Es war noch einmal eine große Rede, die der Präsident der Vereinigten Staaten da im Scheiden gehalten hat. Er knüpfte an die großen Themen seiner Kandidatur an, den Glaube daran, dass Amerika eine Nation ist, die in einem ständigen Verbesserungsprozess nach vorne schreitet. „Die Arbeit der Demokratie war immer hart, umstritten und manchmal blutig“, sagte Barack Obama und gab zu, „für jede zwei Schritte, die wir vorangehen, fühlt es sich oft so an, dass wir wieder einen Schritt zurücktreten“.
Aber wie immer gab sich Obama als unverbesserlicher, hegelianischer Optimist, was die Zukunft Amerikas anbelangt. „Der große Bogen Amerikas ist von einer Vorwärtsbewegung geprägt, einer kontinuierlichen Erweiterung unserer Gründungsüberzeugungen, die alle umfasst und nicht nur einige.“
Obama knüpfte an viele Motive aus seiner berühmten „Yes-we-can-Rede“ im Jahr 2008 im Vorwahlkampf in New Hampshire an, die ihn damals zum Hoffnungsträger machte und jene Begeisterung entfachte, die ihn zum Spitzenkandidaten der Demokraten und dann zum Präsidenten machte.
Bedrohung für die Demokratie
Und es schien fast, als gelänge es dem sichtlich ergrauten Obama noch einmal, die alte Hoffnung wachzurütteln, wonach man die Dinge verändern könne, wenn man nur wolle. Trotz und gerade nach der krachenden Niederlage, die die Demokraten beim Sieg Donald Trumps erlitten haben.
Obamas Rede war eine Warnung vor vielen Entwicklungen der vergangenen Jahre, die die Demokratie bedrohen. Und ein Appell an jeden einzelnen Bürger, sich zu engagieren, um das Versprechen Amerikas, eine immer perfektere Union zu bilden, zu verwirklichen.
Die wichtigsten Gefahren für die Demokratie gehen für Obama von der Spaltung der Gesellschaft aus, vom anhaltenden Problem des Rassismus und davon, dass man sich im politischen Streit inzwischen nicht einmal mehr auf einen Grundbestand an Fakten einigen könne.
Rasse bleibt mächtige Kraft
Demokratie verlange keine Gleichförmigkeit, sagte Obama, und auch die Gründerväter hätten sich gestritten – und seien dann Kompromisse eingegangen. Weil sie gewusst hätten, dass die Demokratie einen grundlegenden Sinn für Solidarität verlange. Diese Vorstellung davon, im selben Boot zu sitzen, habe deutlich gelitten, sagte Obama. Unter anderem auch durch die wachsende Ungleichheit im Land, die in den Obama-Jahren einen neuen Höhepunkt erreicht hat.
„Unsere Demokratie wird nicht funktionieren ohne das Gefühl, dass jeder wirtschaftliche Chancen hat“, so der Präsident. Wenn das Wachstum nur einer kleinen Schicht zugute komme und die Mittelschicht ausgehöhlt werde, dann untergrabe das die Demokratie.
Lesen Sie hier die Rede von Obama im Minutenprotokoll nach.
Als weiteres spaltendes Element sprach Obama das anhaltende Rassenproblem im Land an und fand so deutliche Worte wie selten in seiner Präsidentschaft. „Nach meiner Wahl wurde viel über das postrassische Amerika geredet“, sagte Obama. Solch eine Vision sei aber nie realistisch gewesen. „Rasse bleibt eine mächtige und oft spaltende Kraft in unserer Gesellschaft“, sagte der erste schwarze Präsident des Landes. Er sei zwar alt genug, um zu wissen, dass die Rassenverhältnisse besser seien als vor zehn, 20 oder 30 Jahren. „Aber wir sind noch nicht da, wo wir sein sollten.“ Jeder müsse sich mehr anstrengen.
Das Gegenteil von Aufklärung
Er warnte davor, wirtschaftliche Fragen nur unter der Perspektive von Rassenzugehörigkeit zu betrachten. Und er forderte alle Amerikaner dazu auf, sich in die Haut der jeweils anderen zu versetzen. Das gelte nicht nur für Weiße, sondern auch für Minderheiten, die sich ihrerseits hineinversetzen sollten „in den weißen Mann mittleren Alters, der von außen betrachtet so aussehen mag, als wenn er alle Vorteile auf seiner Seite hat, der aber erfahren hat, wie seine Welt von wirtschaftlichen, kulturellen und technologischen Veränderungen umgewälzt wird“.
