Seit Monaten gibt es Ärger um neue Regeln für Immobilienkredite in Deutschland. Vor allem Volksbanken und Sparkassen sind auf den Barrikaden und beklagen, dass sie älteren Hausbesitzern und jungen Familien seltener Baukredite geben können als bisher. Von einer regelrechten „Diskriminierung“ ist die Rede. Eine Bundesratsinitiative könnte nun Bewegung in die verfahrene Lage bringen.
Die Länderkammer berät am Freitag über einen Vorschlag von Bayern, Hessen und Baden-Württemberg, der aus Sicht der Finanzinstitute vieles einfacher machen würde. Das Gesetz würde wieder mehr Verantwortung für das Kreditrisiko vom Gläubiger auf den Schuldner übertragen.
„Wir begrüßen die Initiative der Bundesländer ausdrücklich“, sagte Georg Fahrenschon, Chef des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DGSV), der „Welt“. „Das zeigt uns, dass die Auswirkungen der aktuellen Gesetzeslage auch außerhalb der Kreditwirtschaft gesehen werden. Wir versprechen uns davon jetzt auch einen beschleunigten Meinungsbildungsprozess auf der politischen Ebene“, so Fahrenschon.
Wert darf keine Rolle mehr spielen
Hintergrund des Ärgers über Baukredite ist eine Richtlinie der Europäischen Union (EU), die seit März auch in Deutschland gilt. Seitdem muss der Kreditgeber ganz genau einschätzen, ob der Kunde die Schulden voll zurückzahlen kann – und ob das auch bis zur Rente oder überhaupt noch zu Lebenszeiten gelingen kann. Anders als bisher darf der Wert der Immobilie bei der Risikobewertung keine Rolle mehr spielen. Viele Berater tun sich mit dieser Risikoeinschätzung schwer. Denn wer will schon darüber spekulieren, ob ein Kreditnehmer eine Gefahr für den Tilgungsplan darstellt, weil er beispielsweise in seiner Freizeit riskante Klettertouren unternimmt?
Wenn er die konkreten Folgen der Richtlinie beschreiben soll, schildert Ralf Barkey, Chef des Rheinisch-Westfälischen Genossenschaftsverbands, gerne das Beispiel einer Bank aus seiner Organisation: Eine 64-jährige Rentnerin besitzt ein gänzlich schuldenfreies Haus im Rheinland und möchte es behindertengerecht umbauen. Dafür beantragte sie im Frühjahr einen 35.000-Euro-Kredit von ihrer Bank. Doch die lehnte ab. Früher wäre das wohl nicht passiert. Doch die Bank konnte nicht sicher einschätzen, ob sie den Kredit zu Lebzeiten zurückzahlen kann. Das Geld für den Umbau muss die Seniorin nun anders beschaffen.
„Die Richtlinie erschwert die Finanzierung des altersgerechten Umbaus der eigenen vier Wände und den Aufbau von Immobilienvermögen für junge Familien“, schimpft Barkey, „und Senioren werden regelrecht diskriminiert.“ Die Initiative der südlichen Bundesländer könnte vielen Beratern vor Ort das Leben wieder erleichtern. Allerdings würde sie auch einen wesentlichen Teil der EU-Richtlinie einfach wieder aushebeln.
Arno Gottschalk, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Bremen und SPD-Politiker, hält die Aufregung um die Richtlinie für überzogen. „Im Grunde genommen wird mit der Umsetzung der Kreditrichtlinie etwas in Gesetzform gegossen, was es schon längst gibt: die sorgfältige Prüfung der Ausfallrisiken des Kreditnehmers“, sagt er. „Hier müssen die Kreditgeber nun aber mehr Verantwortung übernehmen und können diese bei einer riskanten Finanzierung nicht auf die Kunden abwälzen.“ Solche Fälle seien jedoch ohnehin selten und die Proteste der Kreditwirtschaft deshalb nicht ganz nachvollziehbar.
