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Und dann sagt Davutoglu den einen entscheidenden Satz

Merkel und Davutoglu nutzen den Besuch im türkischen Flüchtlingslager, um Zwischenbilanz zum Türkei-EU-Abkommen zu ziehen. Alles ist positiv, nur in einem Punkt deutet sich neues Konfliktpotenzial an.

Und dann sagt Davutoglu den einen entscheidenden Satz

Foto: dpa

Ahmet Davutoglu und Angela Merkel auf der gemeinsamen Pressekonferenz

 

Kurz nachdem der Tross von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu und EU-Ratspräsident Donald Tusk das Flüchtlingscamp Nizip 2 verlassen hat, wird es laut. Dutzende Kinder stürmen in Richtung des drei Meter hohen, mit Stacheldraht abgeschlossenen Maschendrahtzauns.

Sie johlen und kreischen, bis der Schwimmbadsound in eine politische Parole übergeht. „Die Türkei und Syrien sind eins”, skandieren sie auf Arabisch. Kein Zweifel: Vor den rund 6000 Bewohnern des Containerdorfs hat Davutoglu nichts zu befürchten. Und die Bundeskanzlerin auch nicht.

Die Leute sind der Türkei dankbar, und vermutlich gibt es im ganzen Land kein Camp, in dem es den Menschen besser geht als in diesem Lager 40 Kilometer östlich von Gaziantep. Die Ausstattung ist gut, es gibt Schulen für die Kinder und viele Bewohner gehen einer Arbeit nach, in der Landwirtschaft oder in der Baubranche in der Umgebung oder innerhalb des Camps, als Lehrer oder Übersetzer etwa.

Die Presseleute sollen lieber die Transparente filmen

Ein Mustercamp also, das die Kanzlerin hier zu Gesicht bekommt, kein Vergleich beispielsweise zu den Flüchtlingen, die in der Westtürkei unter elendigen Bedingungen hausen.

Dieses Camp hingegen kann sich sehen lassen. Das Problem: Die zahlreich angereisten internationalen und türkischen Journalisten dürfen das Camp nicht von innen sehen. Sie kommen nur auf eine Art Appellhof, hinter dem Eingangstor aber vor dem eigentlichen Campgelände. Zwischen ihnen und den Flüchtlingen liegt ein Zaun, an den sich einige Bewohner und vor allem Kinder drängen.

Aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen will der private Sicherheitsdienst nicht, dass die Journalisten mit ihnen reden. Noch vor der Ankunft von Merkel, Davutoglu und Tusk werden sie vom Zaun vertrieben.

Die Presseleute sollen lieber die Transparente filmen, die man eigens für diesen Tag aufgehängt hat: „Die Türkei hat mehr Flüchtlinge aufgenommen als jedes Land der Welt” steht auf diesen in türkisch und englisch. Und weil heute Nationalfeiertag ist, hängen auch im Camp Nizip wie im Rest des Landes überall türkische Fahnen.

„Wie in der DDR”, schimpft ein amerikanischer Journalist

Auf diese Seite des Zauns hat man nur einige ausgewählte Flüchtlinge gelassen. Die selbstgewählten Sprecher, ausnahmslos Männer. Oder vier tscherkessisch-syrische Mädchen aus Damaskus zum Beispiel, die in traditioneller tscherkessischer Trachtenkleidung als Blumenmädchen die Staatsgäste empfangen sollen.

Oder die 30-jährige Zoya, die im Camp als Lehrerin arbeitet und sich einen Namen als Künstlerin gemacht hat. Sie hat Bleistiftporträts von Merkel und Davutoglu gezeichnet und hofft, diese Zeichnungen ihnen übergeben zu können.

„Das ist wie in der DDR”, schimpft der amerikanische Journalist Roy Gutman. 1989 war er dabei als die Berliner Mauer fiel, er hat lange in Bagdad gearbeitet, jetzt lebt er in Istanbul. „Diese Inszenierung ist dumm”, sagt Gutman. „Und so unnötig. Die Türkei leistet hier sehr gute Arbeit, diese Menschen mögen alle Davutoglu und Merkel, sie so abzuschirmen, ist sinnlos. Die Türken verpassen eine Riesenchance.”

Gaziantep ist ein Zentrum des IS

Er ist nicht der einzige, der sich an er Atmosphäre stört. „Wer diese Bilder sieht, die Kinder hinter Stacheldraht, muss doch denken, dass wir diese Menschen wie im Gefängnis halten”, sagt ein türkischer Lehrer, der seit seiner Pensionierung hier arbeitet. „Als Davutoglu das Camp besucht hat, war der ganze Platz voller Stühle”, erzählt der Chefübersetzer des Camps. Beide sind sich einig: „Das waren die Deutschen, die Bewohner abschirmen wollten.”

Mit dieser Einschätzung liegt er richtig. Andererseits ist das erhöhte Sicherheitsbedürfnis der deutschen Delegation auch nicht verwunderlich. Gaziantep ist ein Zentrum des IS in der Türkei und im benachbarten Kilis, was ursprünglich für einen Besuch der Kanzlerin vorgesehen war, schlugen erst am Freitag wieder Katjuscha-Raketen ein, die mutmaßlich von IS-Kämpfern auf der anderen Seite der Grenze abgeschossen wurden. 14 Menschen kamen bei diesen Angriffen bislang ums Leben.

