Das spiegelglatte Meer unterhalb von Taormina, Hintergrund der Eröffnungszeremonie beim G-7-Gipfel, war am Freitagmorgen wie eine azurblaue Erinnerung an Italiens gigantisches Problem: die Flüchtlingskrise. Auch in diesem Jahr dürften Hunderttausende Menschen über das Mittelmeer nach Europa kommen. Erwartet werden 250.000 Migranten bis Jahresende, die in Süditaliens Häfen landen werden – nur wenige Kilometer vom Gipfelort Taormina.
Dass die Migrationskrise kein rein italienisches oder europäisches Problem, sondern ein weltweites sei, betonte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Freitagvormittag in Taormina, noch vor dem offiziellen Start des Gipfels, vor Journalisten. Die sieben Mächtigen müssten bei den zentralen Themen, die in Taormina verhandelt werden sollen, „eine einheitliche Front“ beibehalten, mahnte Tusk.
Donald Trump soll da anderer Meinung sein. Die Flüchtlingskrise ganz oben auf die Prioritätenliste zu stellen, wie es natürlich vor allem die Italiener gewünscht hätten, daran war nicht zu denken. Trump wusste das vorab zu verhindern. Sein Berater und Redenschreiber Stephen Miller soll ihm dazu geraten haben. Dies berichtete am Freitag das Onlineportal des Magazins „Foreign Policy“. Miller gilt als Hardliner in der Flüchtlingsfrage, er ist scharfer Kritiker des Islam.
Die Haltung Trumps hatte sich schon während der Rom-Visite des US-Präsidenten am Mittwoch herauskristallisiert und war dem italienischen Premier Paolo Gentiloni beim Präsidenten-Lunch in der US-Residenz Villa Taverna aufgetischt worden. Dorthin war Gentiloni gebeten worden.
Was Trump ihm genau sagte, blieb zum Großteil vertraulich. Nur wenig lässt sich aus der italienischen Presse ablesen. Einigkeit zwischen den beiden Regierungschefs herrschte darüber, den „Kampf gegen den internationalen Terrorismus“ ins Zentrum der gemeinsamen Bemühungen und damit das Thema Sicherheit ganz oben auf das Arbeitsprogramm der sieben Mächtigen in Taormina zu stellen.
Der Rest des Gespräches soll dagegen zäh gelaufen sein. Weder Einstimmigkeit bei der Handelspolitik noch zum Klimaabkommen habe es gegeben. Es war nicht zu erwarten und „es ist besser, gar nicht erst eine Vermittlung zu diesem Thema zu versuchen. Das ginge nur zu unseren Ungunsten aus“, zitierte die Tageszeitung „Il Messaggero“ am Donnerstag eine vertrauliche Quelle der italienischen Regierung.
Wie genau der US-Präsident auf die Bitte nach finanzieller Unterstützung in der Flüchtlingsfrage und die Aufnahme von Migranten reagierte, wurde nicht bekannt. „Der Präsident wird nicht von seiner Linie abrücken“, hieß es am Freitag in „Foreign Policy“.
Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella hatte den US-Präsidenten bei dessen Besuch in Rom in dieser Woche darin bestärkt, dass „der Terrorismus eine der schlimmsten Bedrohungen der Menschheit ist. Nur mit der allerhöchsten Kooperation von Sicherheitskräften und Nachrichtendiensten werden wir weitere Attentate verhindern können”. An dem kurzen Treffen im Quirinalspalast hatten auch die Außenminister der beiden Länder teilgenommen.
Trump dankte dem Präsidenten für das italienische Engagement in Libyen und ließ sich ihm gegenüber darauf ein, Bemühungen um ein Abkommen zwischen den zerstrittenen Parteien in Libyen zu unterstützen. Dieses Ersuchen hatte er noch im April abgelehnt. Der Italiener rechnete ihm vor, dass „nur gemeinsam und mit Unterstützung der Vereinten Nationen verhindert werden könne, dass das Kalifat sich nach einer bevorstehenden Niederlage in Syrien und dem Irak, sich in Libyen neu ansiedeln“ könne, Libyen also das neuralgische Zentrum ist, wo sich Terrorismus und Einwanderung kreuzen.
Tillerson legt Finger in die Wunde der EU
Auch deswegen besteht Italien auf intensive diplomatische Bemühungen, um einen endgültigen Frieden zwischen den libyschen Parteien, der international anerkannten Regierung in Tripoli, dem im Osten herrschenden General Chalif Haftar und den Stämmen im Süden zu ermöglichen, sowie auf einen Pakt für Afrika, der die Abwanderung schon in den Herkunftsländern der Flüchtlinge aus Zentralafrika stoppen soll. Wie stark für Italien die Themen Sicherheit und Flüchtlingskrise verwoben sind, ist auch daran erkennbar, dass der italienische Innenminister Marco Minniti sich sowohl im Inneren um Sicherheit, Flüchtlingsaufnahme und Integrationsmodelle kümmert, als auch bei den außenpolitischen Anstrengungen in Libyen und Afrika eine zentrale Rolle übernommen hat.
Doch es war US-Außenminister Rex Tillerson, der den Finger in die Wunde der EU legte. Er unterstrich, dass in „Europa die einzelnen Staaten lediglich nach ihren eigenen Interessen handeln und es keine gemeinsame Aktion gibt“.
Für Italien bleibt die Lösung der Flüchtlingsfrage ein zentrales Problem. 2016 waren über 180.000 Migranten aus Afrika gekommen. In diesem Jahr sind es mit 50.495 schon jetzt über ein Drittel mehr als zum gleichen Zeitpunkt 2016. Der Sommer steht bevor und das Mittelmeer verwandelt sich in eine glatte See, auf dem die wenigen Hundert Kilometer Überfahrt von Libyen nach Italien selbst auf den brüchigen Schlauchbooten der Schlepper zu bewältigen ist.
https://www.welt.de/politik/ausland/article164957884/Trump-stuft-das-Fluechtlingsthema-beim-G-7-Gipfel-herab.html