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«Der Aktienkurs bewegt sich, wenn wir Resultate liefern»

Diese Woche fiel die Aktie der Credit Suisse unter zehn Franken. Nach dem monatelangen Kurszerfall fordert deren Chef Tidjane Thiam von enttäuschten Anlegern Geduld.

NZZ am Sonntag: Diese Woche ist die Aktie der Credit Suisse erstmals vorübergehend unter 10 Fr. gefallen, seit Januar hat die Aktie über 50% an Wert eingebüsst. Warum haben die Anleger so wenig Vertrauen in die CS?

Tidjane Thiam: Alle Bankaktien stehen unter enormem Druck in einem schwierigen und volatilen Umfeld. Bei der Credit Suisse kommt hinzu, dass wir uns inmitten einer wichtigen Restrukturierung befinden. Die Märkte wollen Resultate sehen, bevor sie uns mehr Vertrauen entgegenbringen. Die Anleger verhalten sich gegenwärtig sehr risikoscheu und rechnen eine Sicherheitsmarge mit ein. Die Antwort darauf ist: Wir müssen unsere Versprechen einhalten und überzeugende Resultate liefern.

Welche?

Wir reduzieren die Bilanz und die Risiken in grossem Mass. Wir mussten eine Anzahl fundamentaler Änderungen der Situation vornehmen, die ich bei meinem Start letztes Jahr vorgefunden habe. Ende September 2015 hatten wir im Schnitt deutlich mehr Handelsrisiken als andere europäische Banken, jedoch signifikant weniger Eigenkapital. Das war keine komfortable Lage. Seither haben wir das Kapital erhöht und die Risiken im ersten Quartal 2016 um fast 30% abgebaut. Das war das erste operative Quartal mit der neuen Organisation und Strategie – und für mich der eigentliche Start. Wir haben in den auf die Vermögensverwaltung ausgerichteten Geschäftsbereichen rund 1 Mrd. Vorsteuergewinn erzielt, wir haben unsere Risiken massiv verringert. Es war ein richtiger Entscheid, im Februar die illiquiden Positionen zu verkaufen – auch wenn dies eine grosse Debatte auslöste. Am Tag nach dem Brexit waren alle froh, dass wir diese Positionen nicht mehr hielten.

Aber der Aktienkurs der CS hat sich sogar schlechter entwickelt als jener der Deutschen Bank, die ebenfalls restrukturieren muss.

Das sind bei dieser starken Volatilität keine riesigen Unterschiede. Wir zielen nicht darauf ab, kurzfristig den Aktienkurs zu beeinflussen, sondern arbeiten an der Umsetzung unserer langfristigen Strategie, um im Laufe der Zeit Mehrwert für die Aktionäre zu erzielen. Der Aktienkurs wird sich bewegen, wenn wir Resultate liefern und den Beweis erbringen, dass sich unsere Strategie bewährt. Im ersten Quartal haben wir gezeigt, dass wir wachsen können – und gleichzeitig waren wir die einzige grosse europäische Bank, deren Kernkapitalquote nicht gesunken ist. Wir erzielen Fortschritte in verschiedenen Bereichen, erstmals sinken die Kosten tatsächlich. Der volle Nutzen der Restrukturierung wird sich erst später zeigen, Quartal für Quartal.

Haben Sie den Abbau von Bilanzpositionen nach den schlechten Marktbedingungen Anfang Jahr im zweiten Quartal beschleunigt?

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Wir haben im ersten Quartal 2016 eine Beschleunigung unserer Umstrukturierung bekanntgegeben. Die Märkte waren schon schwierig im vierten Quartal 2015. Der Markt war durch die Besorgnis über eine allfällige Zinserhöhung in den USA geprägt, in China brachen die Börsen ein, der Ölpreis fiel, zu Jahresbeginn erlebten wir extrem schwache Finanzmärkte, und jetzt kommt noch der Brexit hinzu. Das war nicht wirklich eine ruhige Periode. Wir haben das Programm zur Reduktion des Handelsgeschäfts tatsächlich noch beschleunigt. Wären die Märkte in besserer Verfassung gewesen, hätten wir dies schneller tun können. Im ersten Quartal haben wir das Ausmass der potenziellen Verluste, die in einem gravierenden Stressszenario anfallen könnten, halbiert. Das ist substanziell. Wir haben die CS sicherer gemacht, als sie je war. Das Verlustpotenzial, der Value at Risk, ist so tief wie nie zuvor.

