Auf der Homepage der FDP ist die Welt schön und bunt: blau, gelb, magenta, sogar rot und grün. Und sie ist einfach und klar. Es heißt etwa: „Polizisten sorgen für Sicherheit. Nicht Paragrafen.“ Oder: Stell dir vor, es ist Arbeit und du gehst hin, wann du willst.“ Oder: „Nur die Ungleichbehandlung ist pervers. #EheFürAlle“. Und schließlich: „Freihandel ohne Vorurteile.“
Das ist nicht mehr die FDP Genschers und auch nicht mehr die Westerwelles. Diese FDP ist schnell, direkt und ein bisschen antiautoritär. Sie hält nicht hinter dem Berg, ist aber auch nicht mehr großmäulig und laut, sondern irgendwie auf selbstbewusste Weise bescheiden.
Nach allem, was man weiß, ist dies das Werk eines einzigen Mannes: des Parteivorsitzenden Christian Lindner. „Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt’s einen, der die Sache regelt – und das bin ich“: Dieser Satz Guido Westerwelles käme Lindner nie von den Lippen. Autorität hat man, man bekundet sie nicht, sie muss selbstverständlich und funktional daherkommen.
Obwohl er sein ganzes erwachsenes Leben in der Partei verbracht hat, wirkt der mit knapp 38 Jahren noch immer juvenile Lindner nicht wie ein Parteigeschöpf. Er ist das, was man smart nennt: der erste Vorsitzende der FDP, der wie ein Repräsentant des neuen Angestelltentypus der digitalisierten Welt wirkt.
Immer noch ein bisschen Papas Partei
Seine Zielsetzung überzeugt, weil sie von Größenwahn frei ist. Die FDP soll – und sei es auch als kleinste Kraft – bundespolitisch wieder mitmischen. Als das, was sie immer schon sein wollte: als die Partei der schwachen, am Ende aber unwiderstehlichen Vernunft.
Doch so schnell wird die FDP die Geister der Vergangenheit nicht los. Augenfälligstes Beispiel dafür ist die Art, wie sie auch noch 2017 das Jahr – immerhin: das Jahr einer Bundestagswahl – einläutet. Mit dem abgestandenen Dreikönigstreffen in Stuttgart setzt die Partei, ob sie will oder nicht, ihre antiquierte Honoratiorenexistenz fort.
Meint die FDP, die doch so sehr auf Digitalisierung setzt, ernsthaft, von irgendwelchen Reden und Geschlossenheitsbekundungen im Stuttgarter Opernhaus könne ein Signal ausgehen, das auf das ganze Land ausstrahlt? So mutig ist die erneuerte FDP nun auch wieder nicht, diesen Zopf abzuschneiden. Ein bisschen bleibt sie noch immer Papas Partei.
Die FDP ist klein und von einem großen Teil des Publikums wird sie mit Leidenschaft verachtet. Das hat viele Gründe, die zahlreichen eigenen Fehler eingeschlossen. Vor allem aber gilt zweierlei als ausgemacht. Erstens, so eine alte These, sei Deutschland mit seinem autoritären Erbe nun einmal ein außerordentlich karger Acker für den liberalen Geist.
Und zweitens – gewissermaßen die umgekehrte These – habe der Liberalismus in den westlichen Gesellschaften fast auf der ganzen Linie triumphal gesiegt, vom Wahl- bis zum Eherecht. Eine eigenständig liberale Politik sei daher nicht mehr nötig.
Letzteres trifft mit Sicherheit nicht zu. Alle Grundwerte des Liberalismus stehen seit geraumer Zeit unter heftigem Beschuss. Vernunft, Kompromiss und die Bereitschaft, auf vielfältige Problemlagen behutsam zu reagieren und zu wissen, dass es in der Politik den Stein der Weisen nicht gibt – all das gilt einer stetig wachsenden Zahl von rechten wie linken Simplifikateuren als Teufelszeug.
Es gilt wahlweise als unentschlossen oder dekadent oder volksfeindlich, als Elitenideologie oder als Kosmopolitismus der „happy few“ und der „citizens of nowhere“ (Theresa May).
So kraftvoll wie noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs äußert sich in der westlichen Welt der Wunsch nach einfachen Lösungen, nach der Wiederherstellung alter Grenzen, nach dem Ende multilateraler Bündnisse, nach dem Stopp aller Einwanderung, nach dem Ende der Europäischen Union und insgesamt nach der angeblich guten alten Zeit.
