Der CDU-Vorstand reagiert scharf auf unionsinterne Kritiker der Kanzlerin. Auslöser ist ein Brandbrief von Abgeordneten, die Angela Merkel eine „Überforderung des Landes” vorwerfen
In der CDU eskaliert der Streit über die Flüchtlingspolitik. In einer von Teilnehmern als „denkwürdig” beschriebenen Sitzung des Bundesvorstandes knöpften sich Spitzenpolitiker die Kritiker von Kanzlerin Angela Merkel vor. Vor allem der Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Volker Kauder, griff einzelne Abweichler heftig an. Aber auch die sich gerade im Wahlkampf befindende CDU-Spitzenkandidatin in Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner, riet den Kritikern: „Einfach mal die Klappe halten.” Anhaltendes Infragestellen des gemeinsam vereinbarten Kurses sei „sehr unfair” gegenüber den Landesverbänden, die gerade um Wähler kämpften.
Hintergrund ist eine Unterschriftensammlung von Unionsabgeordneten, die am Dienstag der Kanzlerin per Brief zugestellt werden soll. In dem Schreiben, das der „Welt” vorliegt, wird eine „Überforderung unseres Landes” konstatiert und eine „Rückkehr zur strikten Anwendung des geltenden Rechts” gefordert: „Die Bundesrepublik (hat) keine völlig unbegrenzte, schrankenlose Aufnahmekapazität.”
Man kann von keinem Land verlangen, mehr zu leisten, als es objektiv zu leisten imstande ist
Auf zweieinhalb Din-A4-Seiten werden in dem Brief vor allem juristische Bedenken gegenüber der bisherigen Praxis der offenen Grenzen ins Feld geführt. Zum Schluss wird mit der klassischen Formel des römischen Rechts argumentiert: „Man kann von keinem Land verlangen, mehr zu leisten, als es objektiv zu leisten imstande ist.” Dieses Argument hatte im vergangenen Jahr auch schon einmal Finanzminister Wolfgang Schäuble in einem Interview bemüht.
Merkel selbst greift nicht in den Streit ein
In den Spitzengremien der Partei, die am Montag tagten, war das Schreiben jedoch der Anlass für eine Abrechnung mit allen Merkel-Kritikern. Fraktionschef Volker Kauder griff dabei den Staatssekretär im Finanzministerium, Jens Spahn, an. Dieser tauche mit einem Zitat in einem Online-Artikel der „Welt” auf, der mit dem Wort „Staatsversagen” überschrieben sei, schimpfte Kauder: So etwas sei für ein Regierungsmitglied „nicht in Ordnung”.
Auch der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung der Union, Carsten Linnemann, wurde von Kauder, aber auch von seinem eigenen Landesvorsitzenden und stellvertretenden Parteichef Armin Laschet angegangen. Er könne „auch einmal an einem Mikrofon vorbeigehen” und solle sich besser „um die Wirtschaft kümmern”. Spahn und Linnemann argumentierten, Diskussionen gehörten in einer Volkspartei dazu.
Der 35-jährige Spahn und der 39-jährige Linnemann gehören zu den jüngsten Mitgliedern der CDU-Führung. Der ebenfalls erst 41-jährige Generalsekretär Peter Tauber maßregelte die beiden ausgerechnet mit Verweis auf ihre Jugend. Er habe, so Tauber, schon in der Jungen Union eine „Lektion” vom langjährigen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch gelernt: Manchmal müsse man in der Politik auch schweigen können.
Auch der Spitzenkandidat in Baden-Württemberg, Guido Wolf, bat um mehr „Solidarität”. Er brauche im Wahlkampf Geschlossenheit. Allerdings sagte Wolf laut Teilnehmerangaben auch, „vor Ort” glaube niemand mehr an Merkels „Wir schaffen das”. Die stellvertretende Parteivorsitzende und Ministerpräsidentin des Saarlandes, Annegret Kramp-Karrenbauer, kritisierte die Verfasser des Briefes an Merkel hingegen deutlich.
Die Kanzlerin selbst griff in den Streit nicht ein – warb aber erneut für eine „europäische Lösung” der Flüchtlingskrise.