15.2 C
Budapest
2024. május. 3. péntek
HomeNewspaperNÉMET - SprachtrainingIn Dresden erklang die Sprache des Dritten Reiches

In Dresden erklang die Sprache des Dritten Reiches

Schon wieder Dresden, immer wieder Dresden. Kaum eine andere Großstadt Deutschlands besitzt eine derart starke, strahlende und geschichtsgetränkte Aura wie Dresden. Es gilt aber auch: Keine andere Großstadt Deutschlands ist so sehr zum Tummelplatz von Demokratieverächtern und -feinden geworden wie eben Dresden.

Zahlenmäßig werden es so viele gar nicht sein. Beunruhigend ist aber, dass die Stadt, ihre Bürger und ihre Autoritäten seit Jahr und Tag nicht fähig, vielleicht auch nicht recht willens sind, diesen Mummenschanz zu bannen. Dresden ist die größte deutsche Stadtlandschaft und Arena, in der das Einreißen von Grenzen des Anstands und des demokratisch Erlaubten derart hartnäckig, lustvoll und furcht- wie folgenlos geprobt werden kann.

Der aus Dresden stammende Erich Kästner schrieb 1957 rückblickend: „Dresden war eine wunderbare Stadt. Die Vergangenheit und die Gegenwart lebten miteinander im Einklang. Eigentlich müsste es heißen: im Zweiklang.“

Allem Bemühen zum Trotz, das alte „Elbflorenz“ als Bürger- und Kunststadt wiederherzustellen – diese Zeiten sind vorerst zumindest vorbei. Dresden ist zur Probebühne und zum Exerzierplatz sprachlicher Entgleisungen und völkischer Tabubrüche geworden.

Trübe Ironie der Geschichte

Victor Klemperer (1881–1960) war ein liberaler, zum Protestantismus übergetretener deutscher Jude, der seit 1920 einen Lehrstuhl für Romanistik in Dresden innehatte. Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, verlor er seine Lehrerlaubnis und musste – gesellschaftlich geächtet und verhöhnt – in einem „Judenhaus“ leben.

Dort sammelte er in Tagebuchform Material für ein Buch, das 1947 erschien: LTI, Lingua Tertii Imperii, die Sprache des Dritten Reiches. Es war die erste akribische Auseinandersetzung mit der Gewalt, welche die Nationalsozialisten auch der deutschen Sprache angetan hatten.

„Das Volk darf grob sein und sich unangemessen äußern“

Bei der Einheitsfeier in Dresden wurden Politiker wie Claudia Roth von Demonstranten wüst beschimpft. „Welt“-Kolumnist Henryk M. Broder meint, „das Volk darf grob sein. Das werden alle überleben“.

Quelle: Die Welt

Es ist eine besonders trübe Ironie der Geschichte, dass heute Elemente der NS-Sprache ausgerechnet in der Stadt Klemperers wieder in Umlauf und Mode kommen. Und dass, am Tag der Deutschen Einheit, in dieser Stadt – von der Polizei nicht beanstandet – ein Plakat herumgetragen werden kann, auf dem ein Satz von Joseph Goebbels steht: „Der Idee der NSDAP entsprechend sind wir die deutsche Linke.“

Goebbels war ein Meister der rasenden, doch kühl geplanten sprachlichen Enthemmung gewesen. Einer Enthemmung, welche die enthemmte Tat vorbereiten sollte und vorbereiten half. Diese Lust, alle Hemmungen, Vorsichten und auch Bindungen fahren zu lassen, ist derzeit in der Stadt an der Elbe wieder virulent. Sicher, bei einer kleinen Minderheit nur. Die aber fähig war, den städtischen Raum zu besetzen und zu kontaminieren.

Die Störer haben für Ehrlichkeit gesorgt

Dass es ihr gelang, die Feier zum Tag der Deutschen Einheit zu stören und hässlich zu machen, mag man für einen Skandal halten. Die Störer haben aber auch – ungewollt – für einen Moment der Ehrlichkeit gesorgt.

Bundestagspräsident Norbert Lammert hat eine gewohnt wohlgesetzte Rede gehalten, in der er das Land als ein gut gestaltetes lobte, zu Gelassenheit aufrief und das zivilisatorische Minimum der allseitigen Gesprächsbereitschaft einforderte: eine Festrede eben. Im grellen Kontrast zwischen Festsaal und Straße wurde deutlich, dass es keine Brücke zwischen den beiden Milieus gibt.

