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Das plötzliche Ende der negativen Zinsen

Menschen denken in Glockenkurven. Das, was sie tagtäglich sehen und erleben, halten sie auch in naher Zukunft für das Wahrscheinliche. Wie die dicke Wölbung der Glocke nach oben, die gaußsche Normalverteilung in der Sprache der Mathematiker. Geschehnisse, die links und rechts an den Rändern des Möglichen liegen, sehen Menschen hingegen nicht als Teil ihrer Realität. So war es auch mit den Zinsen. Lange wurde die Möglichkeit, dass Zinsen auf unter null fallen könnten, für lachhaft gehalten. Heute lacht niemand mehr, für Millionen Sparer sind Minuszinsen ein Ärgernis sondergleichen.

Die Absurdität negativer Zinsen ist zur Normalität geworden. Doch just in dem Moment sind Bauch und Ränder der Glocke in Schwingung geraten. Als wäre mit der Wahl Donald Trumps ein Riss durch die Welt gegangen, kehren sich die Werte um. Schneller als gedacht, viel schneller, könnte die Ära negativer Renditen zu Ende gehen. Für Sparer wie für Verbraucher hat das weitreichende Konsequenzen.

Eine Umfrage des Finanzdienstes Bloomberg unter führenden Volkswirten hat ein überraschendes Ergebnis gebracht: Bei deutschen Bundesanleihen könnte ein brutaler Zinssprung bevorstehen.

Anfang vom Ende des Kaufprogramms

In den entwickelten Volkswirtschaften wird mehr über die Rückkehr der Inflation (im Fachjargon „Reflation“) geredet. Auch die Europäische Zentralbank trägt ihr Scherflein dazu bei, will die EZB doch ab April 2017 ihre monatlichen Anleihekäufe verringern, und zwar von 80 Milliarden auf 60 Milliarden Euro. Viele Beobachter bewerten das als den Anfang vom Ende des umstrittenen Kaufprogramms. Schon wird für die kommenden Quartale ein Zinsanstieg auf 0,6 Prozent bei den zehnjährigen Bunds für möglich gehalten.

An den Anleihemärkten wächst die Nervosität

Quelle: Getty Images

„Im Vergleich zum letzten Jahr oder den letzten Monaten, als wir einen anhaltenden Trend zu niedrigeren Renditen hatten, … ist das ein neues Szenario für Investoren“, sagte Christian Reicherter von der DZ Bank in Frankfurt, dem Finanzdienst Bloomberg.

Schon vergangene Woche ist die zehnjährige Rendite auf den höchsten Stand seit elf Monaten geklettert. Negativ sind nur noch die Renditen von Anleihen mit einer Laufzeit von maximal sieben Jahren. Die zehnjährigen Bundesanleihen werfen bereits 0,4 Prozent Zins ab, positive Rendite. Im Juli verzeichneten diese Papiere, die für ganz Europa als Messlatte gelten, ein Rekordtief von minus 0,21 Prozent. Zinsen über der Nulllinie schienen außerhalb des Denkbaren, eben fern der Glockenwölbung.

Bei Zehntausenden Papieren legten Anleger drauf

Die Dynamik der Ereignisse seit der US-Präsidentschaftswahl zwingt die Experten zum Umdenken. Erstmals seit März sehen die Befragten in der Umfrage bald keine Rendite unter null mehr. Bislang galt sogar noch Ende 2018 ein negativer Zins über die ganze Palette der Bundesschuldtitel als ausgemacht.

Weltweit betrug das Volumen der Anleihen mit einer Minusrendite zeitweise knapp zwölf Billionen Dollar. Es handelte sich um Zehntausende von Papieren, mit denen Anleger letztlich drauflegten. Das war Anfang Juli. Inzwischen sind nur mehr rund neun Billionen Dollar Bonds im negativen Bereich. Eine solche mächtige Marktbewegung erinnert an das Jahr 1994, als es scheinbar aus heiterem Himmel zum Umschwung am Bondmarkt kam.

Der globale Bondmarkt hat durch die Zinswende massive Verluste erlitten. Denn eine steigende Rendite bedeutet für die bereits am Markt befindlichen Papiere einen Rückgang des Kurses. Für Investoren wie Mischfonds läuft das auf Buchverluste in Höhe von rund vier Billionen Dollar hinaus.

Um 45 Billionen Dollar geschrumpft

Die vier Billionen Dollar Kursverluste entsprechen mehr als der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung eines Jahres. Der Anleihemarkt gehört zu den größten Märkten überhaupt. Nach den Verlusten ist er auf 45 Billionen Dollar geschrumpft. Das trifft in erster Linie hoch verschuldete Staaten, deren Kreditaufnahme sich verteuert. Für die USA bedeutet ein Zinsanstieg von einem Prozentpunkt eine Mehrausgabe von 200 Milliarden Dollar im Jahr.

Doch auch Private sind betroffen. Vor allem risikoaverse, konservative Investoren haben praktisch keine Möglichkeit, am Bondmarkt vorbeizukommen, wollen sie ihr Geld über einen längeren Zeitraum anlegen. Der beliebte Mischfonds Ethna Aktiv E hat Anlegern ein Minus von 4,5 Prozent beschert. Der Carmignac Patrimoine hingegen schnitt besser ab und konnte in den Marktgewittern ein Plus von mehr als vier Prozent für die Anleger herausholen.

Auch wenn Profis ein Ende der Minuszins-Ära prognostizieren, erwarten sie doch eine graduelle Entwicklung, keine Revolution. Im Mittel sehen die Umfrageteilnehmer erst Ende 2018 die zehnjährige Rendite bei einem Prozent. „Es ist ein moderater Anstieg“, sagt Reicherter. Stoppte die EZB ihre Anleihenkäufe, „könnte es einen viel steileren Anstieg der Bondrenditen geben“. Mit fortgesetzten Anleihekäufen sei ein maßvolles Plus wahrscheinlicher. Doch hier könnte abermals die Glockenkurve relevant werden. Zinsanstiege nämlich verlaufen eher selten moderat. Und die Zinsprognosen der Experten sind für ihre Unzuverlässigkeit berüchtigt.

https://www.welt.de/finanzen/article160236365/Das-ploetzliche-Ende-der-negativen-Zinsen.html

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