Dschihadisten den Pass entziehen? Ausländerrechtsexperte Kay Hailbronner sieht gesetzliche Hürden. Er rät, früher anzusetzen – und „den Erwerb der Staatsangehörigkeit noch einmal genau anzuschauen”.
Die Welt: Liegt der momentane Rückgang der Flüchtlingszahlen am Abkommen der EU mit der Türkei oder an den nationalen Grenzschließungen?
Kay Hailbronner: Ob Ausreisewillige wegen des Abkommens in der Türkei bleiben oder weil sie per SMS benachrichtigt wurden, dass der Weg in die Wunschländer versperrt ist, lässt sich schwer feststellen. Mir scheint die Grenzschließung der Österreicher und die dadurch ausgelöste Kettenreaktion bis Mazedonien die Hauptursache für den Rückgang der Asylbewerberzahlen zu sein.
Die Welt: Ist die Flüchtlingskrise überstanden?
Hailbronner: Von überstanden kann wohl noch nicht die Rede sein. Entscheidend für eine Reduzierung der Zahlen ist, ob die Rückführungen von Griechenland in die Türkei tatsächlich durchgeführt werden. Bisher gelingt das nur zögerlich – vorwiegend waren es Migranten, die freiwillig zurückgegangen sind oder die keinen Asylantrag in Griechenland stellen wollten.
Die Welt: Rechnen Sie mit einem erneuten Anstieg?
Sollte es Griechenland mit EU-Hilfe gelingen, relativ kurze Individualprüfungen durchzuführen, dann hätten Rückführungen einen erheblichen psychologischen Effekt: Eine Reise über das Mittelmeer lohnt sich dann nicht mehr.
Wir beobachten aber jetzt schon mehr Migranten auf der Route nach Italien; deshalb wird es wichtig sein, weitere sichere Staaten oder Aufnahmezonen in der Herkunftsregionzu etablieren, in die analog zu dem Abkommen mit der Türkei Migranten nach kurzer Prüfung zurückgeführt werden könnten. Freilich ist völlig offen, ob auf EU-Ebene so etwas gelingt. Kurzfristig rechne ich mit einem erneuten Anstieg der Asylbewerberzahlen.
Die Welt: Werden diese Hauruck-Verfahren in Griechenland überhaupt den Flüchtlingen gerecht? Ist das Recht auf individuelle Prüfung der Schutzbedürftigkeit nicht de facto ausgesetzt?
Hailbronner: Meines Erachtens muss man deutlich machen, dass diese Verfahren eigentlich keine Asylverfahren sind – in dem Sinne, dass der Asylantrag in Griechenland umfassend geprüft wird. Es sollte nur geprüft werden, ob bei einer bestimmten Person besondere Umstände vorliegen, aus denen sich ergibt, dass die Türkei in ihrem konkreten Fall ausnahmsweise kein sicherer Drittstaat ist.
Die Welt: Nun steht die formale Einstufung der Türkei als sicherer Drittstaat noch aus …
Hailbronner: Das ist bislang einigermaßen unklar. Die Asylverfahrensrichtlinie schreibt nicht vor, dass sichere Drittstaaten in Gesetzestexten fixiert sein müssen. Es müssen aber Kriterien beachtet werden, um einen Staat als sicheren Drittstaat qualifizieren zu können.
Zweifel etwa an der Einhaltung des Rückschiebungsverbots müsste die EU und Griechenland beseitigen, indem sie gewissenhaft nachprüft, ob Personen tatsächlich vor Abschiebung in Verfolgerstaaten sicher sind. Wenn die freilich sehr vagen Berichte stimmen sollten, dass die Türkei Syrer ohne Asylprüfung in Verfolgerstaaten abschiebt – eine Abschiebung nach Syrien begründet noch keinen Verstoß –, dann muss die EU Druck machen, dass eine solche Praxis beendet wird.
Die Welt: Welcher Staat hat heute schon ein vorbildliches Asylsystem?
Hailbronner: In Europa keiner. Die Präferenz der klassischen Einwanderungsländer USA, Kanada und Australien auf Resettlement scheint mir aber sinnvoll. Sie nehmen nur sehr beschränkt irreguläre Migranten auf, aber viele Flüchtlinge im Wege der Auswahl aus den Krisenregionen – natürlich hat etwa Australien schon qua Geografie weniger mit irregulärer Migration zu tun.
Entscheidendes Element ist die Verbindung humanitärer Aufnahme mit einer längerfristigen Integrationsperspektive – aus der Erkenntnis heraus, dass die Aufnahmemöglichkeiten beschränkt sind und dass es sinnvoller ist, Humanität mit einer rationalen Wahrnehmung von Eigeninteressen zu verbinden. Mit anderen Worten: Unterschiedliche Formen von Schutzbedürftigkeit werden ebenso wie Integrationsfähigkeit als Auswahlkriterien herangezogen.