Dass das Geschäft mit Wohnungskrediten in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern wie etwa Spanien oder den USA in sicheren Bahnen verläuft, sieht auch Georg Fahrenschon so. Dem Sparkassenpräsidenten zufolge seien die Berater vor Ort auch in der Vergangenheit verantwortungsvoll bei der Kreditvergabe vorgegangen. Die Ausfallraten der Wohnungsbaukredite bei den Mitgliedern des DSGV bewege sich daher im Promillebereich. Die Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie der EU habe nun jedoch zu einer Rechtsunsicherheit bei Beratern und bei Kunden geführt.
Sinkender Anteil junger und alter Käufer
Verbraucherschützer Gottschalk glaubt den Hintergrund zu kennen: „Die Finanzinstitute haben offenbar die Befürchtung, dass sie in eine ähnliche Gefahr einer Klagewelle geraten könnten wie bei den fehlerhaften Widerrufsbelehrungen in Darlehensverträgen. Diese Befürchtung halte ich aber für überzogen.“ Viele Darlehensverträge beinhalten formal fehlerhafte Widerrufsbelehrungen, und Zehntausende von Bankkunden in Deutschland nutzten dies, um ältere Verträge mit relativ hohen Zinsen vorzeitig loszuwerden. Für viele Institute war das ein Albtraum. Am 21. Juni dieses Jahres endete zwar das sogenannte ewige Widerrufsrecht. Dennoch schlagen die Verbraucherzentralen Kreditnehmern immer wieder vor, ihre Verträge auf formale Fehler hin zu überprüfen.
Nicht nur Sparkassen und Banken, auch Teile der Bau- und Wohnungswirtschaft beobachten negative Auswirkungen der Wohnimmobilien-Kreditrichtlinie. Der Bundesverband der Freien Wohnungsunternehmen (BFW) befragte vor wenigen Wochen seine Mitgliedsunternehmen. Dabei stellte sich heraus, dass 30 Prozent der Befragten einen sinkenden Kaufanteil von jungen und älteren Bevölkerungsschichten beobachten, und zwar „aufgrund eines nicht bewilligten Baudarlehens“. Die seit März geltende Umsetzung der EU-Kreditrichtlinie habe sich „zum Hemmschuh beim Erwerb von Wohneigentum für viele Menschen entwickelt“, sagt dazu BFW-Präsident Andreas Ibel.
Ibel hofft auf zügige Nachbesserung des „Gesetzfiaskos“. Die Initiative der drei Süd-Länder gehe in die richtige Richtung, da hiermit die Wahrscheinlichkeit einer Rückzahlung der Schulden konkretisiert werde. Dem Gesetztext nach könnten Banken künftig nach der aktuellen wirtschaftlichen Situation des Kreditnehmers urteilen und müssten keine spekulativen Prognosen anstellen. Bei einer Anschlussfinanzierung und einer Umschuldung müsste außerdem keine neue Kreditprüfung vorgenommen werden. Für Modernisierung, altersgerechten Umbau und energetische Sanierung soll es sogar klare Ausnahmen von der Richtlinie geben.
Doch insbesondere der Immobilienwirtschaft geht das nicht weit genug. Einige Verbände sind der Ansicht, dass das Rückzahlrisiko nicht einer Person, sondern wie bisher dem Vertrag zugeordnet werden sollte. Dann könnte der Kreditgeber so wie bisher in seine Überlegungen mit einschließen, dass ein Erbe oder ein Ehepartner das Darlehen im Fall der Fälle weiter bedienen könnte. „Die Formulierung der EU-Richtlinie muss wörtlich übernommen werden, damit sichergestellt ist, dass die Rückzahlung auch durch Erben oder Bürgen erfolgen kann“, so Ibel. „Außerdem muss die Werthaltigkeit der Immobilie wieder stärker in die Kreditbetrachtung einfließen.“
https://www.welt.de/finanzen/immobilien/article158746424/Aufstand-gegen-diskriminierendes-Gesetzfiasko.html