Wolfgang Schäuble sei störrisch, sagen die einen. Hartnäckig sei er, argumentieren die anderen – vor allem die aus der eigenen Partei. Beiden geht es um Griechenland. „Völlig sinnlos“ sei es derzeit, über mittelfristige Schuldenerleichterungen für Athen zu spekulieren, verkündete der Bundesfinanzminister beim Treffen der Euro-Finanzminister zu Beginn der Woche. Beschlüsse dazu seien laut einer Vereinbarung der Euro-Länder erst nach Abschluss des laufenden Hilfsprogramms vorgesehen. Und das ist im Jahr 2018.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Nächstes Jahr wird der Bundestag gewählt. Schäuble weiß, wie umstritten sowohl Schuldenerleichterungen für Griechenland, als auch ein Ausstieg des Internationalen Währungsfonds (IWF) bei den Wählern und damit in der Regierungskoalition sind. Deshalb will er die Entscheidung möglichst weit nach hinten hinausschieben – wenn er sie denn schon nicht verhindern kann.
Nur aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Mit Griechenland und der Euro-Zone ist es wie mit einer ganzen Reihe anderer großer Reformbaustellen, die Schwarz-Rot während der 18. Legislaturperiode hätte abarbeiten sollen: die Euro-Konstruktion. Die Energiewende. Demografie, Rente und Gesundheit. Verkehr. Zuwanderung.
Alles steht auf einer langen Liste von Aufgaben. Gelöst wurde keine einzige. Im besten Fall wurde ihre Lösung nach hinten verschoben. Im schlimmsten Fall wurden die Probleme sogar noch vergrößert. Große Lösungen sind von dieser Koalition nicht mehr zu erwarten. Nach drei Jahren gemeinsamer Zusammenarbeit sehnen sich Schwarze und Rote nach dem Ende dieses Bündnisses – wohl wissend, dass sie das nächste Wahlergebnis zu einer weiteren großen Koalition verdammen könnte.
Wir zeigen, was Union und Sozialdemokraten aus den größten Reformbaustellen gemacht haben.
1. Die griechische Tragödie
Die Probleme Athens sind nicht erst in dieser Legislaturperiode entstanden. Und die Deutschen haben sie auch nicht verursacht. 2009 rutschte Griechenland an den Rand der Pleite. Die Euro-Partner und der IWF retteten das Land mit Milliardenkrediten vor der Insolvenz – auch um ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone zu verhindern. Gleichzeitig verordneten sie dem Land ein Reformprogramm. Zu dessen Einhaltung waren die verschiedenen Regierungen in Athen weder Willens noch politisch in der Lage.
Die Bundesregierung – vor allem unter dem Druck der Bundeskanzlerin – hatte Hilfen immer nur unter einer Bedingung zugesagt: die Beteiligung des IWF. Mittlerweile haben sich die griechische Regierung und die Euro-Länder auf ein drittes Hilfspaket in Höhe von bis zu 86 Milliarden Euro geeinigt. Der Fonds aber hat bis heute keine Beteiligung an diesen Hilfsmaßnahmen zugesagt. Im Gegenteil: Ganz offen droht er den Europäern und damit vor allem Angela Merkel und Wolfgang Schäuble, nicht mehr an den Hilfen teilzunehmen, wenn Griechenlands europäische Freunde dem Land nicht endlich die längst zugesagten Erleichterungen bei der Schuldenlast genehmigen.
Für Schäuble und die Unionsseite der Bundesregierung ist das ein Problem. Über Jahre hatten sie versprochen, dass die Deutschen kein Geld in Griechenland verlieren würden. Ein Schuldenerlass – in welcher Form auch immer – wäre der Beweis des Gegenteils. Ein IWF-Ausstieg wöge vermutlich nicht minder schwer in der politischen Diskussion, da der Fonds in Deutschland immer als Pfeiler gegen die Finanzwünsche der Südeuropäer verkauft wurde.
Sechs Jahre nach Ausbruch der Griechenland-Krise ist man damit nicht viel weiter als an ihrem Anfang. Mit Milliarden hat man das Land stabilisiert, hat den privaten Gläubigern des griechischen Staates die Schulden abgekauft und neue zusätzlich angehäuft. Aber die Einsicht, dass Griechenland auf absehbare Zeit nicht wettbewerbsfähig genug sein wird, vielleicht auch gar nicht sein kann, um zu gleichen Bedingungen wie alle anderen Mitglieder im Euro zu bleiben, spricht keiner aus. Athen hat nur in einer Transferunion eine Chance – sonst müsste es die Währungsunion verlassen.
