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Die eiserne Lady Kleinbritanniens

Es ist eine Szene, der eine gehörige Portion Legende anhaftet und die trotzdem europäische Geschichte ist. Sommer 1984, Budgetverhandlungen der Europäischen Gemeinschaft in Fontainebleau. Margaret Thatcher knallt mit den Worten „Ich will mein Geld zurück!“ ihre Handtasche auf den Tisch. Sie bekommt ihren Rabatt. Es ist der erste Akt für die fortan eine ständige Sonderrolle spielenden Briten.

Fast 35 Jahre später könnte sich in Brüssel eine ähnliche Szene ereignen, und wieder steht eine Frau in ihrem Mittelpunkt. An diesem Mittwoch will Theresa May in London Artikel 50 des EU-Vertrags ausrufen und damit den Ausstieg aus der Europäischen Union formell einleiten. Irgendwann zum Jahresende 2018 wird May aller Wahrscheinlichkeit nach in Brüssel am Tisch sitzen und die britischen Karten für das Brexit-Endspiel in der Hand halten. Macht Britanniens Premierministerin dann wahr, was sie ihren EU-Kontrahenten bereits androhte: „Lieber keinen Deal als einen schlechten Deal“?

Wer aber ist die Frau, die das Vereinigte Königreich, ja ganz Europa mit dem Brexit in eine neue Zeitrechnung führen muss? Mit der die Historiker eines Tages vielleicht das Ende von Winston Churchills Erbe und der europäischen Nachkriegsordnung verbinden: einem Großbritannien, eng an Europa angelehnt, ohne ganz europäisch zu sein. Mit der nachfolgende Generationen möglicherweise gar die Spaltung Europas und die Spaltung Großbritanniens selbst assoziieren?

May vegleicht sich mit Queen Elizabeth I

Mit ihrer Vorgängerin Margaret Thatcher ist Theresa May verglichen worden, auch mit ihrer Amtskollegin Angela Merkel, ebenfalls Pfarrerstochter. Von Thatcher ist May in vielerlei Hinsicht das krasse Gegenteil. Sie selbst verglich sich einmal mit Queen Elizabeth I. „Eine Frau, die wusste, was sie wollte, und das in einem rein männlichen Umfeld durchsetzte. Man sollte immer an ihren Ausspruch denken: ,Ich weiß, dass ich den Körper einer schwachen Frau habe, aber den Magen eines Königs.‘“

In ihrer langen Karriere hat Theresa May schon oft bewiesen, dass sie politische Tiefschläge ihrer männlichen Rivalen mit beeindruckender Härte verdauen kann. Volle sechs Jahre amtierte die Oxford-Absolventin als Innenministerin, länger als jeder ihrer Vorgänger seit Ende des 19. Jahrhunderts. Und das just auf dem Posten, auf dem man zwei der sensibelsten Bereiche britischer Politik managt: Immigration und innere Sicherheit.

Mit den größten Alphatieren aus David Camerons innerem Zirkel hat sie sich in dieser Zeit heftige Scharmützel geliefert. Mit Schatzkanzler George Osborne, mit Bildungsminister Michael Gove, mit Londons Bürgermeister Boris Johnson. Aus jedem Zusammenstoß ging sie unbeschadet hervor. Und nahm, als ihre Stunde gekommen war, Rache. Osborne und Gove überlebten politisch keine zehn Minuten, nachdem May am 13. Juli 2016 in die Downing Street Nummer zehn einzog. Sie zu feuern, war Mays erste Amtshandlung. Johnson setzte sie auf den Außenministerposten. Er wäre ihr, die während des EU-Referendums auf der Pro-EU-Seite gestanden hatte, als „echter“ Brexit-Mann außerhalb des Kabinetts zu gefährlich geworden.

Keine Politik für die „privileged few“

Härte gegen andere, aber vor allem gegen sich selbst ist ein Charakterzug, der May auszeichnet. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Cameron hat sie sich mühsam von der Lokal- über die Parteipolitik bis in den Westminster-Zenit vorgearbeitet. Als sie als gerade frisch gekürte Premierministerin davon sprach, dass ihre Regierung keine Politik für die „privileged few“, die wenigen Privilegierten machen werde, verstand jeder in London das auch als Seitenhieb auf den mit Silberlöffeln aufgewachsenen Cameron und seine Elite-Entourage.

Ihre scharfe Antwort auf die Ankündigung der Schotten, ein neuerliches Unabhängigkeitsreferendum abzuhalten, sprach Bände. „Politik ist kein Spiel“, sprach May Ende vergangener Woche mit vor Wut funkelnden Augen in die Kameras. Sie hasst Politiker, die Spielchen machen.

Die Maloche im politischen Maschinenraum ist indessen etwas, das Mays Wesen entspricht, weil sie als Tochter eines Pfarrers aus einfachen Verhältnissen stammend das Leistungsprinzip als Grundprinzip verinnerlicht hat. Wenn man ihr eine Aufgabe gibt, dann bringt sie diese zu Ende – koste es, was es wolle. Hat sie sich einmal für eine Position entschieden, dann zieht sie diese durch, sagt ihr Kabinettskollege Eric Pickles.

