Die japanische Zentralbank hat ein geldpolitisches Tabu gebrochen: Sie will künftig die Zinskurve direkt kontrollieren.
  • Damit verfolgt sie das Ziel, die Renditen der zehnjährigen japanischen Staatsanleihen bei nahe null zu halten.
  • Weltweit versuchen die Notenbanken, die Nebenwirkungen ihrer expansiven Geldpolitik durch Eingriffe abzumildern.
Warum das wichtig ist:
Für Sparer und Banken hat das enorme Folgen: Selbst bei langfristigen Investments wird es immer schwieriger, Vermögen zu bilden.

Die Bank of Japan (BoJ) gilt als eine Art Trendsetter in der Notenbankszene. Die japanische Zentralbank führte als erste den Nullzins ein. Und auch das unkonventionelle Instrument der Anleihekäufe nutzten die Yen-Hüter bereits, als die Idee in anderen Teilen der Welt noch völlig abwegig erschien.

Nun haben sich die Japaner eine neue Variante der Geldpolitik einfallen lassen, um Wachstum und Inflation auf die Sprünge zu helfen. Statt wie bisher einfach nur die Geldmenge auszudehnen, indem sie Anleihen und Aktien kauft, will die Notenbank künftig die Kontrolle über die Zinskurve ausüben. Konkret zielt sie darauf, die Renditen der zehnjährigen japanischen Staatsanleihen bei nahe null zu halten. Auf diese Weise sollen die Nebenwirkungen der bisherigen Geldpolitik zumindest gemildert werden.

„Die Entscheidung der Bank of Japan ist ein klarer Richtungswechsel in der Geldpolitik“, sagt Tomoya Masanao vom Anlagehaus Pimco.

Einstieg in eine monetäre Planwirtschaft

Die Bank of Japan rüttelt an einer der Grundfesten der Geldpolitik. Bislang setzten die Währungshüter lediglich die kurzfristigen Sätze auf dem Geldmarkt, indem sie den Leitzins anhoben oder senkten. Die langfristigen Zinsen hingegen – gemeint sind die Renditen für Papiere mit Laufzeiten von fünf Jahren oder länger – bildeten sich an den Anleihemärkten durch Angebot und Nachfrage. Die Geldpolitik hatte darauf allenfalls indirekten Einfluss.

„Niedrige Zinsen sollen Stimmung steigern”

Die lockere Geldpolitik hat die Ungleichheit in der Gesellschaft laut Bundesbank nicht erhöht. Holger Zschäpitz aus der „Welt“-Wirtschaftsredaktion erklärt, welche Folgen die Niedrigzinsen haben.

Quelle: Die Welt

Die Bank of Japan startet mit ihrem langfristigen Zinsziel eine neue Stufe der Intervention. Aus Sicht einiger Marktteilnehmer erinnert der Schritt gar an den Einstieg in eine monetäre Planwirtschaft, bei der eine unkonventionelle Maßnahme auf die nächste folgt, mit entsprechenden Nebenwirkungen. Um diese abzumildern, werden weitere Milliardeninterventionen fällig.

Am Ende müssen die Notenbanker die Märkte immer stärker steuern, sprich: immer mehr Preise auf ein gewünschtes Planniveau führen. Aus den einst unabhängigen Zentralbanken werden auf diese Weise bürokratische Kolosse, die alles kontrollieren und viel zu vielen – und teilweise sogar gegenläufigen – Zielen verpflichtet sind.

Fed-Chefin Yellen eiert auf Zinssitzung herum

Die Bank of Japan ist nicht die einzige Währungsinstitution, die die Erfahrung machen muss. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) mutiert zusehends zu einer Superbehörde. Und die amerikanische Fed wird zur Gefangenen ihrer lockeren Politik, wie die Sitzung am Mittwochabend zeigte. Sie kann trotz guter Konjunktur nicht mehr die Zinsen erhöhen. Fed-Chefin Janet Yellen ließ die Sätze unverändert zwischen 0,25 und 0,5 Prozent. Sie hatte sichtlich Mühe, den versammelten Journalisten zu erklären, dass dies nicht auf eine Skepsis gegenüber dem Zustand der US-Ökonomie zurückzuführen sei, sondern lediglich der richtige Zeitpunkt für eine Straffung noch nicht gekommen ist. Die Märkte sind auf Dezember eingestellt und so ist auch die Fed zu einer Art Behörde mit monetärer Planwirtschaft verkommen. Sollten die Währungshüter jedoch irgendwann die Kontrolle verlieren, würden die künstlich aufgepumpten Märkte kollabieren.