Wolfgang Schäuble weiß das. Letztes Jahr wollte er daher den Grexit durchsetzen. Angela Merkel – auch unter dem Druck der Franzosen – hat ihn davon abgehalten. Was politisch und ökonomisch sogar immer noch die bessere Lösung sein mag. Nur: Ohne eine grundlegende Lösung – egal in welcher Richtung – wird Griechenland Europa als Problem noch lange belasten. Vor allem bei den Bürgern hinterlässt die Handhabung der Griechenland-Krise den Eindruck, dass hier ein Land mit europäischen Steuermitteln gepampert wird, das es wegen fehlenden Leistungswillens nicht verdient hat. Dass das Reformprogramm im Kern dazu gar nicht geeignet war, gehört genauso zur Wahrheit wie die Tatsache, dass Griechenlands Regierungen an einem grundlegenden Umbau des Landes zu wenig Interesse zeigten.
2. Europa in Auflösung?
Seit dem Ausbruch der Euro-Krise – entfacht durch Griechenlands Probleme – versprachen die Europäer, die Währungsunion mit einem tragfähigen Konstrukt zu untermauern. Längst hat die Öffentlichkeit vergessen, was man dafür alles erfunden hat: den europäischen Wachstums- und Stabilitätspakt zum Beispiel. Vorm Untergang gerettet aber hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Währungsunion. Die seit Jahren extrem lockere Geldpolitik sollte einerseits den europäischen Nationalstaaten, andererseits den EU-Institutionen Zeit kaufen, um Europa zu stabilisieren. Die Deutschen als stärkste Wirtschaftsmacht des Kontinents galten dabei immer als eine Art Reformtreiber.
Am Ende dieser Legislaturperiode sollte sich diese Bundesregierung eingestehen, dass sie zu wenig getan hat. Nennenswerte Reformvorschläge? Einen Plan für den Weg aus der Krise? Anreize für Reformen der kriselnden europäischen Institutionen? Wenig war von Angela Merkels europäischem Ehrgeiz zu spüren. Sie ist zwar nicht die einzige Regierungschefin, die es schleifen ließ. Aber sie ist die Kanzlerin des möglicherweise entscheidenden EU-Mitgliedslandes.
Die Folge: In den Krisenländern verliert der Euro an Reputation, weil er notwendige Anpassungsprozesse der Währung nicht zulässt. In Deutschland verliert er an Ansehen bei den Bürgern, weil die Nullzinspolitik der EZB zur Entwertung der Sparkonten führt.
Das harsche deutsche Auftreten gegenüber Krisenländern wie Griechenland, Portugal oder sogar Italien hat zudem die Nebenwirkung, dass diese Staaten in der Flüchtlingskrise keine große Hilfe für Angela Merkel waren. Die von Berlin immer gepriesenen Briten dagegen verabschieden sich mit dem Brexit-Votum aus der EU. Angela Merkel – schon immer allergisch gegen große Visionen – hat bis heute keine Idee, wie sie die bröckelnde Gemeinschaft zusammenhalten kann. Die Osteuropäer gehen in der EU ihren eigenen Weg. In der größten Krise seit dem Mauerfall zeigt sich diese Bundesregierung nicht in der Lage, Europa mit gemeinsamen Ideen einen neuen Sinn zu geben.
3. Haushalt und Investitionen
Nicht alles war in den vergangenen drei Jahren schlecht. Wolfgang Schäuble war der erste Bundesfinanzminister seit über vier Jahrzehnten, der einen ausgeglichenen Haushalt ohne neue Schulden vorlegen konnte. Am Ende seiner zweiten Amtszeit als Finanzminister im nächsten Jahr wird er wohl vier Jahre mit einer schwarzen Null hinter sich haben. Das ist eine beachtliche Leistung.
Allerdings hat das nur zum Teil mit Schäubles hartnäckiger Sparsamkeit zu tun. Milliardenersparnisse durch niedrige Schuldzinsen und die seit Jahren hohen Steuereinnahmen durch gute Konjunktur erleichtern ihm das Leben erheblich. Dass es der Bundesregierung in dieser Zeit nicht möglich war, mehr für Investitionen, innere Sicherheit und Bildung zu tun, lag auch an den erheblich gestiegenen Ausgaben im sozialen Bereich. Die Flüchtlingskrise erzwingt Ausgaben für die Integration. Auch bei Rente und Gesundheit hat Schwarz-Rot draufgesattelt. Finanziell wird sich das in der Zukunft rächen.