Das ist neu: Diejenigen, die sich national beleidigt und unterdrückt fühlen, sind selbstbewusst geworden. Sie tragen nicht anklagend ein Leiden zur Schau. Stolz manifestieren sie ihre Unversöhnlichkeit. Das scharfe Freund-Feind-Denken ist ihre Heimat.

Eine Parole, die nicht einmal zu ihren aggressivsten gehört, drückt das so klar aus wie keine andere: „Merkel muss weg.“ Gerade weil sie sich im Gegensatz zu anderen Parolen der radikalen Nationalisten nicht des Gossentons der NS-Hetze bedient, wirkt sie inzwischen weit über die Kreise von Pegida und auch AfD mobilisierend.

Das ist wahrlich Reduktion von Komplexität. Die Verabschiedung einer einzigen Person soll die deutschen Dinge wieder zum Guten wenden – eine Botschaft, die reine Negation ist. Wobei das „weg“ ja nicht eigentlich Rücktritt meint – die Dame soll vielmehr entfernt, weggeschafft werden.

Ohne dass etwas wirklich böse Klingendes gesagt wäre, hat man sich auf Samtpfoten doch wieder der Sprache des Dritten Reiches genähert. Da ist es nicht mehr weit zu anderen Sprüchen, die in Dresden (und anderswo) zu hören waren.

Anmaßende Bestimmung des Volkswohls

Etwa die Freund-Feind-Vertreibungsparole „Haut ab“. Oder die Hassparole „Volksverräter“. Wer sie ruft, maßt sich an, bestimmen zu können, was des Volkes Wohl ist, und definieren zu können, wer zum Volk gehört und wer nicht. Nicht nur sprachlich, sondern auch gedanklich ist es ein kurzer Weg vom Volksverräter zum Volksgerichtshof.

Wie enthemmt der Mob sein kann, zeigte sich daran, dass einzelne Demonstranten in Dresden, unbehindert von ihren Mitdemonstranten, sich das Recht nahmen, die Definitionsmacht darüber auszuüben, wer ein Mensch sei und wer nicht. Als sie am Rande der Einheitsfeier eines Schwarzen ansichtig wurden, gaben sie Affenlaute von sich und ahmten Affenbewegungen nach.

„Ein Stück weit muss man das ertragen“

Pöbelnde Bürger haben die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit in Dresden gestört. Dresdens Erster Bürgermeister, Detlef Sittel, kommentiert die Ereignisse. Auch das Verhalten eines Polizisten.

Quelle: Die Welt

Mancher Politiker, der auch Stimme dieses Milieus sein will, wird nun etwas bekümmert dreinblicken und sagen: Ja, das sei nicht schön, und man teile das auch gar nicht. Aber es gebe nun einmal eine große Unzufriedenheit, daran sei aber allein das volksvergessene „Kartell der Altparteien“ schuld. Und es gelte, diesen Unzufriedenen eine Stimme zu geben.

Das klingt vernünftig, ist es aber nicht. Denn die volksidentitäre Haltung ist nicht anschlussfähig an Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Demokratie und Achtung vor der Würde des Menschen. Denn wer – wie nicht nur die Dresdner Demonstranten – Zugehörigkeit völkisch definiert, bestreitet den Rechts- und Vertragscharakter der bürgerlichen Gesellschaft.

Völkischer Nihilismus

Er will nicht Gespräch und Verfahren, sondern die pure, erklärungslose Macht. Er verkehrt das Konzept der Volkssouveränität, das von Anfang an eine autoritär-populistische Schlagseite hatte, vollends in einen völkischen Nihilismus. Diesem muss man keine Stimme geben, man muss ihm entgegentreten.

Wie atavistisch das „Merkel muss weg“-Milieu ist, zeigte dieser Tage ein Potsdamer Vorfall. Unbekannte deponierten am vergangenen Wochenende einen abgetrennten Schweinekopf vor der einzigen Moschee Brandenburgs – nicht die erste Schweinekopfaktion dieses Jahres in Deutschland.

Der völlige Verlust von Respekt vor anderen Religionen und ihren Gläubigen hat einen exterministischen Zug: wir oder die. Mit solcher Verweigerung von Empathie und Mitleid ginge das „Abendland“, das die Völkischen ja angeblich retten wollen, wirklich unter.

https://www.welt.de/debatte/kommentare/article158542059/In-Dresden-erklang-die-Sprache-des-Dritten-Reiches.html

 

Most népszerű

weblap4u banner
Pannon Work