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Der Krieg der Rockergangs gerät außer Kontrolle

Die Revierkämpfe konkurrierender Rockergangs eskalieren. Der einflussreichste Strippenzieher sitzt in der Türkei. Er tut, was sich in Berlin nicht einmal mehr manche Behörden und Politiker trauen.

Leipzig boomt, und wie. Ob Gewandhaus, Bachfest, Einkaufspassagen oder das Museum der bildenden Künste: Regelmäßig feiert die sächsische Messestadt neue Besucherrekorde. Ihrer Tourismusbranche könnte es kaum besser gehen. Doch an diesem Wochenende sind nicht alle Gäste willkommen.

Die Stadt hatte bis Montagmorgen, 6 Uhr, ein Einreiseverbot für drei verfeindete Rockergangs verhängt. Mitglieder der Hells Angels, der United Tribuns und der Red Devils müssen draußen bleiben. Hunderte Kuttenträger haben sich zur Beach-Party angesagt, die sächsischen Sicherheitsbehörden rechnen mit schweren Krawallen. Grundlage der Entscheidung sei eine „Gefährdungsanalyse der Polizei”, teilte ein Sprecher mit.

Die Vorsichtsmaßnahme hat gute Gründe. Leipzig hat ein massives Problem mit rivalisierenden Rockergangs, Ende Juni wurde ein Mann erschossen. Und nicht nur dort droht der Krieg der Kuttenträger unbeherrschbar zu werden. Im ganzen Land beobachten Ermittler eine Brutalisierung im Milieu.

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Polizei ist überfordert

Offenbar streben die Hells Angels wieder die Vormachtstellung in Deutschland an, um sich weiter Einahmen aus Glücksspiel, Drogen, Schutzgelderpressung und Prostitution zu sichern. „Wir beobachten die Entwicklung bei kriminellen Rockergruppierungen in Deutschland schon seit einiger Zeit mit Sorge”, sagt André Schulz, Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Man müsse aufpassen, dass die Konflikte nicht völlig außer Kontrolle gerieten. „Die Polizei ist in fast allen Ländern personell und technisch nicht in der Lage, die Rocker ernsthaft länger unter Wind zu halten.” Schulz plädiert dafür, kriminelle Rockergruppen generell zu verbieten. Das sei „kein Allheilmittel, aber ein deutliches Zeichen des Rechtsstaates”.

Die Zeiten, in denen Rocker ihre Revierkämpfe mit bloßen Fäusten austrugen, sind lange vorbei. Heute wird scharf geschossen. Viele Gangmitglieder verzichten auch auf das einstmals obligatorische Motorrad. „Manche haben nicht mal den nötigen Führerschein”, weiß ein Ermittler. Die Gangs haben anderes zu tun, als in Formation durch die Gegend zu biken. Sie kassieren ab, schüchtern ein, schlagen zu. Als Fortbewegungsmittel kommen oft eher aufgemotzte Limousinen als Zweiräder zum Einsatz.

Gangnamen und Loyalitäten wechseln, man kommt kaum noch mit. Früher gab es drei, vier Gangs wie die Angels und die Mongols. Früher galt, einmal Angel, immer Angel. Heute schießen ständig neue Gruppen aus dem Boden, mit neuen Namen. Immer mehr Rockertrupps sortieren sich nach ethnischer Herkunft: Viele junge türkischstämmige Männer drängen zu den Hells Angels und deren Supporter-Clubs, zu den „Osmanen„. Bei den mit ihnen verfeindeten United Tribuns hingegen finden sich Iraner, Albaner, Kosovaren, Araber und Serben.

„Gerade die türkischen Organisationen haben sehr starken Zulauf”, berichtet ein Beamter. Die jungen Männer seien oft orientierungslos und „bereit, für Anerkennung Straftaten zu begehen”. Was die Gangs eint, ist die Gier nach Geltung und Geld.