4. Teuerster Sozialstaat trotz Rekordbeschäftigung
Seit Andrea Nahles (SPD) 2013 Ministerin für Arbeit und Soziales wurde, kann die Sozialdemokratin Rekorde am laufenden Band präsentieren. So waren in Deutschland noch nie so viele Menschen in Lohn und Brot wie heute: Mit rund 43 Millionen Erwerbstätigen erreicht die Beschäftigung aktuell ein Allzeithoch, während die Arbeitslosenquote mit knapp sechs Prozent auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung gefallen ist.
Überraschenderweise steht dem Beschäftigungsrekord ein stetiger und kräftiger Anstieg der Sozialausgaben gegenüber. Die Devise, dass der Sozialstaat vor allem in schlechten Zeiten gefordert ist, scheint ins Gegenteil gekehrt zu sein: Gab der Staat 2013 noch 818 Milliarden Euro für Gesundheit, Familienleistungen, Rente, Pflege, Arbeitslose oder Behindertenfürsorge aus, so weist das vom Arbeitsministerium vorgelegte „Sozialbudget 2015“ für das vergangene Jahr bereits 888 Milliarden Euro aus.
Neben den Rentenausgaben schnellten unter der großen Koalition vor allem die Gesundheitskosten in die Höhe. Und die Weichenstellungen von SPD und Union sorgen dafür, dass die Sozialausgaben auch in den nächsten Jahren stärker steigen werden als das Bruttoinlandsprodukt (BIP).
Nahles hat allein mit dem 2014 verabschiedeten Rentenpaket für zusätzliche Ausgaben von gut zehn Milliarden Euro pro Jahr gesorgt. Von der Mütterrenteprofitieren Frauen, die vor 1992 Kinder geboren haben: Sie bekommen ein zusätzliches Erziehungsjahr bei der Rente angerechnet. Die abschlagsfreie Rente mit 63 kommt älteren Arbeitnehmern mit vielen Beitragsjahren zugute, die nun ohne Abzüge frühzeitig in den Ruhestand gehen können.
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Ökonomen und Rentenversicherung hatten vergeblich vor der Umverteilung von Jung zu Alt gewarnt und darauf hingewiesen, dass die demografische Entwicklung ohnehin zu einer stetig steigenden Beitragsbelastung für die junge Generation führt. Ein Beitrag zur Vermeidung von Altersarmut war das Rentenpaket zudem nicht. Und so debattieren SPD und Union jetzt erneut über weitere Leistungsausweitungen, etwa für Ostrentner, Erwerbsgeminderte, Mütter, Geringverdiener – oder gleich für alle heutigen und künftigen Rentner.
Immerhin gibt es in der Rentenpolitik auch einen kleinen Schritt in die richtige Richtung. So wird mit der neuen Flexirente der Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand flexibilisiert. Wer länger berufstätig bleibt, bessert künftig seine Rente stärker auf als bisher. Umgekehrt wird allerdings auch die frühe Teilrente attraktiver. Ob die Deutschen also unter dem Strich künftig tatsächlich länger arbeiten, wie dies angesichts der Alterung der Gesellschaft nötig ist, bleibt abzuwarten.
Aber nicht nur Nahles treibt die Sozialausgaben in die Höhe. Auch Hermann Gröhe (CDU), verantwortlich für Gesundheit und Pflege, legte in den vergangenen drei Jahren unermüdlich Gesetze vor, die vor allem eines sind: kostspielig. Ob Klinikreform, E-Health-Gesetz oder die Verbesserung der Pflegeausbildung – an allen Ecken und Enden des Gesundheitswesens steigen die Ausgaben. Um zu verhindern, dass im Wahljahr 2017 die Zusatzbeiträge der Krankenkassen in die Höhe schnellen, greift Gröhe jetzt die Finanzreserven der gesetzlichen Krankenversicherung an. In der Pflegeversicherung hat der Minister die größten Leistungsausweitungen seit Einführung dieser Sozialversicherung auf den Weg gebracht. Für die Krankenkassen steht deshalb fest: Gröhe ist der teuerste Gesundheitsminister, den Deutschland je hatte.
