Österreichs Asyl-Obergrenze ist rechtswidrig
Eine absolute Obergrenze für Asylgesuche verstösst gegen Österreichs Verfassung. Die Gutachter sollen nun rechtskonforme Empfehlungen erarbeiten. Täglich werden weiterhin 100 Asylanträge im Land registriert.
Mehr noch als der Zaun in Spielfeld an der Grenze zu Slowenien oder die Initiierung der Grenzschliessung in Mazedonien ist die Obergrenze zum Symbol für Österreichs Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik geworden. Vor gut zwei Monaten beschloss die Regierung, im laufenden Jahr maximal 37 500 Asylgesuche anzunehmen – eine massive Senkung angesichts von fast 90 000 Anträgen im vergangenen Jahr . Für Verwunderung sorgte damals, dass offenbar keine Klarheit darüber bestand, ob eine solche Deckelung rechtlich zulässig ist. Die Regierung gab dazu Gutachten bei einem Verfassungs- und einem Europarechtler in Auftrag.
Schlappe für die Regierung
Mittlerweile wurden die Expertisen der Regierung übergeben, jedoch nicht publiziert. Gleichwohl ist das Fazit bekannt: Beide Juristen sagten gegenüber den Medien, eine absolute Obergrenze, ab deren Erreichen keine Anträge mehr geprüft würden, verstosse gegen Verfassung, Völker- und Europarecht. So erklärte der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk der Zeitung «Der Standard» , eine Regelung, dass das 37 501. Asylgesuch nicht mehr entgegengenommen werde, widerspreche dem Anspruch auf Rechtsschutz vor einem unabhängigen Gericht. Zudem seien die Behörden in der Pflicht, die Einhaltung des Non-Refoulement-Gebots für jeden Antragsteller individuell zu prüfen – selbst wenn sich die Regierung auf einen Notstand beruft, was sie bisweilen tat.
Das Ergebnis überrascht nicht, hatten doch prominente Verfassungs- und Völkerrechtler schon im Januar erhebliche Zweifel an der juristischen Zulässigkeit des Regierungsbeschlusses geäussert. Die Tatsache, dass auch die von ihr beauftragten Gutachter zum selben Schluss kommen, ist dennoch eine Schlappe für die Regierung. Die federführende Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hatte stets betont, der Plan einer Obergrenze stehe in Einklang mit geltendem Recht.
Der Zeitung «Kurier» sagte sie nun , es sei nie darum gegangen, gesetzlich eine Zahl zu verankern. Die Gutachten müssten nun zusammengeführt und daraus Handlungsempfehlungen abgeleitet werden, damit die Obergrenze gar nicht erst erreicht werde. Nötigenfalls würden Gesetze angepasst. Die Ministerin erwog ausserdem, über die Obergrenze hinausgehende Anträge zwar entgegenzunehmen, die entsprechenden Personen aber gleichwohl in die Nachbarländer zurückzuweisen. Dass diese das akzeptieren, ist jedoch unwahrscheinlich. Ihre dezidierte Aussage vom Januar, die Obergrenze sei strikt einzuhalten, wiederholte Mikl-Leitner jedenfalls nicht. Der sozialdemokratische Kanzler Werner Faymann hatte immer von einem «Richtwert» gesprochen, ebenso Bundespräsident Heinz Fischer, der selbst ein Verfassungsrechtler ist. Diese Interpretation entspräche eher einer politischen Absichtserklärung, die rechtlich unproblematisch ist. Allerdings hatte auch Faymann zuletzt klargemacht, Österreich sei nicht bereit, mehr als 37 500 Flüchtlinge aufzunehmen.
Der erwünschte Dominoeffekt
Das vorrangige Ziel wurde mit der Ausrufung einer Obergrenze ohnehin erreicht: Sie löste entlang der Balkanroute einen Dominoeffekt aus, der die unkontrollierte Einreise von Asylsuchenden über die Südgrenze gestoppt hat. Am Grenzübergang Spielfeld, wo noch im Herbst täglich mehrere tausend Migranten nach Österreich eingereist waren, kam am ersten Märzwochenende der letzte durch die slowenischen Behörden organisierte Transport an.
Mitte Februar hat die Innenministerin die jährliche Obergrenze auf Tageskontingente umgerechnet und festgelegt, dass täglich nur noch maximal 80 Gesuche entgegengenommen werden. Allerdings gilt diese Regelung ausschliesslich für die Südgrenze. Flüchtlinge, die sich bereits im Land befinden oder von Schleppern nach Österreich geschleust werden, können nach wie vor unbeschränkt um Asyl ansuchen. Derzeit sind es durchschnittlich gut 100 Anträge pro Tag , was gegenüber Januar und der ersten Februarhälfte einer Halbierung entspricht. Bis Mitte Februar hatte das Innenministerium rund 11 000 Gesuche verzeichnet , zudem rechnete es mit etwa 8000 Anträgen auf Familiennachzug, der laut den Plänen der Regierung ebenfalls unter die Obergrenze fallen soll. Bleibt es bei durchschnittlich 100 Asylgesuchen täglich, wäre diese bereits im Spätsommer erreicht, wie Mikl-Leitner im «Kurier»-Interview erklärte – trotz geschlossener Balkanroute. Die Zahl muss also zwingend weiter sinken, wenn sich die Obergrenze nicht als sehr ungefährer Richtwert erweisen soll. Man darf auf die Empfehlungen der Gutachter gespannt sein.
Forrás: http://www.nzz.ch