Im Juli vergangenen Jahres saß Deniz Yücel in Maybrit Illners Talkrunde, um über den Putsch in der Türkei und dessen Folgen zu diskutieren. Knapp acht Monate später ist er selbst zum Thema der Sendung geworden. Die am Montag in Istanbul verhängte Untersuchungshaft gegen den 43-jährigen „Welt“-Korrespondentenhat die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei zusätzlich schwer belastet. Quer durch die deutsche Parteilandschaft hagelt es seitdem scharfe Kritik an dieser Entscheidung.

Repressionen gegen Medienvertreter gehören in der Türkei seit Monaten zum Alltag. Yücel, der sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsbürgerschaft besitzt, ist somit kein Einzelfall. Er ist jedoch der erste Journalist einer deutschen Zeitung, dem nun eine längere Freiheitsstrafe droht. Ein scheinbar deutliches Signal der Regierung von Recep Tayyip Erdogan, dass fortan auch die Arbeit ausländischer Journalisten nicht mehr unangetastet bleiben wird.

Yücels Gegenspieler aus der letzten Sendung wurde beim aktuellen Talk mit dem Thema „Deutschland und die Türkei – was erlaubt sich Erdogan?“ wieder eine Plattform geboten: Mustafa Yeneroglu. Vielleicht wurde der AKP-Abgeordnete wieder eingeladen, weil er, wie passend, auch der „Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des türkischen Parlaments“ ist.

AKP-Mann in der Opferrolle

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), kritisierte, Yücel sei nur in Haft, weil er seine Arbeit gemacht habe und dabei unbequem geworden sei. Man müsse mit Nachdruck auf seine Freilassung bestehen. Diese Haltung fand der selbst ernannte „Erdogan-Fan“ Yahya Kilicaslan „arrogant“, denn ohne „Akteneinsicht“ könne man sich schließlich kein Urteil erlauben. Das war dann auch für den weiteren Verlauf der Sendung die Taktik von Yeneroglu, Kilicaslan und ihrem eifrigen Claqueur, der sich so auffällig verhielt, dass er schnell zum Running Gag des Abends avancierte.

Es dauerte nicht lange, bis sich Yeneroglu wieder demonstrativ trotzig in dieselbe Opferrolle flüchtete, die ihm schon beim letzten Mal niemand abkaufte. Der Tenor war auch ungefähr der gleiche. Egal ob bei Terrorbekämpfung, Pressefreiheit oder Wahlkampfauftritten türkischer AKP-Politiker auf deutschem Boden, für Yeneroglu war die Sache schnell klar: Die deutsche Politik misst mit zweierlei Maß, benachteiligt die türkische Regierungspartei, verdreht die Tatsachen, legt bei der Unterstützung der Opposition eine unerhörte Doppelmoral an den Tag und hofiert zudem ungeniert PKK-Terroristen bei deren Rekrutierung.

Illners Talk wird zur türkischen Wahlkampfarena

Als sich Yeneroglu und Sancar zunehmend in einer hitzigen Debatte in innenpolitischen Wahlkampfdetails verloren, wurde es Markus Söder (CSU) zu bunt. Der bayerische Finanzminister war scheinbar gegenüber der türkischstämmigen Dominanz als eine Art Quoten-Deutscher geladen und wähnte sich schon lange im falschen Film: „Wären wir jetzt in einer türkischen Talkshow, könnte ich die Diskussion verstehen“, witzelte er. „Aber wir haben in Deutschland kein Interesse daran, innertürkische Wahlkämpfe zu machen.“

Man dürfe nicht die Probleme der Türkei importieren. Die sei früher auf einem guten Weg gewesen, habe seit dem Putsch aber jede Verhältnismäßigkeit verloren. „Was nicht geht, ist, dass die Türkei in Deutschland aktuell Wirtschaftshilfe beantragt, aber all die Regeln, die für uns verbindlich sind, nicht einhält“, mahnte Söder. „Wir akzeptieren nicht, wenn deutsche Journalisten in der Türkei inhaftiert werden und das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei darf kein Blankoscheck sein, dass man sich in Ankara alles erlauben kann.“

Sendung verliert sich im Chaos

Yeneroglu stand mit seinen kruden Ansichten diesmal nicht ganz alleine da. Der 32-jährige Kilicaslan flankierte ihn brav und behauptete angesichts des bevorstehenden Referendums über das von Erdogan angestrebte Präsidialsystem, dass parlamentarische Demokratie in der Türkei nun mal nicht funktioniere. Es hätte in der Vergangenheit zu viele Regierungswechsel gegeben, da könne man nicht von Stabilität reden. Während Deutschland mit Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel zwei Außenminister gehabt hätte, seien es in der Türkei 18 gewesen.

Je länger die Sendung andauerte, umso mehr verlor sie sich im Chaos. Den Scharmützeln der sich ständig gegenseitig ins Wort fallenden Yeneroglu und Sancar konnte schon längst niemand mehr folgen, als sich Illner genötigt sah, sich für ihr Konzept zu rechtfertigen. Es gäbe in Deutschland schließlich 1,5 Millionen wahlberechtigte Türken, deshalb müsse einen das ja alles eigentlich schon brennend interessieren.

Es kam soweit, dass Söder und Özoguz kurz davor waren, sich zumindest für diesen Abend zu verbünden. Als sich Yeneroglu und Sancar in Dauerschleife wechselseitig als PKK- und IS-Sympathisanten bezichtigten, schauten sie sich nur noch kopfschüttelnd mit breitem Grinsen an. „Machen wir langsam Schluss?“, empfahl Söder. Aber Illner wollte sich noch eine letzte Abfuhr einholen. Ob es klug gewesen sei, die ausgestreckte Hand der Deutschen auszuschlagen, wollte sie von Yeneroglu abschließend wissen, doch der konterte unter Raunen des Publikums nur mit einem missbilligendem Blick: „Wo war da eine Hand ausgestreckt?“ Dann hatte die Moderatorin ein Einsehen mit den verbliebenen Zuschauern und beendete das Theater.

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