Kanadische Liberale sind erfolgreich
Der Antiliberalismus, der immer im Untergrund geschlummert hat, ist unübersehbar eine politische Kraft geworden. Ohne Antworten zu haben, greift er doch nach der Macht, in Europa und anderswo. Deswegen steht es heute schlecht um den Liberalismus. Und deswegen ist er nötiger denn je.
Wir haben uns daran gewöhnt, ihn für eine geistige und politische Kraft zu halten, die auf immer minoritär bleiben muss. Komplexität und Kompromiss sind nun einmal weniger sexy als das Machtwort und die Weg-mit-Mentalität.
Doch es gibt Beispiele, die zeigen, dass der Liberalismus auch stark sein kann. 2015 gewann in Kanada die Liberale Partei unter Führung von Justin Trudeau mit mehr als 39 Prozent der Stimmen die Parlamentswahl. Die Liberalen wurden mit 20 Prozentpunkten Zugewinn von der drittstärksten zur stärksten Kraft.
Dieser Sieg hatte viele Gründe, darunter auch die Fehler der zuvor regierenden Konservativen. Vor allem lag es aber wohl daran, dass der damals 44 Jahre alte Trudeau eine frische Liberalität verkörpert. Obwohl schon lange politisch aktiv, hatte er immer ein festes Standbein im wirklichen Leben und in dem, was man Zivilgesellschaft nennt.
Er studierte Umweltgeografie, leitete eine Kampagne für mehr Sicherheit im Wintersport, nahm an Literatursendungen teil, kämpfte gegen eine gefährliche Zinkmine und setzte sich für die vollständige Legalisierung von Cannabis ein.
Man mag das für Minderheitenthemen halten, in der Kombination weisen sie aber den Weg einer offenen Gesellschaft. Das Kabinett, das Trudeau zusammenstellte, ist wahrhaft multikulturell. Es mag eine Menge Showbusiness mitspielen – Trudeau hat aber bewiesen, dass eine weltoffene, liberale Politik attraktiv, ja mehrheitsfähig sein kann.
Ähnlich Sensationelles gelang 2010 Nick Clegg in Großbritannien mit einem erklärtermaßen modernen liberalen Programm. Er erzielte für seine Liberal Democrats das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte und brach damit das Regierungsduopol von Konservativen und Labour auf: Zum ersten Mal seit Churchills Kriegsregierung von 1940 wurde eine Koalitionsregierung gebildet, aus Konservativen und Liberalen.
Bei der nächsten Wahl 2015 war alles wieder dahin, von 47 Sitzen blieben den Liberalen nur noch acht Sitze, sie waren wieder marginalisiert. Clegg hat über diese Erfahrung ein kluges Buch geschrieben: „Politics: Between the Extremes“. Natürlich, sagt er, habe die Machtteilhabe an der Seite von Cameron den Liberalen geschadet.
Was ist die Geschichte für die Zukunft?
Er bleibt aber dabei, dass es auch in der aufgewühlten britischen Gesellschaft des Jahres 2016 mit dem Entscheid gegen die EU ein großes Bedürfnis nach einer Politik der Vernunft und der Generosität gebe. Und er weist auf ein Dilemma aller liberalen Politik hin: Sie spricht eher den Verstand an als das Herz.
Das gilt erst recht für die deutschen Liberalen. Im Grunde glauben sie gar nicht daran, dass es den mündigen, für sich selbst sorgenden Bürger geben kann und dass das viel mit Steuerpolitik zu tun hat. Sie halten ihre Karten hoch, auf denen „Steuersenkung“ oder „bessere Bildung“ oder „schlanker Staat“ steht.
Sie erzählen aber keine in die Zukunft verlängerbare Geschichte, in der alle diese Karten Leben bekämen. Sie trauen sich nicht. Als Nachzügler des spaltungs- und irrtumsreichen deutschen Liberalismus haben sie, ihren forschen Reden zum Trotz, etwas Geducktes.
Warum wagen sie es nicht, ihre honoratiorenhafte Wärmestube zu verlassen? Gerade in Zeiten, in denen einfache Antworten Konjunktur haben, braucht es ja dringend kluge Fragen, komplexe Antworten und gute Geschichten.
https://www.welt.de/debatte/kommentare/article160908109/Smart-und-bescheiden-Die-neue-FDP.html