Quelle: Infografik Die Welt

Die weltweiten Anleihemärkte wären der erste Kandidat für einen solchen Kollaps. Denn mit dem Start der milliardenschweren Anleihekäufe wurden die Notenbanker auch bei den langfristigen Zinsen zum maßgeblichen Akteur. Seit der Einführung der Negativzinsen in Europa und Japan ist der Markt endgültig verzerrt.

Mit der Folge, dass die Zinssätze selbst für 15-jährige japanische Staatsanleihen negativ waren und es keine größeren Zinsunterschiede mehr zwischen zweijährigen und zehnjährigen Papieren gab. Im Jargon ist von einer flachen Zinsstruktur die Rede. Normalerweise rentieren längerfristige Papiere deutlich höher, weil auch das Risiko für den Gläubiger größer ist. In einer Welt der flachen Zinsstrukturen ist dieses Gesetz ausgehebelt, der Markt funktioniert nicht mehr.

Zentralbank ist auf den Finanzsektor angewiesen

Das hat Folgen nicht nur für Sparer, für die es selbst bei langfristigen Investments immer schwieriger wird, Vermögen zu bilden. Auch Banken sind auf eine steile Zinsstrukturkurve angewiesen. Sie leihen sich in der Regel das Geld kurzfristig bei der Notenbank und verleihen es längerfristig an Firmen oder Hausbauer. Die Spanne zwischen den niedriger verzinsten Kurzläufern und den höher rentierenden Langläufern kann die Bank als Gewinn einstreichen.

Quelle: Infografik Die Welt

Doch Zinserträge konnten die Banken in Japan angesichts der flachen Zinsstrukturkurve kaum noch machen. Die japanische Zentralbank lief Gefahr, den Finanzsektor zu ruinieren. Um einen Aufschwung hinzubekommen, sind die Währungshüter um BoJ-Präsident Haruhiko Kuroda auf den Bankensektor angewiesen. „Die Bank of Japan braucht eine steilere Zinsstrukturkurve. Sonst wird die Wirtschaft negativ beeinträchtigt, weil die Transmission zwischen Geldpolitik und Realwirtschaft nicht mehr funktioniert“, sagt Masanao.

Deshalb wurde nun quasi per Dekret die Zinsstrukturkurve versteilt. Postwendend gehörten Bankwerte mit einem Zuwachs von sieben Prozent zu den großen Gewinnern in Tokio. Tatsächlich lässt sich ein perfekter Zusammenhang zwischen dem Grad der Zinsspanne und den Kursen der Bankaktien ausmachen. Je flacher die Zinsstrukturkurve wurde, desto tiefer stürzten die Banktitel.

„Notenbanken sind mit ihrem Latein am Ende“

Dieser Zusammenhang existiert nicht allein in Japan, sondern auch in Europa. Damit steigt nun auch der Druck auf die EZB, eine ähnliche Anpassung des Anleihekaufprogramms vorzunehmen, um die europäischen Banken zu stützen. Ohnehin hat EZB-Präsident Mario Draghi angekündigt, dass eine interne Arbeitsgruppe die Parameter des Kaufprogramms überarbeiten wird. Spätestens im Dezember sollen die Erkenntnisse dann präsentiert werden.

Draghi fordert Strukturreformen in der Euro-Zone

Alle Länder des Euro-Raums brauchen Strukturreformen. Nur so können die geldpolitischen Maßnahmen der Europäischen Zentralbank auch ihre volle Wirkung entfalten. Das sagt EZB-Präsident Mario Draghi.

Quelle: Die Welt

Sicherlich wird es dabei auch um Nebenwirkungen und die Gesundheit des europäischen Bankensektors gehen. Denkbar wäre, das EZB-Kaufuniversum auf Bankanleihen auszuweiten und damit gleich zwei positive Effekte zu erzielen. Auf diese Weise würden sich die Finanzierungsbedingungen verbessern, gleichzeitig müsste die EZB weniger Staatsanleihen kaufen, und die langfristigen Zinsen könnten sich normalisieren, sprich: die Kurve wieder steiler werden. Möglich wäre auch, Aktien in das Kaufprogramm zu integrieren und auf diese Weise den Banken zu helfen.

Für Experten ist klar, dass der Einstieg in die geldpolitische Planwirtschaft kein speziell japanisches Phänomen ist, sondern ein weltweites. Für Pimco-Mann Masanao ist es ein untrügliches Zeichen, „dass die Notenbanken mit ihrem Latein am Ende sind“.

https://www.welt.de/finanzen/article158304673/Notenbanken-eroeffnen-das-Zeitalter-der-Planwirtschaft.html