5. Die mühsame Wende in der Energiepolitik
In der Energiepolitik ist die Bilanz der großen Koalition nicht ganz schlecht. Der Amtsführung von Bundeswirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) und seinem Staatssekretär Rainer Baake ist der Gestaltungswillen deutlich anzumerken und ebenso das Bestreben, die wichtigsten Verabredungen aus dem Koalitionsvertrag auch wirklich umzusetzen. So gelang den Bundespolitikern der Einstieg in den Ausstieg der grenzenlosen Subventionierung erneuerbarer Energien.
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hatte zuvor noch bestimmt, dass eingespeister Ökostrom gleich welcher Menge und unabhängig von jeder realen Nachfrage zu staatlich festgelegten Fixpreisen vergütet werden muss. Das hatte zu volkswirtschaftlichen Kosten von fast 25 Milliarden Euro pro Jahr und den höchsten Strompreisen Europas geführt. In einer Novelle des EEG legte die Bundesregierung nun jedoch eine Mengenbegrenzung für neue Wind- und Solarparks fest. Ein Ausschreibungsverfahren soll bewirken, dass künftig nur die kostengünstigsten Investoren die Erlaubnis zum Bau von Ökostromkapazitäten bekommen. Zudem wurde der Netzausbau beschleunigt und der Windkraftausbau in Regionen ohne genügenden Netzanschluss gebremst.
Nach den ungeordneten Sturm-und-Drang-Jahren der Energiewende leitete die Bundesregierung so eine neue, diszipliniertere Phase beim Ökostromausbau ein. Dennoch blieb die Energiewende wegen ihres gigantischen Regelungsbedarfs die größte Baustelle der großen Koalition. Das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel, den deutschen CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren, wird klar verfehlt, so viel ist ein Jahr vor Ende der Legislaturperiode klar.
Der Stromnetzausbau wurde zwar beschleunigt, bleibt aber dennoch weit hinter dem Notwendigen zurück: Die Netzbetreiber werden dadurch immer häufiger gezwungen, in den Betrieb von Kraftwerken einzugreifen. Die Kosten dieser Maßnahmen erreichten in diesem Jahr bereits die Höhe von einer Milliarde Euro, ein Anstieg auf vier Milliarden Euro wird prognostiziert. Zwar wollte die Bundesregierung „die Kostendynamik der Energiewende brechen“, doch konnte sie nicht verhindern, dass die Verbraucher 2017 mit einer EEG-Umlage auf dem Rekordniveau von 6,88 Cent pro Kilowattstunde belastet werden.
Auch den im Koalitionsvertrag angekündigten „Klimaschutzplan“ blieb die Bundesregierung bislang schuldig: Zwar bemühten sich die zuständigen Ressorts, noch vor der Weltklimakonferenz von Marrakesch eine solche Strategie zur Dekarbonisierung festzulegen. Doch im Interessensausgleich zwischen den Ministerien wurden Aussagen des Entwurfs zunehmend unkonkret. Welche Aussagekraft das Dokument nach dem weiteren Verfahren in Bundesrat und Bundestag noch haben wird, ist unklar.
6. Verkehr – mehr Geld, aber die alten Defizite
Er hatte einen unglücklichen Start: Alexander Dobrindt (CSU) musste mit der Pkw-Maut in Berlin und Brüssel durchdrücken, was sich vor allem die CSU-Spitze in München so sehnlich wünscht. Das kostet Sympathiepunkte in der Hauptstadt und im ganzen Land, denn die Maut ist höchst umstritten – auch in der Bundesregierung. Dabei ist die Bilanz von Dobrindt als Bundesverkehrsminister sonst durchaus ansehnlich.
Als er Ende 2013 das Amt von seinem Parteikollegen Peter Ramsauer übernahm, war Deutschland Bröckelland. Der Zustand der Infrastruktur war verheerend, vor allem was die Verkehrswege angeht. Kaputte Straße, marode Brücken, völlig überbeanspruchte Schienenwege. Nun, knapp drei Jahre später, ist auch durch Betreiben von Dobrindt zumindest ein großes Problem gelöst: Es gibt deutlich mehr Geld für den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur, einen Milliardensegen.
