Einige Strände in Deutschland zählen zu den hässlichsten der Welt. Weil das noch nicht reicht, belegen die deutschen Seebäder ihre Wasserzugänge mit bizarren Vorschriften und erheben zu allem Überdruss auch noch eine Nutzungsgebühr.

Die Badesaison beginnt, da lockt das Meer. Kennen Sie zum Beispiel Harlesiel an der Nordsee? Wir schon. Im letzten Sommer waren wir dort, den Opa am Yachthafen besuchen. Vor der Rückfahrt wollte der Sohn noch kurz ins Wasser hüpfen. Es war später Nachmittag, und der nasskalte Nebel ließ die ersten Sonnenstrahlen des bald endenden Tages durch. Also auf zum Strand.

Wobei das Wort Strand hier grob irreführend ist. Ein feiner weicher Sand, der fast schon zu heiß ist unter den Fußsohlen, das azurblaue Meer, das einschläfernde Rauschen der Brandung, das entfernte Kreischen der Kinder auf dem Bananaboot … all das finden Sie in Harlesiel – nicht. In Harlesiel gibt es einen künstlich aufgeschütteten Streifen gelber Erde.

So fährt man heute in den Urlaub

Die Reisebranche ist im Umbruch. Die heute 20- bis 34-Jährigen, die sogenannten Millennials, buchen ihre Reisen anders als die Generationen davor. Auf der Reisemesse ITB testet die Branche neue Angebote.

Quelle: N24/Thomas Laeber und Lenita Behncke

Spielen wir mit und nennen es Strand, vielleicht mit diesem kleinen Sternchen, mit dem die Werbung kennzeichnet, wenn etwas eigentlich nicht stimmt. Der Strand* von Harlesiel ist vollgerummelt mit einer unverhältnismäßig großen Zahl von Strandkörben, die Blick und Weg zum Meer verstellen. Zehn Meter vor dem Wasser endet der Strand* plötzlich und geht in eine moosgrün gesäumte Aufpflasterung über. Dahinter führt eine einzelne, glitschige Treppe ins Meer.

Jeder Schritt wirbelt schwarzen Schlick auf

Wobei auch das Wort Meer grob irreführend ist. Die Treppe führt tatsächlich in ein sorgsam mit Bojen umzäuntes, wadentiefes Pfützchen. Jeder Schritt wirbelt schwarzen Schlick auf und sorgt dafür, dass man nach einigen Metern bis in die Leistengegend hinauf rundherum eingeschlammt ist. Man würde das gerne abwaschen, aber dafür bräuchte es Wasser. Da ist aber nur Brühe, aufgewühlt von Hunderten von Ruhrpöttler-Füßen. Strandleben in Deutschland.

Nicht dass wir uns missverstehen: Wir lieben den Norden und lieben die See. Bei jedem Wetter und in jeder Stimmung finden wir dort je nach Bedarf Spaß, Entspannung oder Trost. Was wir nicht lieben, sind Deutschlands Seebäder und ihre Kurverwaltungen. Denn sie tun alles, um uns den Spaß am Meer zu verderben.

Es gibt zwei wirklich faszinierende Fakten über Harlesiel. Fakt eins: Der Strand* ist eingezäunt. Rundherum, bis hinunter zur Wasserkante, gesichert wie Fort Knox. Ein trumpscher Traum. Errichtet, um eine Treppe in den Schlick zu schützen. Wer da drauf will, muss finsteren Sicherheitsleuten seine „Nordsee-ServiceCard“ vorzeigen oder gleich vor Ort den Kurbeitrag in Höhe von 2,50 Euro entrichten. Erst blechen, dann baden*. Fakt zwei ist fast noch faszinierender: Der Strand ist trotzdem voll.

Auf Sylt herrscht Buddelverbot

Wir Deutschen lieben das Meer so sehr, dass wir uns an seinem Ufer praktisch alles bieten lassen. Vor ein paar Tagen vermeldete Sylt eine Verschärfung der Strandregeln. Pünktlich zur Badesaison 2017 gilt nun eine umfangreiche Verbotsliste.

Darauf nachvollziehbare Vorschriften (Drohnen-Flugverbot), nachvollziehbare, aber spaßbefreite (Drachenverbot bis 17 Uhr, kein Feiern und Musizieren. Lagerfeuer? Vergiss es!). Und dann sind da Regeln, aus denen der nackte Wahn spricht: wie zum Beispiel das Verbot des Errichtens von Sandburgen und des Grabens von Löchern. Ganz richtig. Auf Sylt herrscht Buddelverbot.

