Anschlag in Pakistan

Steigende Opferzahlen in Lahore

Der schwerste Anschlag in Pakistan seit anderthalb Jahren richtet sich nicht nur gegen die christliche Minderheit. Die Islamisten zeigen, dass sie die Regierung im ganzen Land herausfordern können.
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Polizisten sperren den Ort des Anschlags ab. Die Bombe explodierte neben einem Spielplatz. (Bild: Rahat Dar / Keystone)

Die Zahl der Opfer in Lahore steigt weiter. Bereits über 70 Personen sind an den Folgen des verheerenden Anschlags vom Sonntagabend ums Leben gekommen, gegen 300 weitere wurden verletzt. Ein Selbstmordattentäter hatte sich bei einem Eingangstor zu einem beliebten Familienpark im Herzen der ostpakistanischen Metropole in die Luft gesprengt. Die heftige Explosion ereignete sich unweit eines Spielplatzes und forderte fast ausschliesslich zivile Opfer, unter ihnen viele Frauen und Kinder.

Wie Agenturen melden, konnte der Attentäter am Montag identifiziert werden. Es handelt sich um einen 28-jährigen Mann aus Süd-Punjab. Laut Medienberichten war er Lehrer an einer Religionsschule.

Nicht nur gegen Christen

Eine Splittergruppe der pakistanischen Taliban, Jamaat-ul-Ahrar, bekannte sich zum Terroranschlag und erklärte, dieser richte sich gegen die christliche Minderheit im überwiegend muslimischen Land. Man habe lange auf eine solche Gelegenheit gewartet. In der Tat war der Gulshan-i-Iqbal-Park am Ostersonntag überdurchschnittlich gut besucht, weil viele christliche Familien dort den Feiertag verbrachten. Allerdings erklärte die Regierung der Provinz Punjab, der Anschlag richte sich gegen alle Bewohner der Stadt, auch viele Nicht-Christen seien unter den Opfern. Eine dreitägige Staatstrauer wurde ausgerufen.

Obwohl es in Pakistan immer wieder zu extremistischer Gewalt gegen religiöse Minderheiten kommt, ist die Bluttat vom Sonntagabend tatsächlich nicht nur als Anschlag gegen die christliche Gemeinde zu verstehen. Erstmals seit vielen Jahren ist es den Aufständischen gelungen, in der als sicher geltenden Region Punjab, den politischen Stammlanden von Premierminister Nawaz Sharif, eine Aktion dieser Tragweite durchzuführen. Der Sprecher von Jamaat-ul-Ahrar betonte explizit, der Anschlag sei als Signal dafür zu verstehen, dass seine Bewegung in Punjab angekommen sei. Premierminister Sharif stammt aus Punjab, der reichsten Provinz des Landes, sein jüngerer Bruder ist Chef der Lokalregierung. Gegen den Premierminister waren wiederholt Vorwürfe erhoben worden, er unternehme zu wenig gegen den Extremismus in anderen Landesteilen. Die meisten Anschläge werden im Westen Pakistans, im Grenzgebiet zu Afghanistan, verübt.

Proteste für einen Mörder

Lahore war aber nicht der einzige Schauplatz von Gewalt am vergangenen Wochenende. In der Hauptstadt eskalierte eine Kundgebung von Anhängerndes im Februar hingerichteten Mörders Mumtaz Qadri. Laut Medienberichten hatte sich am Sonntagmorgen eine Menge von anfänglich 10 000 Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude eingefunden, die sich später auf etwa 2000 Teilnehmer verkleinerte. Um den Weg zum Parlament freizuräumen, zündeten die Demonstranten Container an, die als Blockaden dienten, und warfen Steine auf die Sicherheitskräfte, worauf die Polizei Tränengas und Schlagstöcke einsetzte. Die Demonstranten fordern unter anderem die Anerkennung von Qadri als «Märtyrer».

Qadri war für seinen Mord am Gouverneur der Provinz Punjab, Salman Taseer, im Oktober 2011 hingerichtet worden, in dessen Leibwächterteam er abbestellt worden war. Taseer, der einzige Christ in einer hochrangigen Regierungsfunktion, hatte sich gegen die Blasphemiegesetze in Pakistan ausgesprochen und für eine unter fragwürdigen Umständen verurteilte Christin eingesetzt und war deshalb von islamistischen Kreisen heftig kritisiert worden.

Ein zerrissenes Land

Die Exekution Qadris galt als Zeichen für die Entschlossenheit des pakistanischen Staates gegen den religiösen Extremismus. Der Anschlag auf eine Schule in Peshawar, dem im Dezember 2014 mehr als 150 Personen zum Opfer gefallen war, hatte in weiten Teilen der Bevölkerung für Unterstützungder Offensive gegen die Islamisten im Nordosten des Landes gesorgt. Es bleibt abzuwarten, ob der Anschlag vom Ostersonntag in Lahore eine ähnliche Wirkung haben wird. Angesichts der Proteste vor dem Parlament in Islamabad steht aber bereits fest, dass gewaltbereite Islamisten ebenfalls erheblichen Rückhalt in der Bevölkerung geniessen.

Forrás: http://www.nzz.ch