Die knappste Präsidentschaftswahl der österreichischen Nachkriegszeit wird zwar erst am Montag entschieden. Dennoch zeigt sich bereits jetzt, dass Norbert Hofer von der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) den Sieg in den meisten ländlichen und vorstädtischen Gebieten errungen hat. Für den Grünen Alexander Van der Bellen entschieden sich hingegen die meisten Wähler in den grossen Städten und im Westen des Landes. Eine Wahlkarte zeigt deshalb eine primär blau – die Farbe der FPÖ – eingefärbte Landschaft mit grossen grünen Flecken. Da aber alleine in der Hauptstadt Wien ein Fünftel der Bevölkerung lebt, reichte dies für den Gleichstand.
Neben den Städten war für Van der Bellens Aufholjagd entscheidend, dass offenbar eine hohe Zahl von Wählern einen Freiheitlichen in der Hofburg unbedingt verhindern wollte. Laut einer Analyse des Politologen Peter Hajek für den Sender ATV war dieses Motiv mit 40 Prozent mit Abstand das Wichtigste für eine Entscheidung zugunsten des Grünen. Demgegenüber stimmten fast die Hälfte der Wähler Hofers aufgrund von dessen sympathischem Auftreten und seines jungen Alters für den Kandidaten. Die Flüchtlingskrise und das Thema Sicherheit – zentrale Elemente seiner Kampagne – waren dagegen nur für 12 Prozent ausschlaggebend. Wie üblich ist zudem auch bei dieser Wahl zu beobachten, dass die Grünen vor allem bei Frauen punkten können, die FPÖ dagegen bei Männern.
Die entscheidende Frage im Hinblick auf die Stichwahl war, an wen die Stimmen der im ersten Wahlgang ausgeschiedenen Kandidaten gehen würden. Laut der Analyse ist die Mehrheit aller dieser Kandidaten auf Van der Bellen umgeschwenkt, am klarsten jene des Sozialdemokraten Rudolf Hundstorfer, die zu 85 Prozent den Grünen wählten. Bei den Wählern der unabhängigen Richterin Irmgard Griss, die im ersten Wahlgang immerhin auf fast 20 Prozent gekommen war, waren es 77 Prozent. Überraschender ist aber, dass auch fast 60 Prozent der Wähler des Konservativen Andreas Khol den Grünen bevorzugten. Allerdings nahmen 40 Prozent der Hofer-Wähler am zweiten Wahlgang nicht mehr teil.
Norbert Hofer hatte im Wahlkampf immer wieder gesagt, die Regierung entlassen zu wollen, wenn sie keine Reformen vorantreibe oder etwa die Steuerlast erhöhe. Die Studie zeigt nun, dass selbst eine knappe Mehrheit der Wähler Hofers will, dass die Regierung bis zum regulären Wahltermin im Herbst 2018 im Amt bleibt. In der Gesamtbevölkerung sprechen sich 72 Prozent gegen eine Entlassung aus. Der zuweilen leichtfertige Umgang Hofers mit dieser bisher nie wahrgenommenen Kompetenz des Präsidenten könnte also angesichts des so knappen Wahlausgangs entscheidende Stimmen gekostet haben.
http://www.nzz.ch/international/europa/analyse-der-praesidentenwahl-in-oesterreich-protestwaehler-gegen-bewahrer-ld.84104