Der Blick geht nach Italien. Die Bankenaufsicht der EZB hat jüngst einige Institute aufgefordert, die faulen Kredite zu reduzieren. Doch das kommt reichlich spät.
Italien hat ein Bankenproblem. Das weiss man aber nicht erst, seitdem die italienische Notenbank jüngst festgestellt hat, dass im Bankensystem des Belpaese faule Kredite über 360 Mrd. € schlummern. Schon bei der ersten umfassenden Bankenprüfung der Europäischen Zentralbank (EZB), bei der seit November 2014 auch die Aufsicht über die systemrelevanten Banken der Euro-Zone angesiedelt ist, waren 9 von 15 italienischen Banken durchgefallen. Insgesamt rauschten 25 Banken durch den Stresstest. Die EZB-Bankenaufsicht stellte ein Kapitalloch von 25 Mrd. € fest, davon rund 10 Mrd. € bei italienischen Instituten. Im Fokus stand schon damals das Institut Monte dei Paschi di Siena, die angeblich älteste Bank der Welt, die sich beim Test als schlechteste Bank der Euro-Zone erwies. Auf den Stichtag 31. 12. 2013 wies die Bank eine Kapitallücke von 4,25 Mrd. € auf.
Notenbank sendet Brandbriefe
Auch etliche andere Banken in Italien und andernorts in Europa hatten grössere Kapitallücken. Zu den durchgefallenen Instituten aus Italien zählten zum Beispiel Banca Popolare di Vicenza, Banca Popolare di Milano, Veneto Banca und Banca Popolare di Sondrio. Sie alle mussten das fehlende Kapital anschliessend besorgen. Die Institute waren durch den Stresstest der EZB gefallen, obwohl dieser von Beobachtern als «lasch» empfunden wurde.
Zweieinhalb Jahre später haben viele Banken diesbezüglich schon wieder ein Problem. Die EZB ermahnte Monte dei Paschi di Siena jüngst, die notleidenden Kredite bis 2018 von 46,9 Mrd. auf 32,6 Mrd. € zurückzuführen, wie die Italiener selbst öffentlich machten. Auch andere Banken haben von der EZB ähnliche Brandbriefe erhalten.
Für Isabel Schnabel ist daher klar, dass die EZB zu lange zu wenig Druck auf die Banken ausgeübt hat, die notleidenden Kredite abzubauen. Ziel der umfassenden Bankenprüfung vor Beginn der EZB-Aufsicht sei es gewesen, zuerst die bestehenden Fehlbewertungen im Bankensektor aufzudecken und zu korrigieren. So wollte man ohne Altlasten mit der Aufsicht beginnen, sagt die Professorin für Finanzmarktökonomie an der Universität Bonn, die zugleich Mitglied des deutschen Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung («Wirtschaftsweise») ist. Die EZB habe das Problem der notleidenden Kredite aber nicht mit Nachdruck gelöst. Jetzt sei sie zwar aktiver, aber das komme sehr spät. Laut Schnabel sei die 2014 durchgeführte Bankenprüfung möglicherweise zu weich gewesen, weil man habe vermeiden wollen, dass durch die Prüfung selbst eine Krise ausgelöst werde. Dies hätte geschehen können, wenn klargeworden wäre, dass viele Banken zu wenig Kapital vorhalten, denn eine fiskalische Rückendeckung und funktionsfähige Abwicklungsmechanismen fehlten damals.
Die italienischen Banken haben ihre Misere nach Meinung vieler Beobachter selbst verschuldet. Zum einen durch die zu risikoreiche Vergabe von Krediten, zum anderen durch die zu grosse Ausschüttung von Gewinnen an die Aktionäre. Dies hatte jüngst bereits die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), das ist die Zentralbank der Zentralbanken, kritisiert. Südeuropäische Banken im Allgemeinen und italienische im Speziellen haben danach zwischen 2009 und 2014 einen grossen Teil der Jahresgewinne an die Aktionäre ausgeschüttet, anstatt damit Rücklagen zu bilden und so die Bilanz zu stärken. Im Jahr 2014 schütteten Banken in Italien sogar mehr Gewinne aus, als sie einbehielten.
