Trotz der Flüchtlingskrise hat der Staat Milliardenüberschüsse angehäuft. Davon müssten jetzt auch die Bürger profitieren, fordern führende Ökonomen. Insbesondere eine Gruppe soll entlastet werden.

Führende Ökonomen fordern mit Nachdruck Steuerentlastungen für die Bundesbürger. „Jetzt in Zeiten hoher Haushaltsüberschüsse und ein Jahr vor der Bundestagswahl ist der richtige Zeitpunkt, mit der Forderung nach Steuersenkungen Druck auf die Parteien und den Bundesfinanzminister zu machen”, sagt etwa Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln.

Der renommierte Ökonom würde vor allem die Steuern für Arbeitnehmer senken: „Die Bürger sollten im Wesentlichen bei der Einkommensteuer entlastet werden, denn das schafft die größten Leistungsanreize.” Die kalte Progression sollte ausgeglichen werden, der Soli abgeschafft und der Spitzensteuersatz angepasst.

„Der Spielraum dafür ist da”, sagt Hüther. Der Spitzensteuersatz beispielsweise greife bereits bei einem Einkommen von 52.000 Euro und damit viel zu früh. Der Satz sei seit 1999 trotz gestiegener Lebenshaltungskosten nicht mehr angepasst worden. Nötig sei aber, neben Steuersenkungen durch Investitionen Wachstum zu schaffen.

Investitionen in Bildung und Forschung

Diese Diskussion gibt es schon lange. Nun aber, ein Jahr vor der nächsten Wahl im Bund, gewinnt sie an Schärfe. Verstärkt wird sie durch überraschend hohe Haushaltsüberschüsse im ersten Halbjahr. Trotz der Belastungen durch die Flüchtlingskrise dürften sie bei 19 Milliarden Euro liegen.

„Es gibt gegenwärtig keinen Grund für den deutschen Staat, Überschüsse zu fahren”, sagt dazu Oliver Holtemöller, Leiter der Makroökonomie-Abteilung am Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). „Die Haushaltsüberschüsse sollten deshalb abgebaut werden, indem die Steuerzahler entlastet werden und durch zukunftsorientierte Ausgaben vor allem für Bildung und Forschung.”

Holtemöller plädiert daher für niedrigere Einkommensteuern. „Bei einer Steuerreform sollten vor allem Arbeitnehmer entlastet werden. Im internationalen Vergleich werden Arbeitseinkommen in Deutschland sehr stark mit Steuern und Abgaben belastet.”

Familien sollen stärker entlastet werden

Er und andere führende Ökonomen hatten bereits Ende vergangenen Jahres im halbjährlichen Gutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute für die Bundesregierung konkrete Vorschläge für Steuerentlastungen gemacht. „Die Einnahmen aus der Lohnsteuer nehmen schneller zu, als die Löhne wachsen; das zeigt, dass der Fiskus weit stärker als Arbeitnehmer von den Lohnsteigerungen profitiert hat”, sagt Holtemöller.

Auch das ist keine neue Forderung. Nur geschehen ist bisher sehr wenig. Clemens Fuest, der Präsident des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo), legt daher nach: „Deutschland hat seit längerer Zeit eine steigende Steuerquote. Wenn die Politik in Deutschland die Rolle des Staates in der Wirtschaft nicht ausdehnen will, sollte sie Steuern senken”, sagt Fuest, der auch Finanzminister Wolfgang Schäuble berät. „Die Abflachung des Mittelstandsbauches bei der Einkommensteuer wäre ein guter Ansatz.”

Konjunkturbedingte Schwankungen in den Staatsfinanzen allein sollten aber kein Grund sein, um Ausgaben zu steigern oder Steuern zu senken.

Bernd Raffelhüschen, Finanzwissenschaftler an der Universität Freiburg, glaubt, dass der Haushaltsüberschuss noch kein Grund für Steuerentlastungen sein muss. Er legt der Politik allerdings ans Herz, Familien zu entlasten, etwa durch einen höheren Freibetrag für Kinder. „Eine familienpolitische Steuerreform kommt teuer, aber Familien zahlen nicht nur Steuern, sondern machen auch die künftigen Steuerzahler.”

http://www.welt.de/wirtschaft/article157873836/Warum-die-Steuern-jetzt-gesenkt-werden-muessen.html