In China, Volkswagens wichtigstem Absatzmarkt, stagnieren die Verkäufe, Rivalen eilen den Deutschen davon. Nun setzt der Konzern alles auf eine Karte – und startet eine beispiellose Modelloffensive.

Volkswagens verzweifelter Kampf um China

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Abstauben nützt nichts: Der jüngste Abgasskandal hat dem Ruf von Volkswagen auch in China beträchtlich geschadet

 

Chinesische Verbraucher reagieren in der Regel wütend, wenn bekannt wird, wie ihre Unternehmen aus Profitgier haarsträubende Skandale produzieren. Aber sie sind selten überrascht. Erst kürzlich kamen kriminelle Handelspraktiken mit schlechten Impfstoffen ans Licht. 357 Funktionäre waren beteiligt, 202 wurden bereits festgenommen – die übliche Geschichte.

Dem deutschen Volkswagen-Konzern, der fast jedes zweite seiner Fahrzeuge in der Volksrepublik verkauft, hätte Chinas Öffentlichkeit Betrug in großem Stil dagegen niemals zugetraut. Monatelang wurde das „Dieselgate” der Wolfsburger ignoriert.

Denn: Der Skandal betraf China kaum. Peking hatte die Einfuhr von Dieselautos schon immer verboten. Mit nur 1950 von den Abgasmanipulationen betroffenen Fahrzeugen – 1946 Tiguan-Modelle und vier Passat –, bildet die Volksrepublik dasSchlusslicht unter allen geschädigten Nationen.

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Trotzdem beginnt der nicht enden wollende Skandal dem Image der Wolfsburger zu schaden. Die Wochenzeitung für Rechtswesen, „Fazhi Zhoumo”, schrieb, dass der Vorfall „bei uns das Märchen von Made in Germany zerstört hat. VW war immer der Edelstein in dieser Krone.”

Der Konzern mache seit Anfang 2016 auf internationalen Märkten Verluste. „Nur bei uns geht es mit ihm voran. Wir Chinesen geben Volkswagen ein Gesicht.” Aber wie lange kann Volkswagen von seinem guten Ruf in China noch zehren? Diese Frage stellte sich am Montag zum Auftakt der internationalen Pekinger Automesse ganz besonders. Rund 2000 Aussteller erwarten 800.000 Besucher.

Volkswagen ging sicherheitshalber vorab an die Öffentlichkeit: Vorstandschef Matthias Müller entschuldigte sich vergangene Woche in einem Exklusivinterview mit „China Daily” erstmals auch bei allen chinesischen Kunden für den Abgasskandal.

VW profitiert von Steuererleichterungen

Denn VW braucht gute Nachrichten aus China mehr denn je, nachdem die Verkäufe im vergangenen Jahr auch dort eingebrochen waren und der US-Rivale General Motors an den Wolfsburgern vorbeizog. Im ersten Quartal 2016 konnte VW seine Verkäufe zwar wieder um 6,4 Prozent auf 955.500 Autos steigern. Doch einen Teil dieses Erfolges verdankt VW besonderen Steuererleichterungen – und die laufen zum Jahresende aus.

Zudem lag das vermeintlich hohe Plus für VW unter dem Wachstum des chinesischen Automarktes, der von Januar bis März um 9,8 Prozent zulegte. China-Vorstand Jochem Heizmann verbreitet dennoch Optimismus. Er setzt darauf, dass der derzeitige „positive Trend im Gesamtjahr anhält und der Absatz der Volkswagen-Gruppe plus/minus auf gleicher Höhe wie das BIP mitwächst”. Chinas Regierung peilt in diesem Jahr ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von mehr als 6,5 Prozent an.

Anbieter von Mobilitätsleistungen

Und Heizmann kündigt auch eine neue Offensive an. VW werde mit seinen Joint-Venture-Partnern nicht nur an den gemeinsamen „Investitionsabsichten in Höhe von vier Milliarden Euro für 2016 festhalten”.

Der Konzern will zudem Trendsetter bei der Elektromobilität, der Technologie des autonomen Fahrens und bei der Digitalisierung sein. Eines der drei weltweit geplanten „Zukunftszentren” soll in China aufgebaut werden. Die Wolfsburger wollen sich in China vom Fahrzeugverkäufer zum Entwickler und Anbieter von Mobilitätsleistungen wandeln.

Und das ist noch nicht alles: Im Kerngeschäft planen sie, 50 neue Modelle, darunter 21 der Marke Volkswagen, auf den Markt zu bringen. Auf ihrer ehrgeizigen Agenda stehen zehn lokal produzierte SUV-Geländewagen, die auf drei bis vier Jahre verteilt in China auf den Markt kommen sollen.

Im gleichen Zeitraum sollen auch 15 im Land hergestellte Energiefahrzeugtypen, vom Hybrid bis zum Elektrowagen, angeboten werden, sagte Heizmann. Nur vom Diesel will VW nichts mehr wissen. „Realistisch macht das hier keinen Sinn. Die politische Marschrichtung in Peking geht hin zur Elektromobilität.”

Chinas Raffinerien stellen kaum Diesel her

Dabei hatte VW in China seit 1998 für die „umweltfreundliche Dieseltechnologie” geworben. Doch Peking misstraute den Angeboten von Beginn an, wie jüngst Fachzeitschriften wie der „21. Century Economic Observer” enthüllten.

Chinas Premier Li Keqiang ließ sich lediglich dazu überreden, in seinen Richtlinien zur „Industriellen Entwicklung 2025” diesen einen Satz aufzunehmen: „Die Nutzung von Dieselmotoren soll in der Automobilproduktion vorangetrieben werden.”

Dabei waren nur zehn Motorenunternehmen in ganz China bereit, das in ihren Planungen auch zu berücksichtigen. Neben dem schlechten Image des Brennstoffs lag das auch daran, dass er im Land kaum verfügbar ist. China importiert zwar riesige Mengen an Rohöl, aber kaum Diesel. Die Raffinerien im Land stellen vorwiegend Benzinprodukte her.

http://www.welt.de/wirtschaft/article154707997/Volkswagens-verzweifelter-Kampf-um-China.html