diesel. Im Januar hat der Geschäftsführer eines Berliner Taxiunternehmen vier weitere Dieselfahrzeuge bestellt. Doch diese Order ist mittlerweile storniert. Wolters ist sich einfach unsicher, wie es mit den Selbstzündern weitergeht. „Die Diskussion schwebt wie ein Damoklesschwert über uns“, sagt er.

Die deutsche Diskussion über ein Fahrverbot von Dieselmotoren der Klasse Euro-5 belastet die Branche. Schuld sind EU-Normen für Stickoxide, die in einer Vielzahl von Städten regelmäßig überschritten werden. Eine Nachrüstung der Motoren könnte das Dieselverbot lösen. Doch genaue Details darüber sind noch völlig offen und verunsichern so die Unternehmer. Denn die Autoindustrie weigert sich bisher konkrete Zusagen zu machen. Wer die Kosten trägt, ist unklar.

Dass ein abruptes Dieselverbot ohne Lösungsalternative unbedingt zu vermeiden ist, zeigen Schicksale wie das des Taxiunternehmers. Knapp die Hälfte von Wolters’ Taxen fahren mit dem betroffenen Dieselmotor-Typ. „Wenn das Dieselverbot kommt und wir keine Ausnahme bekommen, können wie den Laden dicht machen“, sagt er.

„Der Diesel ist noch längst nicht tot“

Neben Privatnutzern wären zahlreiche weitere Unternehmen von einem möglichen Verbot betroffen. Sie alle müssen täglich – meist ohne Alternative – in die Innenstädte pendeln. Für Taxiunternehmen, Fernbusse, Liefer- und Paketdienste und Handwerker gehört die Mobilität in Städten zum Geschäftsmodell. Ein Dieselverbot entzieht ihnen die Existenzgrundlage. Eine Nachrüstung würde die Kosten erhöhen, die am Ende der Verbraucher tragen muss.

So wären bei dem diskutierten Dieselverbot rund 85 Prozent der deutschen Taxen betroffen. Thomas Grätz, Geschäftsführer des Deutschen Taxi- und Mietwagenverbandes, gibt sich dennoch optimistisch. „Der Diesel ist noch längst nicht tot“, sagt Grätz zur WELT.

Er glaube nicht an ein tatsächliches Innenstadtverbot für Taxen. Es werde darüber nachgedacht, bestimmte Branchen von dem Verbot auszunehmen. Doch gerade das Taxigewerbe ist ein Punkt, an dem Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt ansetzen will. „Wo wir ran müssen, sind Fahrzeuge, die sich ständig im Stadtverkehr befinden, etwa Taxis, Busse, Behördenfahrzeuge“, sagt Dobrindt.

Doch auch wenn ein Verbot käme, würden nach Meinung von Verbandschef Grätz Taxiunternehmen kaum Schäden davon tragen. Es werden in deutschen Taxiunternehmen alle drei, vier Jahre neue Fahrzeuge angeschafft, sodass die meisten Flotten in wenigen Jahren auf dem neusten Stand seien.

Wolters ist komplett auf Mercedes-Diesel eingerichtet

Langfristig wäre ein Fahrverbot daher zu stemmen. Zum Problem könnte jedoch die kurzfristige Umstellung werden. Unternehmen aus allen Branchen werden nicht alle Autos von heute auf morgen austauschen oder wenigstens umrüsten können. Und die Fahrzeuge, die heute von den Firmen genutzt werden, lassen sich dann nur zu niedrigen Preisen weiterverkaufen.

Wolters’ Taxibetrieb ist auf Modelle von Mercedes ausgerichtet. Sogar eine eigene auf diese Fahrzeugmarke spezialisierte Werkstatt hat er in seinem Betrieb. Einfach die Marke zu wechseln ist schon aus diesem Grund nur schwer möglich. Auf die deutsche Automarke mit dem Stern setzt er aber auch, weil die Autos nach einigen Jahren Nutzung einen relativ hohen Wiederverkaufswert haben.

Dürften die Autos mit Euro-5-Motor in bestimmten Zonen nicht mehr eingesetzt werden, würde das den Wert nach unten drücken. Wolters hält seine künftigen Investitionen aber auch zurück, weil er nicht weiß, was in wenigen Jahren mit den heute üblichen Euro-6-Motoren passiert. Sollten diese in wenigen Jahren verboten werden, wäre das ein finanzielles Desaster.

Fernbusse seien nicht Teil des Problems

Betroffen wäre aber nicht nur die Taxi-Branche: Auch Fernbus-Unternehmen stehen einem Diesel-Verbot kritisch gegenüber. Der Bundesverband deutscher Omnibusunternehmer befragte zum Thema Diesel-Verbot 473 Omnibus-Unternehmer. Die Ergebnisse verdeutlichen die Konsequenzen eines Dieselverbotes in Innenstädten: Rund 91 Prozent der privaten Busunternehmen wären betroffen.

Ein Drittel der befragten Unternehmen sehe sich bei einem Verbot in seiner Existenz bedroht. Sollten tatsächlich Dieselfahrzeuge in Zukunft aus Innenstädten verbannt werden, zeichnen sich deutliche Umsatzeinbußen für Busunternehmer ab, so der Bundesverband deutscher Omnibusunternehmer.