„Zu Beginn der Legislaturperiode waren wir tief enttäuscht: Nur fünf Milliarden Euro mehr für die Verkehrsinfrastruktur vom Bund über die gesamten vier Jahre – das war einfach zu wenig. Aber inzwischen wurden die Mittel deutlich angehoben. Nun steigen sie bis 2018 auf fast 14 Milliarden Euro pro Jahr, für alle Verkehrsträger“, sagt Heiko Stiepelmann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, gegenüber der „Welt“. Der Masterplan, was man bis 2030 mit all dem Geld macht, ist der Bundesverkehrswegeplan. Und dessen Gesamtvolumen ist nach letzten Änderungen von 264,5 auf 269,6 Milliarden Euro gewachsen. Und diesmal sollen dort nur Projekte aufgenommen worden seien, die auch realisierbar sind, also gegenfinanziert werden können. Die Zeiten, da der Plan ein „reiner Wunschzettel“ ist, seien vorbei, so Dobrindt. Man wird sehen, ob es so kommt.
Dass mehr Geld da und vom Bund eingeplant ist, kann nicht bestritten werden. Ob damit die richtigen Projekte, also klimaverträgliche Verkehrsträger ausreichend gefördert werden, ist dagegen hoch umstritten. In absoluten Zahlen gemessen, fließt erneut mehr Geld in die Straße als in die Schiene. Hält man sich aber vor Augen, dass das Schienennetz sehr viel kleiner als das der Autobahnen und Bundesstraßen ist, geht prozentual betrachtet deutlich mehr Geld in die Schiene als in die Straße. Umweltpolitiker und Umweltschützer beruhigt das dennoch nicht.
Das tut schon eher die Tatsache, dass es einen Schwenk bei den Investitionen gegeben hat. Im neuen Bundesverkehrswegeplan liegt der Schwerpunkt nun klar auf dem Erhalt bestehender Anlagen und Straßen anstatt auf dem Neubau. Der Politik war dieser Schritt lange Zeit schwergefallen. Rote Bänder durchschneiden ist schöner, also dafür zu sorgen, dass marode Bahnknotenpunkte instand gesetzt werden – das bemerkt nämlich kein Mensch, auch wenn es den Fahrgästen durch mehr Stabilität im Schienenverkehr und höherer Pünktlichkeit nutzt.
Trotz des Geldsegens gibt es zwei Probleme, die auch in dieser Legislaturperiode liegen geblieben sind. Da sind zum einen die Kapazitätsengpässe bei der Planung neuer Vorhaben. Zuständig bei der Verkehrsinfrastruktur sind dabei überwiegend die Länder und Gemeinden, aber denen fehlt es an Personal für die Planung und Genehmigung neuer Projekte. Im Zuge der Sparbemühungen wurden in den entsprechenden Ämtern viele Stellen gestrichen. Die Folge ist, dass der Geldsegen des Bundes vielfach verpufft, weil die Länder und Kommunen schlicht keine Projekte vorbereitet haben, die man mit den Mitteln umsetzen könnte. Der Bund versucht gegenzusteuern, in dem er zum Beispiel im Rahmen des Ringens um die Neufassung des Länderfinanzausgleichs für die Bundesfernstraßen eine Gesellschaft gründen will, welche die Planung, den Bau und die Finanzierung bündelt – und zwar unter alleiniger Hoheit des Bundes. Dort sollen Planungskapazitäten aufgestockt, also neue Bauingenieure eingestellt werden.
Bleibt das Problem der langen Planungszeiten in Deutschland. Die Schweizer schaffen es bei Infrastrukturvorhaben in 85 Prozent der Fälle binnen 18 Monaten, die Genehmigungsprozesse abzuschließen. In Deutschland sind die Fristen deutlich länger – weil die Verfahren komplex und überfrachtet sind. Weil vieles zwischen Bund, Ländern und Gemeinden abgestimmt werden muss. Weil der Tier- und Naturschutz immer wieder für Verzögerungen sorgt. Und weil Bürgereinwände Planungen in die Länge ziehen.
Im aktuellen „Governance Report“ der Hertie School of Governance schneidet Deutschland in der Kategorie Management von öffentlichen Infrastrukturprojekten schlecht ab. Im Bereich der Planungsqualität auf Platz neun von 36 – hinter China. Beim Management reicht es sogar nur für Platz 19. Beim Gesamtergebnis solcher Vorhaben schaffen die Deutschen insgesamt dann aber Platz vier. Dennoch: Die Schweiz und die Niederlande schneiden insgesamt deutlich besser ab.
https://www.welt.de/wirtschaft/article159474093/Merkels-Koalition-hinterlaesst-Deutschland-als-Reformbaustelle.html