Mehr als 170 Jahre lang hat die Rügenwalder Mühle Wurst verkauft. Nun bedient das Unternehmen auch Vegetarier.
Auf Godo Röbens Schreibtisch stand bis vor Kurzem eine fleischfressende Pflanze. Röben fand das lustig, schließlich verarbeitet das Unternehmen, für das der 46-Jährige als Marketing- und Entwicklungschef arbeitet, jeden Tag Tonnen an Fleisch; in den Supermarktregalen landen anschließend Streichwurst, Mett und Frikadellen. Rügenwalder Mühle zählt zu den bekanntesten Wurstmarken Deutschlands, die Firmenzentrale in Bad Zwischenahn bei Oldenburg ist ein Paradies für eine fleischfressende Pflanze, mag man meinen. Doch jetzt, da Godo Röben versucht, dem Unternehmen das Fleisch zu nehmen, ist die Pflanze eingegangen.
Röben ist seit fast 20 Jahren bei der Rügenwalder Mühle. Die Pommersche Leberwurst war Ende der neunziger Jahre seine Idee, ebenso die Teewurst im Plastikschälchen. Jahrzehntelang aß er täglich Fleisch. Und wenn er bei Verwandten und Freunden die Kühlschränke inspizierte, was er bis heute regelmäßig macht, entdeckte er viel Fleisch und viel Wurst. Er sah Absatzmärkte für seine Kreationen, alles war gut.
Vor ein paar Jahren änderte sich etwas. Käse, Tofu und vegetarische Aufstriche beanspruchten mehr und mehr Raum in den Kühlfächern. Selbst daheim spürte Röben den Wandel – seine Tochter aß kaum noch Fleisch, wegen der Tiere. „Da wächst eine Generation heran, die das nicht mehr essen wird”, sagt er jetzt. „Gegen Fotos, die Zustände in der Massentierhaltung zeigen, komme ich nicht an. Als Wurstmensch wird man nur noch der Getriebene sein.”
Dem Vegetarierbund Deutschland (VEBU) zufolge ernähren sich hierzulande 7,8 Millionen Menschen vegetarisch, das sind rund zehn Prozent der Bevölkerung. Vor 30 Jahren waren es gerade mal 0,6 Prozent. 42 Millionen sind sogenannte Teilzeitvegetarier, das heißt, sie verzichten an drei oder mehr Tagen in der Woche auf Fleisch. „Diese Entwicklung lässt sich nicht mehr umkehren”, sagt Röben. „Als Marketingleiter wurde ich nervös, weil ich dabei zusehen musste, wie unser Markt wegfliegt.”
Ein neuer Markt musste her. Also erfand Godo Röben die 1843 gegründete Rügenwalder Mühle neu.
Eine Herausforderung. In dem Unternehmen verarbeiten 52 Metzger rund 450 Tonnen Schweine- und Geflügelfleisch pro Woche. 176 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftete es so 2013. Wo aber soll dieses Geld in einem sich zunehmend pflanzlich ernährenden Deutschland herkommen? Röben und sein Chef Christian Rauffus dachten darüber nach, eine Brotfabrik zu kaufen, um Rügenwalder Brot herzustellen. Oder eine Brauerei. Dann kam Röben die Idee, der Wurst das Fleisch zu nehmen und es durch Soja, Eiklar, Rapsöl sowie verschiedene Zusatzstoffe zu ersetzen. Rauffus ließ sich schnell überzeugen – bei den rund 400 Mitarbeitern dauerte es länger.
Er selbst ist längst überzeugt, dass Wurst auch ohne Fleisch funktioniert. Schließlich gebe es ja auch alkoholfreies Bier und benzinfreie Autos. Und er lebt vor, wie gut Menschen ihre Gewohnheiten ändern können. Röben hat seine Lehre zum Industriekaufmann bei Coca-Cola gemacht – heute freut sich der Mittvierziger über zuckerfreie Getränke. Er war lange Raucher – vor sechs Jahren hat er seine letzte Zigarette angezündet.
Forrás: http://www.zeit.de/2015/19/ruegenwalder-muehle-vegetarische-wurst