Beim Rundgang der Staatsgäste durchs Camp ist wiederum die Presse ausgeschlossen – die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu ausgenommen, die exklusive Bilder liefert. „Für mich war es wichtig, auch mal die Praxis ein Stück weit zu sehen”, wird Angela Merkel nach ihrem Besuch im Camp Nizip und der anschließenden Eröffnung eines Familien- und Kinderzentrums sagen.

Die Frage nach Pressefreiheit ist nur noch Routine

Die Pressekonferenz findet im Audimax der Universität Gaziantep statt. Draußen leuchten an der dreifarbigen Fassade (grün, blau, pink) auf LED-Reklametafeln die Konterfeis der Kanzlerin und des Ministerpräsidenten; drinnen sind die Plätze aufgefüllt mit Mitgliedern des AKP-Jugendverbandes, weil die Journalisten und Offiziellen allein den riesigen Saal nicht füllen könnten.

Für Merkel, Davutoglu und Tusk ist es ein Tag, um Bilanz zu ziehen. Und diese fällt für alle positiv aus. Das Türkei-EU-Abkommen zeige Auswirkungen, sagt Tusk. Die Türkei habe alle ihre Verpflichtungen aus dem Türkei-EU-Plan erfüllt, sagt Davutoglu. „An manchen Tagen überqueren überhaupt keine Flüchtlinge dieses Meer.” Jetzt erwarte er, dass auch die EU ihren Verpflichtungen nachkomme.

Merkel sagt der Türkei, dass die „den allergrößten Beitrag” bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme übernommen habe. „Für Deutschland kann ich sagen, dass wir unsererseits allen Verpflichtungen nachkommen wollen.”

Erst als ein Journalist nachfragt, wie die Türkei darauf reagieren würde, wenn die Visumspflicht für türkische Bürger nicht zum 1. Juni fallen sollte, deutet sich der nächste mögliche Konflikt an. Merkel verweist auf einen Bericht, den die EU-Kommission dazu Anfang Mai vorlegen will.

Und dann sagt Davutoglu inmitten vieler Worte über gegenseitiges Vertrauen und gute Zusammenarbeit einen entscheidenden Satz: „Dann steht für uns das Rückführungsabkommen zur Debatte.”

Den Rest – also die Frage nach der Pressefreiheit, die gleich zwei ausländische Journalisten stellen – bewältigen sie mit der Routine, die sie hier inzwischen haben: Dadurch, dass man sich jetzt so oft treffe, würde man auch über diese Dinge offen reden; der Eindruck, dass ihre Regierung sich nicht traue, diese Themen anzusprechen, sei falsch.

Ein Osteuropäer findet die kritischsten Worte des Tages

Man könne offen über alles reden, meint auch Davutoglu, man müsse aber die Grenzen zwischen Meinungsfreiheit einerseits und Beleidigung andererseits kennen und die Beleidigung, die gegen den türkischen Staatspräsidenten Erdogan im deutschen Fernsehen vorgetragen wurde, sei „rassistisch” gewesen.

Genau an diesem Punkt kommt Widerspruch von Donald Tusk. Nicht offen und kämpferisch, sondern geschickt verpackt: Er erzählt, dass er als Aktivist gegen eine Diktatur im Gefängnis gesessen habe, erinnert an ähnliche Erfahrungen, die Staatspräsident Erdogan gemacht habe, um dann zu seiner Pointe zukommen: „Die Grenzen zwischen Meinungsfreiheit und Beleidigung ist sehr dünn. Und wenn Politiker zu bestimmen anfangen, was das eine und was das andere ist, dann kann die Meinungsfreiheit leicht beschränkt werden.”

Es passt zu diesem Tag, dass es ein Osteuropäer ist, der quasi beiläufig die kritischsten Worte des Tages findet.

Dass derlei Mahnungen derzeit bei der türkischen Regierung viel bewirken, darf allerdings bezweifeln werden. Das wurde an Davutoglus routiniert-nichtssagender Antwort auf die Frage nach der Pressefreiheit und mehr noch an anderer Stelle seiner Rede deutlich. Da bestritt er nicht nur den von Amnesty International mehrfach vorgetragenen – und stets mit Belegen untermauerten – Vorwurf, die Türkei würde syrische Flüchtlinge ins Kriegsgebiet schicken. Er sagte zudem, Amnesty sei eine Organisation, von der man nicht wisse, mit wem sie alles zusammenarbeite. Angesichts des Türkei herrschenden paranoiden Diskurses ist damit klar: Ab sofort steht Amnesty International im Verdacht, Handlanger dunkler Kräfte zu sein – der PKK, der Gülen-Gemeinde, der „armenischen Lobby”, des Mossad, des BND oder allen zusammen. Ein Wort zur Ehrenrettung der renommierten Menschenrechtsorganisation kam nicht, weder von Angela Merkel noch von Donald Tusk oder vom ebenfalls anwesenden EU-Vizekommissionschef Frank Timmermans.

http://www.welt.de/politik/ausland/article154680741/Und-dann-sagt-Davutoglu-den-einen-entscheidenden-Satz.html

 

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