Der harte Brexit birgt Gefahren für May

Eine ehrenwerte Grundeigenschaft, die vielen in London, Berlin und Brüssel angesichts der Herkulesherausforderung Brexit Angst macht. Wird May sich der von ihr selbst ausgegebenen Losung „Brexit bedeutet Brexit“ tatsächlich kompromisslos unterwerfen und auf der totalen Kontrolle der EU-Einwanderung beharren? Der britische Preis für Mays „harten Brexit“ könnte der totale Absturz sein, wenn bereits im März 2019 die nur zweijährige Verhandlungsfrist mit der EU ausläuft. Niemand hält es ernsthaft für möglich, dass bis dahin ein so umfangreiches Freihandelsabkommen, wie es zwischen der EU und Großbritannien erforderlich sein wird, unterschriftsreif ist.

Es gibt allerdings auch jene, die glauben, dass May den europäischen Zeitgeist richtig liest und dieser ihr in die Hand spielen wird. Dass die Frustration der Wähler über eine gefühlt oder tatsächlich ungerechtere Gesellschaft, die vermeintlich von den Interessen der privilegierten Wenigen gelenkt wird, ein neues Denken erzwingt, dem sich auch die EU-Führer am Ende nicht verschließen können. In London, Brüssel und Berlin halten es nicht wenige für möglich, dass sich die EU-Staaten doch auf Kompromisse bei der Personenfreizügigkeit einlassen werden, weil die Stimmung bei ihnen zu Hause genau danach verlangt.

Trump empfängt mit May ersten ausländischen Staatsgast

Donald Trump hat eine aktive Woche hinter sich. Nun empfängt er als ersten ausländischen Staatsgast Theresa May. Wird es die große außenpolitische Liebe – ähnlich wie bei Reagan und Thatcher?

Quelle: N24

In ihrem Job als Innenministerin hat May Untiefen britischer Realität kennengelernt. Sklavenarbeit in London, islamistische Extremisten in Birmingham, vor Gewalt und Arbeitslosigkeit zerfallene einstige Industriestädte im Norden Englands. In ihrer Antrittsrede vergangenen Juli sprach sie vor allem von „the Union“, dass sie das zerrissene Land wieder zusammenführen will.

May gilt vor diesem Hintergrund jenen in der Tory-Partei als Hoffnungsträgerin, die den Idealen des „Kommunitarismus“ anhängen. Einer Gesellschaft, deren Grundpfeiler etablierte Gemeinschaften und die Familie sind. Die aber zwei Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte bedrohen: eine zu starke Einwanderung. Und das krasse Abwenden, sogar Lächerlichmachen traditioneller Werte.

Ein tiefer Graben spaltet die Briten

Was May als ihre politische Aufgabe erkannt hat, ist der wachsende Graben zwischen den „Anywheres“ und den „Somewheres“, wie es der Autor David Goodhart nennt. Die „Anywheres“, das liberale, mobile, londongesteuerte Großbritannien, die zu lange die „Somewheres“ dominiert haben. Jene, die sich gegen eine postnationale, postindustrielle Gesellschaft wehren. Das Brexit-Votum war der ultimative Beweis. May selbst ordnet sich eindeutig den „Somewheres“ zu. Sonntags geht sie in ihrer kleinen Gemeinde in Berkshire in die Kirche, zu ihrem 60. Geburtstag vergangenen Oktober lud sie keine Promis ein, sondern den Dorfmetzger.

„May hat eine Vision vorgegeben“

Theresa May möchte einen klaren Schnitt für Großbritannien. David Kohl, Chefvolkswirt Deutschland von Julius Bär, ist von der Qualität ihrer Pläne positiv überrascht. Schwierigkeiten sieht er vor allem in den Details.

Quelle: Die Welt

„Theresa May repräsentiert ein ganz gewisses England. Ein England, das viel kleiner ist, als es vor ein paar Jahrzehnten noch war“, sagt „Sunday Times“-Kolumnist Dominic Lawson. „Als sie auf dem Tory-Parteitag vergangenen Oktober die ,Citizens of Nowhere‘ kritisierte, die Bürger ohne Herkunft, stand sie voll hinter diesem Angriff.“ Vor allem die Finanz- und Wirtschaftselite in London reagierte auf Mays Anwurf, sie fühlten sich als Nutznießer der Globalisierung dem heimischen Gemeinwesen nicht verpflichtet, mit Empörung.

Dass sie im Gegensatz zu Cameron nur selten Interviews gibt und Reden hält, ähnelt der präsidentiellen Attitüde ihrer Amtskollegin Merkel. Dass May sich ganz anders als Thatcher gegen die freien Kräfte des Markts und für die Intervention des Staats ausspricht, ähnelt Merkels Zuwenden zur politischen Mitte ebenfalls.

Viele aber fragen sich jetzt, wie die geerdete May Kontrolle über die massiven Fliehkräfte zu Hause und auf dem Kontinent behalten will. Es braucht dazu mehr als den „Magen eines Königs“.

https://www.welt.de/politik/ausland/article163235967/Die-eiserne-Lady-Kleinbritanniens.html

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