Wie stark drücken spekulative Leerverkäufer heute den Kurs der Credit-Suisse-Aktie?

Wenn man eine Restrukturierung durchläuft, ist das eine normale Marktreaktion: Spekulative Anleger können auf das Resultat ihrer Massnahmen wetten – und das machen sie auch. Immer, wenn ein Unternehmen restrukturiert, setzen spekulative Anleger auf einen sinkenden Aktienkurs. Denn viele Restrukturierungen scheitern. Darum ist der heutige Aktienkurs kein guter Indikator für die Befindlichkeit unserer Bank, die eine tiefgreifende Umstrukturierung durchläuft. Ich bin überzeugt, dass sich der Aktienkurs erholen wird, sobald wir Resultate liefern.

Sie fahren das Investment Banking zurück. Nun sollen Mitarbeiter in New York sehr unzufrieden sein. Wie stark ist der Widerstand?

Ich spüre keine Opposition, aber es gab angespannte Momente – was in diesen schwierigen Zeiten auch verständlich ist. Seit ich meine Aufgabe bei der Credit Suisse übernommen habe, war ich schon mehrmals in New York und jedes Mal auch in den Handelsräumen. Die Investmentbanker verstehen unsere Strategie, auch wenn es ein schmerzhafter Weg ist: Sie müssen den Handel mit weniger Kapital betreiben, sie können nicht so viel handeln wie zuvor – und müssen zudem gleichzeitig noch die Kosten senken. Wir streichen rund 1000 Arbeitsplätze an der Front in New York. Das ist schwierig, aber nötig.

Wie sind die Reaktionen?

Ich bin sehr erfreut über den Einsatz und das Engagement unserer Leute. Ich habe diese Woche eine E-Mail versendet, um allen unseren Händler-Teams zu gratulieren, wie sie die Bank durch die Brexit-Wirren geführt haben. Ich war auf dem Trading Floor in London am Tag nach der Brexit-Abstimmung. Einige unserer Leute haben 36 Stunden durchgearbeitet, in einem gewissen Moment hatten wir das 27-Fache des normalen täglichen Handelsvolumens. Unsere Systeme funktionierten ohne Unterbrechung. Das war ein echter Test für die Stärke unserer Organisation.

Warum haben sich die Auszahlungen von Extra-Boni 2015 verdreifacht, warum hat die Credit Suisse trotz einem Verlustjahr 2,9 Mrd. Boni verteilt?

Die erwähnten Extra-Zahlungen sind bereits im April publiziert und sehr gezielt ausgerichtet worden. Sie entsprechen weniger als 2% der gesamten Salärausgaben und dienten unter anderem dazu, sehr talentierte Mitarbeiter in Schlüsselfunktionen an die Bank zu binden oder Neuangestellte für verlorene Gehaltszahlungen beim alten Arbeitgeber zu entschädigen. Insgesamt haben wir aber die Ausgaben für Gehälter letztes Jahr um 11% gesenkt, die Boni im Investment-banking (Global Markets) um 36%. Das hat es zuvor noch nie gegeben.

Ihre 48 200 Mitarbeiter erhielten letztes Jahr im Schnitt 239 544 Fr., fast das Doppelte der besten Pharmafirmen. Warum ist das selbst in einem Verlustjahr so?