Deutschland ist eines der am dichtesten besiedelten Länder der Erde, jeder Quadratmeter wird irgendwie genutzt. Die Strände zählen zu den wenigen Orten, wo wir noch Weite atmen können und zumindest in einer Richtung kein Idiot zu sehen ist. Hier finden wir den Ausgleich zu Großstadtwahnsinn und Kleinstadtklaustrophobie.

Timmendorfer Strand
Timmendorfer Strand

Quelle: Getty Images/Westend61

Hier sind wir frei. Dann kommt eine irregeleitete Kurverwaltung daher und schlägt unseren Kindern die Sandschaufel aus der Hand, stellt Ticketautomaten und Pförtnerhäuschen auf und ein Heer von Ordnungshütern mit kundenfreundlich gestalteter Dienstkleidung ein, die unterm Strich vermutlich vor allem sich selbst finanzieren.

Das bisschen Müll einsammeln und Sand vorspülen könnte Sylt doch wohl allein aus den Steuereinnahmen von „Gosch“ und „Sansibar“ finanzieren. Deutschlands Seebäder tun so, als wären ihre Strände für sie kein Geschenk, sondern eine schwere finanzielle Bürde, die sie berechtigt, ihre Besucher nach Belieben zu schikanieren und auszunehmen.

Strände sind doch wohl ein Allgemeingut

An den zum Teil Reihenhausgarten-schmalen Stränden entlang der Lübecker Bucht wird Urlaubern eine Frechheit namens „Strandkorbpflicht“ zugemutet. Eine Handvoll Konzessionsträger sitzt ein Leben lang auf dem Recht, sich eine goldene Nase zu verdienen und alles zu verjagen, was sich einfach mal in der Sonne aalen möchte, ohne etwas zu kaufen. Mit welchem Recht eigentlich? Sind die Strände nicht ein Allgemeingut?

„Doch!“ sagt Janto Just. Der Friesländer hatte früher ein Taxiunternehmen und karrte Touristen an die eingezäunten Strände. Jetzt marschiert er an der Spitze der Bewegung „Freie Bürger für freie Strände“. Sie ziehen von Gericht zu Gericht mit der bislang vergeblichen Forderung, die Strandgebühren zu streichen.

Demnächst beginnt das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht. „Das Bundesnaturschutzgesetz schreibt vor, dass der Staat seinen Bürgern den freien Zugang zur Natur ermöglichen und sogar fördern soll“, sagt der 67-jährige Just und fordert die Küstenanrainer auf, sich endlich an die eigenen Gesetze zu halten. Er zitiert Landesgesetze von Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, wonach jeder Bürger frei und kostenlos am Strand wandern darf, nur für die Sondernutzung (!) Baden darf in begrenzten Bereichen Geld genommen werden. Das versuchen Sie dann mal an diesem Wochenende den Strandschaffnern von St. Peter-Ording zu verargumentieren.

Es gibt immer mehr Schwarzbader

Die strengsten Strandvorschriften hat offenbar Niedersachsen, was überrascht. Denn das Land hat abseits der Inseln die mit Abstand hässlichsten Strände. An vielen Küstenabschnitten rollen hartgesottene Urlauber ihr Handtuch auf Kies, Rasen oder Schafscheiße aus. Was da so alles mit Strand beschildert wird, würde allein einen Bildband tragen.

Vielerorts reicht die bloße Behauptung „Strand“ nebst einer kalten Dusche, und schon schlüpfen die Leute in die Badehose und rufen „Aaah“ und „Herrlich!“ und reden sich ein, dass es hier genauso schön ist wie am Mittelmeer oder in der Karibik. Kostet allerdings auch Eintritt.

Vielleicht brauchen wir Sonntagsdemonstrationen an unseren Stränden, West und Ost vereint im Kampf gegen die Strandgebühr! Im letzten Sommer am Harlesieler Strand* haben wir den Anfang gemacht und uns am Kontrolleur einfach vorbeigeschlichen, als der sich eine ansteckte.

Ohne zu zahlen! Schwarzbader, nicht nur in Bezug auf die Wasserqualität. Nach diesem öffentlichen Bekenntnis können wir da wohl so schnell nicht wieder baden gehen. Muss aber auch nicht.

https://www.welt.de/wirtschaft/article163296800/Wir-Deutschen-lassen-uns-am-Meer-einfach-alles-bieten.html