„Fernbusse reduzieren den Individualverkehr – auch in Innenstädten. Sie sind daher nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung“, so FlixBus-Gründer und Geschäftsführer André Schwämmlein. Ein mögliches Verbot schränke Reisende in ihrer Mobilität ein und würde letztendlich Abgase fördern, wenn Reisende wieder mit dem eigenen Fahrzeug reisen würden.

Ist die Grundversorgung der Innenstädte gefährdet?

Der Bundesverband Paket und Express Logistik warnt vor überstürzten Maßnahmen. „Diesel-Fahrverbote ohne angemessene Übergangsfristen würden die Grundversorgung der Innenstädte lahmlegen“, sagt eine Sprecherin gegenüber der WELT. Insbesondere die kleinen Geschäfte und Gewerbetreibenden seien bei der Belieferung auf die Paketbranche angewiesen, aber auch der Endverbraucher würde die Nachteile spüren.

Neben dem Transportgewerbe würde ein Dieselverbot auch das Handwerk treffen. „Wenn unsere Dieselfahrzeuge aus der City verbannt werden – wer soll dann in den Innenstädten noch Dienstleistungen erbringen und Baustellen anfahren?“, fragt Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des deutschen Handwerks (ZDH). Diese Maßnahme würde ausgerechnet Handwerksbetriebe und Verbraucher bestrafen, die am wenigsten zur Problemlage beigetragen haben.

Der ZDH räumt ein, dass zehn Jahre alte Dieseltransporter nicht dauerhaft Innenstädte belasten dürften. Die Handwerksindustrie sieht sich jedoch in diesem Punkt auch benachteiligt: Bis 2016 konnten Handwerker in den von ihnen benötigten Fahrzeugklassen fast ausschließlich Euro-5-Dieselfahrzeuge erwerben.

Der Großteil des Nutzfahrzeugbestands im Handwerk gehört zur Gewichtsklasse bis 3,5 Tonnen. Für diese wurde die Euro-6-Norm erst im Herbst 2015 eingeführt. Auch die neusten Euro-6-Transporter bringen nach Aussage des ZDHs hinsichtlich des Stickoxid-Ausstoßes nur sehr geringe Verbesserungen gegenüber den Euro-5-Transportern. Die Forderung, neuwertige Fahrzeuge zu verschrotten und durch Neuwagen zu ersetzen, obwohl Vorteile für die Umwelt kaum messbar sind, empfinden Handwerksbetriebe als Enteignung, so der ZDH.

Von einer blauen Plakette anstatt eines generellen Fahrverbots, wie von vielen Städten gefordert, hält der Verband wenig. Damit schließt sich der ZDH der Meinung von Verkehrsminister Dobrindt an, der entschieden gegen eine Plakette ist.

Für Elektro-Lieferfahrzeuge fehlt die Infrastruktur

Der deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) sieht ein Plakettensystem grundsätzlich als das richtige Instrument. Umweltfreundlichere Fahrzeuge sollten privilegiert behandelt werden, erklärte DSLV-Präsident Mathias Krage. Auch er gehe von einer Ausnahmeregelung für bestimmte Branchen aus.

Dennoch würden kurzfristig eingeführte Flächenfahrverbote, welche einzig Euro-6-Fahrzeuge ausklammern, technisch einwandfreie und hochwertige Euro-5-Fahrzeuge entwerten. Diese können dann auf dem Gebrauchtfahrzeugmarkt nicht mehr abgesetzt werden. Damit wird Speditionen und Transportunternehmen für die Anschaffung emissionsarmer Neufahrzeuge dringend benötigtes Kapital entzogen.

Als Alternative sieht Krage Elektro-Lieferfahrzeuge. Für eine moderne und umweltfreundliche Logistik in Innenstädten müsste dann aber auch eine entsprechende Infrastruktur mit Ladestationen gestellt werden. Ähnlich sieht das auch Taxi- und Mietwagenverbandschef Grätz: „Eine Alternative wären sicherlich reine Elektrofahrzeuge.“ Dazu müsse der Ausbau und die Gestaltung der Infrastruktur mit entsprechenden Ladestationen entsprechend vorangetrieben werden, damit der Betrieb von Elektrofahrzeugen in Taxiunternehmen überhaupt möglich sei.

Am Ende zahlt der Verbraucher für die Konsequenzen

Der ZDH sieht Versäumnisse der Autoindustrie. Die Hersteller haben zu spät saubere Dieselmotoren für den Fahrbetrieb angeboten. Auch die Politik habe notwendige Kontrollen nicht konsequent verfolgt. Der Verband erwarte realistische Rahmenbedingungen für die Modernisierung der Transporter, da Unternehmen Planungssicherheit für die weitere Nutzung der Fahrzeuge benötigen. Schließlich seien sie auf sie angewiesen.

Genau wie Taxiunternehmer Wolters. Er glaubt noch an die Unterstützung von Politik und Autoindustrie. Ohne diese bleibe ihm am Ende nichts anderes übrig, als die Mehrkosten an seine Kunden weiterzugeben. Dieses Szenario droht im Falle eines Dieselverbotes wohl vielen Unternehmen und Verbrauchern.

https://www.welt.de/wirtschaft/article164515641/Dieselverbot-schwebt-wie-ein-Damoklesschwert-ueber-Deutschland.html

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