Als weitere Gefährdung des demokratischen Gemeinwesens hat Obama ausgemacht, dass im Kampf der Ideen inzwischen alles ins Wanken gerät, weil man sich nicht mehr auf gemeinsame Fakten einigen könne und sich viele Gruppen auf sich selbst zurückzögen und nur noch eine selektive Auswahl von Informationen wahrnehmen würden.
„Für zu viele von uns ist es sicherer geworden, uns in unsere eigenen Blasen zurückzuziehen, ob es unsere Nachbarschaft ist, Universitäten, Religionsgemeinschaften oder unsere Social-Media-Feeds. So sind wir umgeben von Leuten, die aussehen wie wir und die dieselbe politische Weltanschauung teilen und unsere Annahmen nie in Zweifel ziehen“, so der Präsident. Solcherlei Abschottung von der Welt und von Fakten sei aber das Gegenteil von jenem Fundament der Aufklärung, auf das Amerika einst gebaut wurde.
„Springt ins Wasser!“
Die größte Gefahr für die Demokratie sei jedoch die Apathie der Bürger. „Unsere Demokratie ist immer dann gefährdet, wenn wir sie als etwas Selbstverständliches betrachten“, sagte Obama. Der wichtigste Posten in unseren Systemen sei der des Bürgers.
Es bringe nichts, sich immer nur über Anführer zu beschweren, ohne über die eigene Rolle zu reflektieren bei der Wahl dieser Politiker. „Wenn ihr enttäuscht seid über die gewählten Funktionäre, dann nehmt einfach ein Klemmbrett, sammelt einige Unterschriften und stellt euch selbst zur Wahl. Seid präsent! Springt ins Wasser! Haltet durch!“, so Obama. Es war ein leidenschaftliches Plädoyer für Engagement und gegen die sich breitmachende Konsumentenhaltung der Bürger gegenüber der Politik.
Kaum ein Politiker vermag es so wie Obama, Hoffnung machend und optimistisch an die „besseren Engel unserer Natur“ zu appellieren, wie Präsident Abraham Lincoln es einst genannt hat. Obama ist ein Mann der hehren Ideen, und sein eleganter Umgang mit dem geschriebenen und gesprochenen Wort wird vielen Amerikanern bitter fehlen angesichts eines Nachfolgers, der sichtlich mit der englischen Sprache und Grammatik hadert.
Glanz und Elend der Präsidentschaft
Aber schöne Worte sind eben nicht alles. Und es nützt wenig, wenn Obama nun die liberale Ordnung in Amerika und der Welt in schön gedrechselten Formulierungen gegen ihre Verächter verteidigt, wo er doch selbst so wenig beigetragen hat, diese Ordnung tatkräftig und nicht nur mit Worten gegen die autoritäre Herausforderung und Ordnungslosigkeit auf dem Globus zu verteidigen. Obama endet mit einer großen Rede, die noch einmal den großen Bogen spannt. Die aber gleichzeitig auch Glanz und Elend dieser Präsidentschaft verkörpert.
Der wohl bewegendste Moment war, als Obama sich gegen Ende der Rede an seine Frau Michelle wandte. „In den letzten 25 Jahren warst du nicht nur meine Ehefrau und die Mutter meiner Kinder, sondern auch mein bester Freund“, sagte Obama. „Du hast eine Rolle angenommen, um die du nicht gebeten hattest und hast sie zu deiner eigenen gemacht, mit Grazie und Entschlossenheit, mit Stil und Humor. Du hast mich stolz gemacht. Du hast das Land stolz gemacht.“
Wie beliebt Michelle bei den Demokraten ist, zeigte der ausbrechende Jubel in der Halle in Chicago, der Heimat der Obamas. Präsidententochter Malia musste sich wiederholt Tränen aus den Augen wischen. Und mancher will auch im Auge des Präsidenten einen feuchten Schimmer entdeckt haben.
Er rang jedenfalls sichtlich darum, die Fassung nicht zu verlieren, als er auch seine Töchter pries, die die Bürde einer Jugend im Rampenlicht so leicht getragen hätten. „Von allem, was ich in meinem Leben getan habe, bin ich am stolzesten darauf, euer Vater zu sein“, sagte Obama. Es war ein Moment der Privatheit, den Obama sich in den acht Jahren seiner Präsidentschaft öffentlich nur sehr selten zugebilligt hatte.
https://www.welt.de/politik/ausland/article161062553/Haltet-durch-ruft-Obama-den-Amerikanern-zu.html