Man kann einen Lohnvergleich zwischen Unternehmen nicht auf Basis von Durchschnittswerten anstellen. Bei uns arbeiten etwa 17 000 Mitarbeiter in der Schweiz, weil wir hier eine grosse Universalbank unterhalten. In Asien haben wir im Wesentlichen eine Investmentbank, in New York betreiben wir vor allem ein Invest-ment-Banking- und Handelszentrum. Wenn Sie das alles mischen, einen Durchschnitt berechnen und diesen mit dem Schnitt einer Pharmafirma vergleichen, erhalten Sie zwei unterschiedliche Zahlen, die jedoch sehr schwierig zu vergleichen sind. Jeden Tag erhalten Mitarbeiter von uns Offerten von der Konkurrenz, die zwei- bis dreimal so hoch sind wie das Gehalt, das wir zahlen. Das ist die Realität des Marktes.

Im Juni hat die Nationalbank von der CS verlangt, das Eigenkapital aufzustocken. Warum braucht es erneut eine solche Aufforderung?

Ich spreche regelmässig mit SNB-Vertretern. Der SNB-Bericht zur Finanzmarktstabilität, auf den Sie sich beziehen, wurde falsch interpretiert. Wir kommen darin besser weg als je zuvor, und die SNB hat unsere Fortschritte positiv beurteilt. Diese für uns wichtige Einschätzung habe ich in einer internen Mitteilung an unsere Mitarbeiter weitergegeben. Die grossen Anstrengungen der Grossbanken beim Kapitalaufbau werden hervorgehoben. Dass der Bericht falsch verstanden wurde, zeigt, wie nervös die Märkte sind.

In dem Bericht steht, dass beiden Banken je 10 Mrd. Fr. fehlen, um eine wesentliche Kernkapitalquote, die Going-Concern-Leverage-Ratio, zu erfüllen.

Wir haben bereits offengelegt, wie wir dieses Kapital aufnehmen wollen. Wir brauchen bis 2020 zusätzliches hartes Eigenkapital im Umfang von lediglich 2,2 Mrd. Fr, dies ist mit unserem Geschäftsplan mehr als abgedeckt. Darüber hinaus werden wir bis 2024 unsere bestehenden bedingten Wandelanleihen im Umfang von 18,5 Mrd. Fr. an den jeweils ordentlichen Kündigungsterminen so im Markt erneuern, dass die Kriterien für Going-Concern-Kapital weiterhin erfüllt bleiben. Das ist ein normaler Prozess im Anleihen-markt. Ich kann unseren Kunden versichern: Es gibt kein Kapitalproblem bei der Credit Suisse.

Die gewichtete Kernkapitalquote (CET1) befindet sich derzeit bei 11,4%. Die CS selbst hat erklärt, sie wolle bis Ende 2018 13% erreichen. Da klafft noch eine Lücke.

Uns bleiben noch 11 Quartale, das abgeschlossene zweite Quartal 2016 mitgezählt. Wir senken die Kosten. Das können wir noch beschleunigen. Wir verkaufen Vermögenswerte und reduzieren die risikogewichteten Aktiven. Wir haben Erfahrungen darin, in schwierigen Zeiten Kapital aufzubauen. Schauen Sie sich die kommenden Quartale der CS an. An diesen lassen wir uns messen, und ich bin optimistisch. Es besteht kein Zweifel, dass wir bis Ende 2019 sämtliche Vorgaben beim Eigenkapital erfüllen werden.

Sie fordern Geduld von den Investoren. Glauben Sie, dass Ihnen Zeit bis Ende 2018 gegeben wird?

Wir haben erst ein Quartal der Restrukturierung hinter uns. Das erste von insgesamt zwölf. Und gewisse Fortschritte sind bereits erkennbar. Wir haben die Kosten gesenkt. Der Markt sieht das. Aber klar ist auch: Die Bank hat sich jahrelang in eine bestimmte Richtung bewegt, und jetzt brauchen wir mehrere Quartale, die Richtung wieder zu korrigieren. So etwas ist nicht in einem Quartal zu schaffen.

Ihre Gewinnziele wirken sehr ambitioniert. Sind sie zu ehrgeizig?