Mehr Angst vor Hells Angels als vor Justiz

Vor allem in den letzten Wochen haben sich die Revierkämpfe zugespitzt. Im baden-württembergischen Heidenheim starb im April ein Mitglied der United Tribuns, nachdem ein Anhänger der Black Jackets auf ihn gefeuert hatte. In der Frankfurter City kam es im Mai am hellen Tag zu einer wilden Schießerei, zwei Männer wurden schwer verletzt. Die Täter sind flüchtig. Auch hier führen die Spuren ins Rockermilieu.

In Hamburg wurden Mitte Juni der Ex-Vizechef der Mongols und seine Freundin von einem Unbekannten in seiner Wohnung niedergestreckt. Der maskierte Schütze entkam. Auch hier vermutet die Polizei Rivalitäten. Dass die Mongols inzwischen mehr Angst vor den Hells Angels haben müssen als vor Polizei und Justiz, zeigt ein aktueller Fall aus der Hansestadt: Erkan U., der Ex-Chef der Mongols, wurde zwar zu zweieinhalb Jahren Haft wegen illegalen Waffen- und Drogenbesitzes verurteilt, dann aber auf freien Fuß gesetzt. Keine Fluchtgefahr, befand das Gericht. Ein Trugschluss. Erkan U. tauchte unter und konnte erst am Wochenende in Nürnberg wieder festgesetzt werden.

In Leipzig findet sich der Schauplatz der Gewaltexzesse meist in der Eisenbahnstraße im Osten der Stadt. Die ist zwar in keinem Reiseführer verzeichnet. Das Revier der Rocker macht mit seinem Ruf als „kriminellste Meile Deutschlands” aber längst überregionale Schlagzeilen. Allein in den vergangenen 18 Monaten kam es dort zu 44 Razzien in Spelunken und Klubs.

Ende Juni feuerte ein Bandenmitglied der Hells Angels in der Eisenbahnstraße auf einen Mann der verfeindeten United Tribuns. Der 30-jährige Schütze wurde gefasst, gegen den Chef der örtlichen Hells Angels Haftbefehl erlassen. Nun rechnen Beamte des sächsischen Landeskriminalamtes mit harter Vergeltung. Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung warnt: „Wir haben es hier mit gut organisierter, schwerster Kriminalität zu tun.”

Verdächtiger wird „der Schönling” genannt

Auch in Berlin tobt der Krieg der Kutten. Vor wenigen Wochen wurde ein 35 Jahre alter Araber im Bezirk Mitte niedergeschossen – direkt vor dem Lokal des Hells-Angels-Bosses Kadir P., der wegen Anstiftung zum Mord in Untersuchungshaft sitzt. Das Opfer schleppte sich ins Krankenhaus, weil die Oberschenkelwunde nicht aufhörte zu bluten. Nach der Operation informierte das Krankenhaus die Polizei. Deren Pressestelle veröffentlichte eine Meldung, ohne die Verbindung zum Rockermilieu mitzuteilen. Doch nach Informationen der „Welt am Sonntag” wird der Fall vom Fachkommissariat 422 bearbeitet, dessen Beamte für Rockerkriminalität zuständig sind.

Hinter der Schießerei steckt nach Erkenntnissen von Ermittlern ein alter Bekannter. Der agiert nicht in Berlin, Hamburg oder Leipzig, er spinnt seine Fäden von der Türkei aus. In Deutschland wird er per Haftbefehl gesucht: Neco Arabaci, 44, genannt „der Schönling”. Lange schwarze Haare, offenes Hemd, dicke Uhr. In Polizeikreisen gilt er als einer der gefährlichsten Rocker, die es hierzulande je gab.

Früher war Arabaci Chef der Hells Angels in Köln. Durch brutale Erpressungen, Prostitution und Drogenhandel erkämpfte sich der Mann seinen Ruf in der Szene. Arabaci wurde im September 2004 zu neun Jahren Haft verurteilt und schließlich in die Türkei abgeschoben. Heute agiert er von Izmir aus.