Nach Angaben der EZB hatte der Stresstest drei Ziele: Schwachstellen im Bankensystem orten und reparieren, mehr Transparenz schaffen und das Vertrauen ins Bankensystem wiederherstellen. Wohl mindestens zwei der drei Ziele wurden verfehlt, wie sich inzwischen herausstellt. Es sei zweifelhaft, dass die Risikovorsorge für notleidende Kredite ausreiche, sagt Schnabel. Sonst könne man diese Kredite ja relativ leicht ausgliedern. Auch das Vertrauen sei bei weitem nicht wiederhergestellt worden. Dies sehe man daran, dass die Marktwerte vieler Banken noch immer deutlich unter ihren jeweiligen Buchwerten lägen. Darin äussere sich unter anderem der Verdacht, dass noch immer grössere Risiken in den Büchern schlummerten. Für viele Anleger sind Bankaktien derzeit nahezu weltweit heisse Eisen, die sie nicht anfassen wollen.
Angst vor Bankenpleiten
Ein grosses Problem der Bankenaufsicht ist die Politisierung. Die Nationalstaaten haben ein starkes Interesse daran, heimische Banken nicht untergehen zu lassen. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil sie bedeutende Käufer der jeweiligen Staatsanleihen sind. Mit der bei der EZB angesiedelten Aufsicht über die systemrelevanten Banken der Euro-Zone sollte die unheilige Verquickung von nationalen Banken, nationaler Aufsicht und nationaler Politik gebrochen werden. Doch dies ist nur teilweise gelungen, denn die Aufsicht ist, wie der Fall Italien zeigt, noch immer extrem politisiert. Derzeit soll offenbar die Abwicklung einer Bank vermieden werden. Dann käme es nämlich zum «Bail-in», bei dem Aktionäre, Obligationäre und schlimmstenfalls gar Sparer von einer Bankenpleite betroffen wären. Einen Bail-in könnte Italien jedoch vermeiden, indem es im Hinblick auf drohende negative Testergebnisse eine vorbeugende Kapitalisierung der Problembanken vornimmt. Insofern könnte die Aussicht auf schlechte Resultate beim Stresstest Staatshilfen ohne umfassenden Bail-in erst ermöglichen.
Die Ansiedelung der Bankenaufsicht bei der EZB ist an sich schon höchst problematisch. Daraus ergeben sich latente Interessenkonflikte zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht. Sollte bei der Bankenaufsicht etwas schieflaufen, hat dies auch Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik. Daher gebe es Anreize, Probleme zu verschleppen, sagt Schnabel. Bestehende Interessen- und Zielkonflikte seien schon jetzt wirksam. Schnabel plädiert deshalb dafür, Bankenaufsicht und Geldpolitik mittelfristig wieder zu trennen.
Dijsselbloem ermahnt die Banken
Ht. Brüssel ⋅ Die Probleme im italienischen Bankensektor müssen im Rahmen der EU-Regeln gelöst werden: Dies betonten der Chef der Euro-Finanzminister (Euro-Gruppe), Jeroen Dijsselbloem, und mehrere andere Minister am Montag am Rande der monatlichen Euro-Gruppen-Sitzung. Die Regeln, wann wer in welcher Reihenfolge sich am Bail-in («Bluten» der Aktionäre und Gläubiger vor jeder Staatshilfe) beteiligen müsse, seien sehr klar, sagte Dijsselbloem. Es seien Lösungen innerhalb dieser Regeln möglich. Das Thema stand jedoch nicht auf der Tagesordnung der Euro-Gruppe; zuständig sind nationale und europäische Behörden.
Laut Dijsselbloem liegt keine «akute Krise» vor, so dass etwas Zeit bleibe, die Dinge zu regeln. Mit Blick auf Europas Banken im Allgemeinen erteilte der Euro-Gruppen-Chef dem Vorschlag des Chefökonomen der Deutschen Bank, David Folkerts-Landau, für ein EU-Programm von 150 Mrd. € zur Bankenrekapitalisierung eine deutliche Absage. Man brauche Führungskräfte in den Banken, die die Problem selbst lösen würden, statt immer nach dem Staat zu rufen. «Dies muss ein Ende haben.»
http://www.nzz.ch/wirtschaft/wirtschaftspolitik/italien-banken-ezb-ld.105172