Ein Land der Europäischen Union hat auch 2016 wieder alleine so viele Schutzsuchende aufgenommen wie die übrigen 27 Staaten gemeinsam: Deutschland. So viel lässt sich schon sagen, auch wenn bisher nur europaweite Angaben für die ersten drei Quartale vorliegen. Ein extremes Bild liefert der Vergleich der gestellten Asylanträge: Rund 988.000 waren es laut dem europäischen Statistikamt Eurostat in diesem Zeitraum in den 28 Ländern des Staatenverbundes. Davon entfielen zwei Drittel alleine auf Deutschland, laut Bundesinnenministerium 658.000.
Dabei ist aber zu beachten, dass die Antragszahlen im Falle Deutschlands derzeit keine Aussage über die neu eingereisten angeblichen und tatsächlichen Schutzsuchenden treffen – viele Antragsteller waren schon 2015 ins Land gekommen, konnten wegen der Behördenüberlastung aber erst 2016 ihren Antrag stellen. In den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres wurden in der Bundesrepublik 272.000 Einreisen im Erfassungssystem Easy registriert. Tatsächlich werden es noch etwas weniger gewesen sein, weil einige Ausländer doppelt registriert werden, wenn sie nach der Verteilung auf ein bestimmtes Bundesland unerlaubt weiterreisen.
Deutschland bei Asylanträgen weit vorn
Weil auch nach der Asylantragstellung immer noch viele Migranten unerlaubt und oft ungeahndet in ihren Wunschstaat weiterreisen, lohnt sich ein europäischer Vergleich der Entscheidungen über Asylanträge. Sie erlauben derzeit eine bessere Aussage über die dauerhafte finanzielle und soziale Belastung der verschiedenen Staaten durch die Flüchtlingsaufnahme. Laut der „Welt“ vorliegenden Eurostat-Zahlen gab es in der gesamten EU 756.000 erstinstanzliche Entscheidungen über Asylanträge. Davon alleine 420.000 in Deutschland. In Griechenland gab es nur 7610 Asylentscheidungen (30.495 Anträge). In Italien waren es 67.555 Entscheidungen (85.000 Anträge).
„Der oft erhobene Vorwurf, Europa schiebe seine Verantwortung für die Flüchtlingsaufnahme auf die Südländer ab, lässt sich nicht halten, wenn wir die Asylzahlen vergleichen“, sagte der Vizepräsident des Bundestages, Johannes Singhammer (CSU), der „Welt“. Deutschland nehme nach wie vor viel mehr Flüchtlinge und Migranten auf als die übrigen EU-Staaten. „Damit ist auch klar, dass die Flüchtlingskrise in Deutschland nicht bewältigt ist“, sagte Singhammer.
Zahlen in Dänemark sinken wegen Abschottung
Seit einem Dreivierteljahr kommen, nachdem die Balkanroute weitgehend versperrt ist, wieder wie vor dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise die meisten Migranten in Italien an. Anders als in früheren Jahren bleiben aber inzwischen auch viele von ihnen dort, weswegen das Land zuletzt nach Deutschland die meisten Asylanträge und -entscheidungen verzeichnete. Danach erreicht nur Frankreich (62.000 Anträge/63.000 Entscheidungen) eine ähnliche Größenordnung. Tatsächlich haben viele EU-Staaten aber nie in größerem Umfang Flüchtlinge aus anderen Kontinenten aufgenommen, andere haben ihr Engagement wieder auf das Vorkrisenniveau gesenkt.
Zum Beispiel Dänemark, das lange Jahre immer etwa 4500 Flüchtlinge aufnahm, bevor die Zahlen 2015 auf 21.000 schossen. Nach den der „Welt“ vorliegenden Eurostat-Zahlen wurden 2016 in den ersten drei Quartalen dort nur noch 5300 Asylanträge gestellt. Das Land hatte seine Grenzsicherung und die Asylgesetze mehrfach verschärft.
Im Jahr 2015 hatten mehr als 1,2 Millionen Menschen Asyl in der EU beantragt. Im Jahr davor waren es noch rund 560.000 Asylbewerber gewesen, die abschließenden Zahlen für 2016 liegen erst im März vor, doch auch mit den Angaben für die ersten drei Quartale (rund 988.000) lässt sich eine ähnlich hohe Zahl für das Gesamtjahr 2016 prognostizieren.
Griechenland mit Situation überfordert
Vor allem Griechenland, das bis zu den Grenzschließungen auf dem Balkan hauptsächlich ein Transit- und weniger ein Zielland für Flüchtlinge darstellte, ist mit der Aufnahme überfordert. Ab März sollen die Migranten in dem verschuldeten Land für ihre Versorgung selbst sorgen, kündigte der griechische Migrationsminister Ioannis Mouzalas am Montag an. Jede Familie bekomme dann ein Essensgeld von 399 Euro – ein Euro weniger als das Minimum entsprechender Hilfen für griechische Familien.
Bisher werden die Flüchtlinge in den meisten Lagern von Hilfsorganisationen und teilweise auch vom Militär mit Essen versorgt. Ausgenommen von dem geplanten Essensgeld sind jene mehr als 16.000 Menschen, die auf griechischen Inseln in doppelt überbelegten Lagern festgehalten werden. Dort sollen laut Mouzalas viele kleinere Lager entstehen, um die Situation in den überfüllten Camps zu entschärfen. Immer wieder kommt es dort zu Ausschreitungen.
Der Forderung der Inselbewohner, die Flüchtlinge aufs Festland zu bringen, erteilte Mouzalas eine Absage. Dann wäre das Fortbestehen des Flüchtlingspakts zwischen der EU und der Türkei in Gefahr und die Situation in Griechenland könne noch viel schlimmer werden. Seit dem Inkrafttreten der Vereinbarung im April 2016 hat sich die Zahl neu ankommender Flüchtlinge, die von der türkischen Küste aus übersetzen, deutlich verringert. Allerdings kommen schon seit August monatlich wieder mehr Migranten auf die Inseln als in den Monaten vor dem März 2015. Damals begann die große Wanderungsbewegung.
https://www.welt.de/politik/deutschland/article160804721/Mehr-Asylantraege-in-Deutschland-als-in-allen-anderen-EU-Staaten.html