Da geht es nicht darum, den oft zitierten Facharbeiter zu rekrutieren, den bekommen Sie ohnehin nur in den seltensten Fällen. Aber Sie können etwa eher Familien mit noch integrationsfähigen kleinen Kindern aufnehmen, als alleinstehende junge Männer, die ohne ausreichende Schul- und Berufsausbildung nur minimale Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt haben.
Die Welt: Auch Deutschland wählt nach Integrationsfähigkeit aus …
Hailbronner: Ja, bei den Kontingentflüchtlingen aus Syrien ist das so. Das ist auch sinnvoll, doch wir bekommen wesentlich mehr Schutzsuchende über irreguläre Migration als über die humanitäre Aufnahme aus den Krisenstaaten.
Die Welt: Unionspolitiker fordern den Entzug der Staatsbürgerschaft von Doppelstaatlern, falls Sie für den IS gekämpft haben. Ist das rechtlich möglich?
Hailbronner: Eine Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit ist grundsätzlich ohne eine Grundgesetzänderung nicht möglich. Das Grundgesetz hat vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Gesetzgebung zur Ausbürgerung von Juden den Entzug der Staatsangehörigkeit ausgeschlossen.
Derzeit ist nur ein quasi aufgrund eigener freiwilliger Abwendung erfolgender „Verlust” der deutschen Staatsangehörigkeit möglich, wenn jemand auf Antrag eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt oder wenn er durch freiwilligen Eintritt in die Streitkräfte eines fremden Staates dessen Staatsangehörigkeit er erwirbt, seine dauernde Abwendung von Deutschland zum Ausdruck bringt.
Bei einer Zuwendung zu einer terroristischen Organisation im Ausland könnte wohl nur dann ein Verlustgrund konstruiert werden, wenn man analog einen staatsähnlichen Charakter des IS und eine entsprechende dauernde Abwendung von Deutschland annimmt.
Sinnvoll erscheint es jedenfalls, durch strengere Maßstäbe an die Erfüllung von Integrationskriterien beim Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit integrationsfeindliches Verhalten als Ausschlusskriterium vorzusehen und gegebenenfalls die Nichtmitgliedschaft oder -unterstützung bestimmter Organisationen, etwa salafistischer Gruppen, ausdrücklich zu verlangen. Falschangaben können dann mit der Rücknahme der Staatsangehörigkeit sanktioniert werden.
Die Welt: Wäre eine solche Verfassungs- oder Gesetzesänderung konform mit europäischem Recht?
Hailbronner: Ja, die Europäische Konvention über Staatsangehörigkeit lässt ausdrücklich auch als nachträglichen Entziehungsgrund die substanzielle Beeinträchtigung von nationalen Interessen zu. Andere europäische Staaten sehen solche Entziehungsgründe auch vor.
Ich würde aber früher ansetzen, wir sollten uns den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit noch einmal genau anschauen. Derzeit bekommt sie qua Geburt, wer mindestens ein Elternteil mit unbefristetem Aufenthaltsrecht hat und weracht Jahre legal im Land ist.
Das gewährleistet noch lange keineIntegration. Derzeit können Migranten in einer total salafistischen oder integrationsfeindlichen familiären Umgebung aufwachsen und die deutsche Staatsangehörigkeit erlangen. Wir müssen besser aufpassen, wen wir zum Deutschen machen.
Die Welt: Verspricht das geplante Integrationsgesetz hier nicht eine Verbesserung?
Hailbronner: Die Eckpunkte für das Integrationsgesetz enthalten einen wichtigen Punkt, weil die Anforderungen für eine Niederlassungserlaubnis an anerkannte Flüchtlinge erhöht werden. Derzeit wird das unbefristete Aufenthaltsrecht ohne Erfüllung von Integrationserfordernissen vergeben. Man sollte aber darüber hinaus erwägen, den Familiennachzug von der Erfüllung gewisser grundlegender Integrationsanforderungen abhängig zu machen.
Ob das Integrationsgesetz insgesamt ein Erfolg wird, hängt von der Umsetzung ab. Die Vorschläge, die Integrationspflichten stärker zu konkretisieren und integrationsfeindliche Verhaltensweisen stärker zu sanktionieren, gehen aber in die richtige Richtung. Voraussetzung ist ein politischer Wille, die Regelungen auch umzusetzen und nicht nur auf die symbolische Wirkung von Gesetzesänderungen zu setzen.
Die geplante Leistungskürzung bei Integrationsverweigerung ist sinnvoll; allerdings hatten wir bis vor wenigen Jahren eine gesetzliche Regelung über Leistungskürzungen, damals hat die Regelung nicht viel bewirkt, weil ihre praktische Anwendung auf große Schwierigkeiten gestoßen ist.
http://www.welt.de/politik/deutschland/article154811307/Besser-aufpassen-wen-wir-zum-Deutschen-machen.html