Jeder Fünfte in Deutschland hat ausländische Wurzeln. Ein neuer Bericht deckt auf, dass türkischstämmige Mitbürger unzufriedener und ärmer sind als andere Einwanderer. Das hat vor allem einen Grund.

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Dass Einwanderer und ihre Nachkommen in der Regel weniger verdienen und besitzen als Menschen ohne Migrationshintergrund, dürfte kaum überraschen. Eine aktuelle Untersuchung deckt jetzt allerdings auf, dass es Menschen türkischer Herkunft hierzulande weit schlechter geht als anderen Migranten – und dass sie besonders unzufrieden sind mit ihrem eigenen Lebensstandard. Mehr als ein Drittel von ihnen lebt unter der Armutsgrenze. Auch fühlen sie sich so stark diskriminiert wie keine andere große Migrantengruppe.

Der Befund ist brisant, nicht zuletzt, weil die türkischstämmige Bevölkerung einen ganz erheblichen Teil aller Migranten hierzulande ausmacht. Dass es einer großen Zahl von Einwanderern, die gezielt angeworben wurden, heute wirtschaftlich schlecht geht, ist zudem Mahnung, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Integration der Asylsuchenden, die derzeit nach Deutschland kommen, auch finanziell intensiv zu unterstützen.

Für den „Datenreport 2016” haben die Autoren Daten des Statistischen Bundesamtes und des Soziooekonomischen Panels, einer großen regelmäßigen Befragung, analysiert, um die soziale Lage der Migranten hierzulande beurteilen zu können. Demnach hatte im Jahr 2014 jeder Fünfte in Deutschland einen Migrationshintergrund. Unter jungen Menschen ist der Anteil besonders hoch: Jedes dritte Kind, das im gleichen Jahr zur Welt kam, hatte zumindest einen Elternteil mit ausländischen Wurzeln.

Besonders hohes Armutsrisiko

Den weitaus größten Anteil der Migranten, nämlich 36 Prozent, stellen die 5,9 Millionen Menschen mit Wurzeln in den Anwerbeländern für Gastarbeiter wie der Türkei, Griechenland und Italien. Den größten Anteil an dieser Gruppe haben wiederum türkischstämmige Migranten.

Und sie haben in dieser Gruppe offenbar auch die größten Sorgen: „Türkischstämmige Migranten befinden sich in einer besonders prekären sozialen Situation”, sagt Mareike Bünning vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). „Das gilt beispielsweise wenn man sich Bildung und Armutsrisiko anschaut.” Bünning hat die Untersuchung geleitet, an der neben dem WBZ auch die Bundeszentrale für Politische Bildung beteiligt war.

Während unter türkischstämmigen Migranten mehr als ein Drittel unter der Armutsgrenze leben, sind es bei Menschen ohne Migrationshintergrund dagegen nur 14 Prozent. Aber selbst unter allen anderen großen Migrantengruppen ist das Armutsrisiko weniger hoch: Unter Menschen mit Wurzeln in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens sind es 27 Prozent und unter Einwanderern aus Osteuropa und ihren Nachkommen nur 20 Prozent.

Niedriges Bildungsniveau

Türkischstämmige müssen auch mit einem geringeren Haushaltseinkommen auskommen als die Angehörigen anderer Migrantengruppen. Teilweise ist der Unterschied sogar erheblich. Bei Menschen mit Wurzeln in Südwesteuropa, also Italien, Spanien oder Portugal, liegt das mittlere Haushaltseinkommen bei 1486 Euro, während es in Haushalten türkischstämmiger Migranten nur 1242 Euro sind. Bei Personen ohne Migrationshintergrund sind es 1730.

Verantwortlich für die schlechtere wirtschaftliche Situation vieler türkischstämmiger Migranten ist auch deren niedriges Bildungsniveau: Ganze 65 Prozent von ihnen haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Unter Einwanderern aus Osteuropa sind es nur 25 Prozent und bei Spätaussiedlern nur 29 Prozent.

Ein Grund für das niedrige Bildungsniveau unter den türkischstämmigen Migranten liegt in der Geschichte: Viele von ihnen wurden vor Jahrzehnten als Gastarbeiter angeworben. Diese Gruppe ist grundsätzlich vergleichsweise gering qualifiziert. So haben fast zwei Drittel der ehemaligen Gastarbeiter über 50 Jahren keine Berufsausbildung.

Als die Menschen vor Jahrzehnten einwanderten, um beispielsweise in Kohleminen oder Stahlwerken zu arbeiten, sei ein Berufsabschluss nicht nötig gewesen, stellen die Autoren der Untersuchung fest. „Eine Weiterqualifizierung fand im weiteren Erwerbsleben offenbar selten statt.”

Älteren Migranten geht es schlechter

Die Versäumnisse am Beginn des Berufslebens wirken sich allerdings heute bis ins Alter aus: Von den Migranten, die zwischen 50 und 64 Jahre alt und damit noch im Erwerbsalter sind, arbeitet nur die Hälfte in einem bezahlten Job. Mehr als jeder Vierte bezieht allerdings bereits eine Rente, vor allem weil viele wegen Erwerbsunfähigkeit frühverrentet wurden.

Dementsprechend ist auch die Armutsquote unter den älteren ehemaligen Gastarbeitern relativ hoch: Jeder vierte Migrant zwischen 50 und 64 Jahren gilt den Wissenschaftlern zufolge als arm. Dieser Anteil steigt mit dem Alter an: Unter den über 65-jährigen lebt bereits jeder Dritte unter der Armutsgrenze.

Auch gesundheitlich geht es älteren Migranten schlechter: Sie sind häufiger krank oder verletzt als Menschen ohne Migrationshintergrund. Ältere Migrantinnen sind auch häufiger stark übergewichtig als Menschen im gleichen Alter ohne Migrationshintergrund. Auch hier nehmen türkischstämmige Frauen eine unerfreuliche Sonderrolle ein: Besonders sie leiden in der zweiten Lebenshälfte häufig unter körperlichen Schmerzen.

Türkischstämmige leiden unter Diskriminierung

Zu allem Überfluss erleben türkischstämmige Menschen auch häufiger als andere Migrantengruppen Diskriminierung. Unter allen Personen mit Migrationshintergrund gaben acht Prozent im Jahr 2013 an, häufig wegen ihrer Herkunft benachteiligt zu werden. Unter Menschen türkischer Herkunft war dieser Anteil mit 18 Prozent mehr als doppelt so hoch.

Womöglich liegt es auch an der eigenen als schlecht wahrgenommenen Situation, dass viele türkischstämmige Einwanderer langfristig nicht in Deutschland bleiben wollen. Zwar sind laut der ausgewertetem Befragung des Soep 80 Prozent aller Migranten hierzulande auf ein dauerhaftes Leben in Deutschland eingestellt. Unter Menschen türkischer Herkunft sind es allerdings nur zwei Drittel, die auch langfristig bleiben wollen.

Verblüffend ist allerdings, dass türkischstämmige Mitbürger grundsätzlich nicht besonders unzufrieden mit ihrem Leben als ganzes sind. „Die Erfahrung zeigt, dass Menschen mit Migrationshintergrund ihre Lebensumstände nicht nur mit Menschen in Deutschland vergleichen, sondern auch mit Menschen in ihrem Herkunftsland”, sagt Studienleiterin Bünning. „Und dann haben sie vermutlich das Gefühl, dass es ihnen ganz gut geht.”

http://www.welt.de/wirtschaft/article155006878/Tuerken-in-Deutschland-sind-oefter-arm-krank-und-unzufrieden.html