Europa und die USA werden unaufhaltsam in eine Ecke gedrängt. Dort bleibt ihnen nur noch die Kooperation mit dem Asad-Regime.
Der Westen scheint sich in seiner Haltung zum Blutvergiessen in Syrien in den letzten Monaten gemütlich eingerichtet zu haben. In einer Art Arbeitsteilung versucht Europa, den Zustrom von Flüchtlingen in den Griff zu bekommen, der die Regierungen innenpolitisch in Bedrängnis bringt. Derweil bemühen sich die USA zusammen mit Russland, die Ursache des Flüchtlingselends – die Kriegshandlungen – zu beruhigen und längerfristig an einer politischen Lösung des Konflikts zu arbeiten.
Vager politischer Prozess
Wie schwierig beide Aufgaben sind, zeigt sich nicht nur an den innereuropäischen Verwerfungen und bei den heiklen Verhandlungen der EU mit der Türkei, sondern auch am seltsamen Pas de deux, den Washington seit längerem mit Moskau vorführt. Er fusst auf der Überzeugung, dass es für eine wirkliche Befriedung Syriens einen politischen Übergangsprozess braucht. Doch da endet die Übereinstimmung der Amerikaner und der Russen. Denn für Washington ist der Abgang Asads immer noch ein essenzieller Teil einer politischen Einigung.
Vor wenigen Tagen – nach Gesprächen über die Rettung des Waffenstillstands in Genf – hat der amerikanische Aussenminister John Kerry an einer Pressekonferenz in Washington wieder einmal in Erinnerung gerufen, dass dieser Übergangsprozess bis am 1. August in Fahrt kommen müsse. Es sei bereits Mai, fuhr Kerry fort. Es müsse also bald etwas passieren, oder es würden andere Saiten aufgezogen. Was er damit genau meinte, liess der Aussenminister offen.
Und da liegt genau das Problem. Die USA wiederholen seit Jahren, dass es für die syrische Krise keine militärische Lösung gebe. Gleichzeitig können sie nicht verhindern, dass das Regime in Damaskus zusammen mit seinen Verbündeten in Moskau und Teheran daran arbeitet, auf dem Schlachtfeld militärische Tatsachen zu schaffen. Das mag keine nachhaltige Lösung des Konflikts im westlichen Sinn sein, aber es könnte dazu führen, dass der Krieg eingefroren wird, wenn Asad militärisch die Initiative und in Schlüsselgebieten die Oberhand gewonnen hat. Moskau ist ein Spezialist im Einfrieren von Konflikten, um sie jederzeit wieder anheizen oder auftauen zu können.
Die undurchsichtige Drohung Kerrys erinnert dagegen an andere, frühere Versuche, das Asad-Regime mit Worten in die richtige Richtung zu bewegen. Seine Tage seien gezählt, hiess es früh aus Washington. Doch heute sitzt der Diktator fester im Sattel als viele Jahre zuvor. Asad, die Russen und die Iraner wissen haargenau, dass im Westen kein Wille vorhanden ist, «für Aleppo zu sterben».
Die Alternativen schwinden
Der Washingtoner Think-Tank Atlantic Council hat unlängst in einem bemerkenswerten Kommentar darauf hingewiesen, dass die Europäer mit dem Flüchtlingsproblem absorbiert sind, Washington mit den Versuchen zur Rettung des Waffenstillstands. Mit dem militärischen Zerreiben der nationalistischen Opposition durch das Dreigestirn Damaskus, Teheran und Moskau wird der Westen gleichzeitig Zug um Zug in eine Ecke gedrängt, wo ihm nur noch die Wahl zwischen dem Asad-Regime und der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bleibt.
Sollte der Plan Erfolg haben, ist es absehbar, dass der Westen unter amerikanischer Führung einer Kooperation mit dem Regime in Damaskus den Vorzug geben würde – wenn auch widerwillig. Die Alternative, eine Koexistenz mit dem IS, ist unvorstellbar. Aus dieser Falle auszubrechen, wäre nur mit einem militärischen Engagement möglich, das aber weit und breit nirgends in Sicht ist.
http://www.nzz.ch/international/nahost-und-afrika/der-westen-und-der-syrienkrieg-aleppo-ist-weit-weg-ld.18462