Die Suspendierung von Senatspräsident Renan Calheiros nach Korruptionsvorwürfen bringt die Pläne der Regierung durcheinander. Einer nach dem anderen der politischen Elite Brasiliens gerät in den Sog der Justiz.

Er war eine der Zielscheiben der Demonstrationen gegen Korruptionam vergangenen Wochenende. Nun ist der brasilianische Senatspräsident Renan Calheiros vorübergehend von seinem Amt enthoben. Am Montagabend hat ein Mitglied des Obersten Gerichtshofes einem Antrag der Linkspartei Rede stattgegeben und Calheiros suspendiert. Der Entscheid ist noch nicht definitiv, doch die Chancen für Calheiros stehen schlecht. Vor wenigen Tagen hat das Oberste Gericht eine Anklage gegen ihn wegen Betrugs angenommen. Zudem dürfte es sich in einem noch nicht abgeschlossenen Verfahren mehrheitlich dafür aussprechen, dass ein Angeklagter nicht in der direkten Nachfolgelinie des Präsidenten stehen darf.

Opposition am Hebel

Nach dem ehemaligen Präsidenten des Unterhauses und Architekten des Absetzungsverfahrens gegen Präsidentin Rousseff, Eduardo Cunha, der in die Petrobras-Affäre verstrickt ist und inzwischen in Haft sitzt, trifft es nun ein weiteres Mitglied der politischen Elite in Brasilia. Calheiros, der wie Cunha und Präsident Temer dem starken und opportunistischen Partido do Movimento Democrático Brasileiro(PMDB) angehört, ist seit Jahren ein Politiker des innersten Zirkels der Macht, obwohl gegen ihn verschiedene Strafuntersuchungen laufen. Das Spiel, das er betreibt, läuft – wie das vieler anderer auch – darauf hinaus, seine eigenen Interessen zu schützen.

Die Suspendierung von Calheiros bringt die Pläne der Regierung Temer durcheinander. Ein notwendiges Gesetzespaket, mit dem die Staatsausgaben beschränkt und der aus dem Lot geratene Haushalt gestrafft werden soll, steht vor der letzten Abstimmung im Senat. Die Nachfolge von Calheiros tritt mit Jorge Viana jedoch ein Mitglied des Partido dos Trabalhadores (PT) an, das nach dem Bruch der Koalition und der Absetzung von Rousseff nun die Opposition anführt. Das Sparpaket ist umstritten, da es auch den Bildungsbereich betrifft, und wird vor allem von linker Seite kritisiert. Es ist nicht auszuschliessen, dass Viana versuchen wird, die entscheidende Abstimmung im Senat hinauszuzögern.

Tickende Zeitbombe

Trotzdem dürften sich die meisten Brasilianer über die Suspendierung von Calheiros freuen. Er ist eine der Symbolfiguren einer korrupten politischen Elite. Doch er ist weitaus nicht die einzige. Mehr als die Hälfte aller Kongressmitglieder sind im Visier der Justiz. Langsam aber sicher zieht sich nun allerdings die Schlinge zu. Für Nervosität sorgt besonders eine Sache: Etliche ehemalige Direktionsmitglieder des Baukonzerns Odebrecht, der die zentrale Rolle im Petrobras-Skandal spielt, haben sich kürzlich zur Kooperation mit den Untersuchungsbehörden bereit erklärt, um eine Strafmilderung zu erlangen. Es heisst, dass dies Folgen für mehr als hundert Abgeordnete und Senatoren haben könnte.

Die tickende Zeitbombe erklärt auch eine denkwürdige Abstimmung über ein Gesetzespaket zur Korruptionsbekämpfung vergangene Woche. Das Paket, das zehn Massnahmen vorsah, wurde von den Abgeordneten regelrecht zerpflückt und um einen Zusatz erweitert, der die Möglichkeit einer Strafverfolgung gegen Staatsanwälte vorsieht, die zu unbedacht gegen politische Amtsträger vorgehen. All das geschah just an dem Tag, als Brasilien sich im Schock über die verunglückte Fussballmannschaft von Chapecoense befand. Das zur Unkenntlichkeit veränderte Anti-Korruptions-Projekt liegt nun im Senat, der eine von Calheiros beantragte dringliche Abstimmung abgewiesen hat.

Wiedererwachter Volkszorn

Die Episode hat den Volkszorn der Brasilianer aufs Neue geweckt. Am Wochenende gingen in verschiedenen Städten Tausende von Demonstranten auf die Strasse, um den Untersuchungsbehörden und Richtern den Rücken zu decken und ihrer Abscheu gegen Korruption und die Politik Ausdruck zu verleihen. All jene, die gedacht hatten, dass nach der Absetzung von Präsidentin Rousseff Ruhe einkehren würde, sehen sich eines Besseren belehrt. Auch Präsident Temer, der bereits sechs seiner Minister wegen Korruptionsvorwürfen verloren hat, muss genau achtgeben, mit wem er sich jetzt einlässt. Noch waren die Rufe gegen Temer zaghaft. Doch das könnte sich mit den explosiven Aussagen aus dem Hause Odebrecht möglicherweise sehr rasch ändern.

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