Er tut, was sich in Berlin nicht einmal mehr manche Behörden und Politiker trauen: Arabaci legt sich mit den mächtigen arabischen Großfamilien an, die dort seit Jahren die lukrativen Geschäftsfelder Drogen, Schutzgelderpressung, Prostitution und Menschenhandel kontrollieren. Bei seiner unfreundlichen Übernahme geht Arabaci strategisch vor. Er nutzt die Rocker-Strukturen und baut sie für seine Interessen um. Er wechselt die Gangs wie Hemden. Sie sind nur noch Masken der Kriminalität. Zum Hells-Angels-Boss der Türkei aufgestiegen, gründete er über Mittelsmänner einen Unterstützer-Klub in Gießen, die Guerilla Nation Nomads. Und diese neue Vereinigung betreibt nun einen Ableger in Berlin.

Im Bezirk Wedding ist Schutzgeld verbreitet

Ihre Mitglieder sind ehemalige Hells Angels. Die Berliner Höllenengel hatten sich2012 aufgelöst, um einem Verbot zuvorzukommen. Die Guerilla Nation Nomads sind in Berlin inzwischen auf eine knapp 40 Mann starke Truppe angewachsen. Vor allem im Norden der Stadt verbreiten sie Angst und Schrecken. „Es gibt im Berliner Bezirk Wedding kaum noch einen Lokalbetreiber, der nicht Schutzgeld zahlen muss, um sein Geschäft weiterführen zu können”, berichtet ein Ermittler.

Neco Arabaci hat einen Ruf wie Donnerhall. Vor zehn Jahren soll er aus dem Gefängnis heraus telefonisch angekündigt haben, dem für ihn zuständigen Staatsanwalt eine Kugel in den Kopf jagen zu wollen. Er wurde freigesprochen, obwohl Übersetzer die Sequenz klar erkannt haben wollen. Die Todesdrohung machte dem Juristen so zu schaffen, dass er aus dem Dienst ausschied.

Arabaci blieb seinem Gewerbe dagegen treu. Nun halten die Zöglinge des „Schönlings” in vielen deutschen Städten Einzug. So gründeten zwei Deutschtürken in Düsseldorf gerade den Rockerklub „Osmanen Germania„. Ermittler gehen davon aus, dass Arabaci das Duo steuert. Das Problem mit vielen türkischstämmigen Rockern, sagt ein Ermittler, sei deren absolute Skrupellosigkeit. Der ehemalige Boxer Kadir P. trat 2010 in Berlin über Nacht mit 80 Gefolgsleuten von den Bandidos zu den Hells Angels über. Von einem Tag auf den anderen betrachtete er seine bisherigen Brüder als Feinde. In der Folge fielen die Rocker mit Axtstielen, Messern und Macheten übereinander her.

Aber nicht nur untereinander entfesselt sich diese neue Brutalität. Manche Gangs geben die Parole aus, bei Überprüfungen oder Festnahmen so viel Widerstand wie möglich gegen Polizisten zu leisten. Die Kampfansage ist bei der Polizei angekommen, die Reaktionen sind unterschiedlich. Kontrolliert ein normaler Streifenbeamter einen Rocker im Verkehr, zittert ihm schon mal die Hand, wenn er den Führerschein gereicht bekommt – oder winkt ihn gleich durch, wenn er die Kutte sieht.

Polizisten aus Spezialeinheiten sehen solchen Begegnungen gelassener entgegen. „Vor uns haben diese Typen Angst”, sagt ein SEK-Mitglied. „Die Rocker wissen ganz genau, wie ihr Klubheim hinterher aussieht, wenn sie unseren Kollegen auf der Straße etwas tun.” Dann gelte der alte Polizeikodex der „festnahmebedingten Unordnung im Gesicht” – natürlich alles streng nach Recht und Gesetz.

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