Es war eine ungewöhnlich deutliche Warnung. Vor einer Woche sprach der maltesische Ministerpräsident Joseph Muscat vor Abgeordneten des EU-Parlaments in Straßburg. Der Sozialdemokrat aus Malta ist in diesen Tagen nicht irgendein Politiker. Sein Land hat derzeit den Vorsitz über die 28 EU-Staaten. Im Frühjahr, so erläuterte Muscat, werde die Zahl der Flüchtlinge nach Europa stark ansteigen. „Es muss schnell gehandelt werden“, drängte er. Die EU dürfte nicht wieder unvorbereitet sein. Sonst könnten die „Kernprinzipien“ der Union „ernsthaft auf die Probe gestellt werden“. Es ist Eile geboten.
Am heutigen Freitag wollen die 28 EU-Staats- und Regierungschefs bei einem Flüchtlings-Sondergipfel auf Malta neue Maßnahmen zur Sicherung der EU-Außengrenzen beschließen. Das Ziel: Die EU soll zum Bollwerk werden. Unerwünschte Migranten sollen möglichst gar nicht erst nach Europa kommen. 181.000 Menschen erreichten im vergangenen Jahr Italien – 90 Prozent davon über Libyen. Das sind die drei wichtigsten Bausteine im neuen EU-Konzept zur Sicherung der Außengrenzen, die eine weitere Flüchtlingskrise verhindern soll:
1. Migranten sollen in Libyen bleiben
Ein zentrale Rolle soll auf lange Sicht die libysche Küstenwache spielen. 78 Rekruten wurden bisher von der EU im Rahmen der Marineoperation „Sophia“ ausgebildet, in Kreta hat soeben ein zweiter Ausbildungszyklus für 20 neue Küstenschützer begonnen. Das Problem ist nur: Niemand in Brüssel weiß, was die Rekruten – darunter zahlreiche ehemalige Anhänger von Libyens Ex-Diktator Gaddafi – mit ihren neuen Fertigkeiten machen werden. Es ist unklar, ob sie wirklich im Sinne der Europäer handeln werden und wie viele von ihnen letztlich auch verfügbar bleiben und sich nicht den zahlreichen marodierenden Milizen anschließen.
Trotz dieser Bedenken spielen die libyschen Küstenschützer eine Schlüsselrolle in den Planungen der Europäer. Sie sollen dabei helfen, die Schleusernetzwerke zu bekämpfen, indem sie Schmuggler festnehmen oder Flüchtlingsboote bereits an Land zerstören, damit die Boote erst gar nicht aufs Meer fahren. Ob das im libyschen Chaos und gegen teilweise schwer bewaffnete Schleuser gelingen wird, ist zweifelhaft.
2. Schiffe direkt zurückschicken
Im Konzept des maltesischen EU-Ratsvorsitzes soll die libysche Küstenwache auch eine „Schutzlinie“ in den libyschen Hoheitsgewässern nahe der Küste bilden. Der Plan: Unterstützt von Ländern wie Italien und Malta sollen libysche Grenz- und Küstenschützer die Schleuserboote nahe der Küste abfangen und die Flüchtlinge wieder zurück nach Afrika bringen. Ihr eigentliches Ziel, Italien, sollen sie so nicht mehr erreichen können.
Für die libysche Küstenwache gibt es keine rechtlichen Probleme, Boote nahe der Küste zu stoppen und zurück ans Ufer zu bringen. Für internationale Schiffe ist die Lage aber komplizierter. Die EU-Marineoperation „Sophia“, die außerhalb der sogenannten Zwölfmeilenzone bisher rund 100 Schmugglerboote aufgebracht hat, könnte bald in libyschen Hoheitsgewässern tätig werden. Dort sind die Chancen, die Schleuser zu erwischen, deutlich besser. Die Flüchtlinge sollen dann nach Libyen zurückgebracht werden.
Aber auch dieser Plan hat Haken: In Brüssel wiesen Diplomaten darauf hin, dass die Sicherheit der europäischen Küstenschützer dort nicht gewährleistet ist.
Bislang werden fast alle geretteten Migranten nach Italien gebracht. Rom erklärt sich bislang zur Aufnahme bereit. Im Außenministerium dort legt man aber auch Wert auf die Feststellung, dass Europa derzeit zwar zusammen rette, Italien sich jedoch allein um die Aufnahme der Migranten kümmere. Das kann man auch als indirekte Drohung verstehen: Denn das internationale Seerecht sieht lediglich vor, dass Gerettete in den Hafen eines Staates an Land gebracht werden, wo Leben und Freiheit nicht bedroht sind. Solche Häfen gibt es eben nicht nur in Italien, sondern auch in anderen EU-Ländern.
Unter anderem das Bundesinnenministerium ist der Ansicht, dass die Ankunftszahlen durch dieses Vorgehen kaum sinken. Migranten in Afrika müsse vielmehr die Aussicht genommen werden, Europas Küste zu erreichen. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hat daher bereits im Herbst vorgeschlagen, die geretteten Migranten möglichst zurück nach Afrika zu bringen.
3. Neue Flüchtlingslager in Nordafrika
Es ist sehr umstritten, ob Migranten direkt nach Afrika zurückgebracht werden dürfen. Die Genfer Flüchtlingskonvention beinhaltet das sogenannte Prinzip der Nichtzurückweisung: Migranten dürfen demnach nicht in ein Land geschickt werden, wo es für sie zu gefährlich ist. Das gilt derzeit für alle nordafrikanischen Staaten. Diese hohe rechtliche Hürde versucht man jedoch zu umgehen. Die Rückführung nach Libyen wird derzeit nicht ernsthaft verfolgt. Doch de Maizière spricht immer wieder von „sicheren Orten“ in Nordafrika. Dorthin könnten die Migranten gebracht werden. Von dort würde man dann „die Schutzbedürftigen und nur die Schutzbedürftigen nach Europa“ holen.
Anfang des Jahres skizzierte de Maizière, wie man seinen Plan umsetzen könnte: Die aktuelle EU-Verfahrensrichtlinie mit ihren „hohen Anforderungen“ an einen sicheren Drittstaat im Artikel 38 müsste neu betrachtet werden. „Für die Anforderungen an den ,sicheren Drittstaat‘ sollte dann gelten, dass sie erfüllt sind, wenn am ,sicheren Ort‘ menschwürdige und sichere Aufnahmebedingungen gewährleistet werden“, erklärte der Minister.
Internationale Organisationen wie das Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die EU könnten solche Zentren dann gemeinsam verantworten – zusammen mit dem jeweiligen Land. Namen will de Maizière hier nicht nennen. Aber natürlich schaut er auf Libyens Nachbarländer Tunesien und Ägypten. Nur: Was halten die anderen EU-Staaten von dieser Idee?
https://www.welt.de/politik/ausland/article161764307/So-will-Europa-die-Fluchtroute-aus-Afrika-schliessen.html