Wir wollen eine sichere Bank sein, aber auch eine ambitionierte Bank. Wer mittelfristig Erfolg haben will, muss sich hohe Ziele setzen. Wenn von vornherein jeder glaubt, dass die Ziele ohnehin erreicht werden, sind diese nicht viel wert. So funktioniert Mitarbeitermotivation. Jeder in der Bank soll das Beste geben. Deswegen wiederhole ich heute sehr bewusst, dass die CS 2018 in den drei Geschäftsbereichen mit Vermögensverwaltung 6,5 Mrd. Fr. Vorsteuergewinn machen soll. Im ersten Quartal 2016 haben wir rund 1 Mrd. Fr. verdient, wobei sich alle Experten einig sind, dass das Umfeld sehr schwierig war. Eine Steigerung um 50% ist durchaus erreichbar.

Erstens: Das Wealth Management soll den Gewinn auf 2,1 Mrd. steigern. Sogar Bereichsleiter Khan nennt das «herausfordernd».

Die Chefs der einzelnen Divisionen haben in der Kommunikation mit ihren Mitarbeitern gesagt, dass die Ziele herausfordernd, aber erreichbar sind. Ich bin hier, um herauszufordern. Man sollte nicht zu viel in ein einzelnes Quartal hineinlesen. Auch im schwierigen ersten Quartal konnten wir in den drei auf die Vermögensverwaltung ausgerichteten Geschäftsbereichen Neugelder anziehen.

Zweitens: Asien soll den Gewinn sogar mehr als verdoppeln.

Wir haben in Asien im ersten Quartal besser abgeschnitten als alle anderen Banken.

Drittens: In der Schweiz soll der Gewinn um 40% steigen, von 1,6 Mrd. auf 2,3 Mrd. Fr.

Auch in der Schweiz macht das Team einen guten Job. Ich glaube absolut an die Schweiz, es ist das vermögendste Land der Welt. Und wir haben eine grossartige Bank mit einem wertvollen Brand. Der eigentliche Wert der Schweizer Universalbank wird mit dem Wachstum über die kommenden Jahre ersichtlich. Sie ist unser Kronjuwel.

Aber die Schweizer Wirtschaft wächst nur um etwa 1%.

Das ist richtig, aber wenn wir jedes Jahr um 2% wachsen und die Kosten um 3% senken, erreichen wir unser Gewinnziel in der Schweiz bis 2018. Das ist nicht unrealistisch.

Nach der letzten Kapitalerhöhung um 6 Mrd. Fr. haben Sie gesagt, es sei nicht möglich gewesen, mehr einzunehmen. Woher soll 2017 das Interesse am Börsengang der Schweiz-Tochter kommen?

Wir haben Indikationen, dass momentan bestehende Grossaktionäre CS-Titel zukaufen. Also würde ich bestreiten, dass am Markt kein Interesse an der CS besteht. Und die Credit Suisse Schweiz wird einzigartig sein: Es gibt keine kotierte auf die Schweiz fokussierte Bank dieser Grösse. Einzigartige Unternehmen generieren das Interesse von Anlegern. In Asien fragen mich Investoren jetzt schon, wann der Börsengang anstehe.

Wie nervös sind die Kunden angesichts des tiefen Aktienkurses?

Ich will klar festhalten: Die Bank ist heute sicherer als je zuvor. Der Aktienkurs darf nicht verwechselt werden mit der Sicherheit der Bank und der Solidität unserer Bilanz.

Ist es in jüngster Zeit zu Abflüssen von Kundengeldern gekommen?

Die Mitarbeiter der Credit Suisse leisten Grossartiges. Ich treffe mich regelmässig mit Gruppen von Angestellten zum Kaffee und bin begeistert über ihren Einsatz. Sie reden mit Kunden, erklären ihnen die Situation. Die Bank hat eine 160-jährige Geschichte. Wir sind schon lange da – und werden noch lange weitermachen. Manchmal halten mich Leute auf der Strasse an, um mich zu ermuntern, unseren eingeschlagenen Kurs fortzusetzen. Das sind gute Momente. Sie sind sehr ermutigend.

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