Der Beweis, dass der Plan der Ölkönige gescheitert ist, findet sich auf dem Atlantik, 850 Kilometer südlich der Kanaren. Dort treibt die „Saiq“, ein 330 Meter langer Supertanker, beladen mit zwei Millionen Barrel Nordseeöl. Bis vor Kurzem fuhr das Schiff im Auftrag des Konzerns Shell mit 13 Knoten Richtung China.

Aber dann stoppte der Kapitän plötzlich die Maschinen. China, das soll der Grund sein, hat die Lieferung storniert. Und einen neuen Abnehmer konnte Shell zunächst nicht finden. Die „Saiq“ treibt ziellos auf offener See, kein Hafen scheint ihre Fracht zu wollen. Die Welt, das lässt sich daraus schließen, hat derzeit wohl genügend Öl.

Opec hat Herrschaft über Ölpreis verloren

Dabei drosselt die Organisation Erdöl exportierender Länder, kurz Opec, seit Januar ihre Förderung. Das Angebot soll verknappt werden, der Ölpreis dadurch steigen – so lautet ihr Kalkül. Man müsste meinen, dass der Plan aufgeht, schließlich ist die Opec nicht irgendwer. Das Kartell, angeführt von Saudi-Arabien, dem größten Ölförderer der Welt, umfasst 14 Länder und steht für 40 Prozent der globalen Produktion. Sogar zehn Staaten, die nicht zur Opec gehören, beteiligen sich an der Aktion, darunter Russland. Gemeinsam beschloss man, jeden Tag 1,8 Millionen Barrel weniger zu fördern als im Referenzmonat Oktober 2016. Aber es hat alles nichts genützt. Öl ist im Überfluss vorhanden. Die Opec hat die Herrschaft über den Preis zurzeit verloren.

Knapp 47 Dollar kostete zuletzt ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent. Im günstigen Fall werden die Notierungen erst einmal in diesem Bereich bleiben, schätzen Analysten. Wenn es schlecht läuft, könnten sie aber auch fallen.

Denn die Vorräte der Industrienationen, das zeigen Daten der Internationalen Energieagentur, stiegen in den vergangenen Monaten deutlich an. Die Tanks der Welt leeren sich also nicht, wie die Opec gehofft hatte, sie füllen sich. Und das, obwohl jetzt, im Sommer, die Nachfrage besonders hoch sein müsste, unter anderem, weil in den USA nun besonders viele Menschen Auto fahren.

Libyen nahm neues Sharara-Feld in Betrieb

Warum läuft die Strategie der Opec dennoch ins Leere? Zum einen, weil sich offenbar nicht alle Mitglieder an die Absprachen halten. Die Organisation selbst gibt an, dass ihre Produktion zuletzt nicht gesunken, sondern gestiegen ist, um 336.000 auf 32,14 Millionen Fässer täglich.

Quelle: Infografik Die Welt

Zum anderen fördern die Gegenspieler der Opec deutlich mehr als noch vor einiger Zeit. Vor allem die USA, wo das Fracking – die Gewinnung des Rohstoffs aus Schiefergestein – immer günstiger wird. 2018, so schätzt das amerikanische Energieministerium, könnten zehn Millionen Barrel täglich angeboten werden. Das gab es seit 1970 nicht. Und es wäre sogar mehr, als der große Rivale Saudi-Arabien fördert.

Zudem gibt es auf dem globalen Rohstoffmarkt neue Mitspieler. So pumpen Nigeria und Libyen gerade deutlich mehr Öl aus ihren Böden als in der Vergangenheit. In Libyen stieg die Produktion sogar auf ein Dreijahreshoch, seit das größte Ölfeld des Landes, das Sharara-Feld, wieder in Betrieb ist. Das Gebiet fügt dem Markt jeden Tag 250.000 Fässer hinzu. „Das Comeback Libyens und Nigerias durchkreuzt die Strategie der Opec“, sagt Amrita Sen, Chef-Öl-Analyst der Beratungsfirma Energy Aspects. „Unternimmt die Opec nichts, um das Erstarken der beiden Länder auszugleichen, werden die Preise niedrig bleiben.“

Sogar für Saudi-Arabien wird die Situation schwierig

All das treibt die Opec in die Enge. Sie hat nun nicht mehr viele Optionen. Analysten vermuten, dass das Kartell und seine Verbündeten die Produktion auch künftig drosseln werden. Zunächst einmal um weitere neun Monate, bis März 2018. Das beschloss das Kartell vor wenigen Wochen.

Die tiefen Preise schmälern die Einnahmen der Länder erheblich. Vor allem für jene, die wenig anderes exportieren als Öl, ist das ein Problem. Selbst das reiche Saudi-Arabien steht unter Zugzwang. Das Regime hat mit seiner Vision 2030 zwar einen Plan für die Ära nach dem Öl entwickelt, der die Förderung des Tourismus und die Entwicklung hin zu einem Finanzplatz vorsieht. Zudem legt der Staat einen gigantischen Investitionsfonds auf. Sieben Billionen Riyal soll er umfassen, mehr als 1600 Milliarden Euro. Aber noch brauchen die Könige die Erlöse aus dem Rohstoffgeschäft. Ihre Yachten und Paläste wollen finanziert werden, ebenso all die Wohltaten, die das politisch unfreie Volk ruhigstellen sollen.

Die niedrige Nachfrage zwingt Händler aktuell dazu, ihr Öl zu horten. Einige haben damit begonnen, Schiffe als schwimmende Lagerstätten zu verwenden. So wie es 2015, als der Ölpreis auf 30 Dollar fiel, der Iran tat. Dutzende Tanker dümpelten damals vor dem Hafen von Bandar Abbas, darauf wartend, dass die Preise steigen. In der Nordsee sollen derzeit sieben voll beladene Tanker auf Reede liegen.

Vor einiger Zeit hatte die Opec noch eine gegenläufige Strategie gefahren und ihre Förderung, statt sie zu drosseln, ausgeweitet. Ihr Ziel war es, die Preise fallen zu lassen, um das Wachsen der amerikanischen Fracking-Industrie zu verhindern. In einem ruinösen Preiskrieg wollte sich Saudi-Arabien neue Anteile am Weltmarkt erkämpfen. Die Scheichs waren sich sicher, die niedrigen Preise durchhalten zu können. Offenbar haben sie sich verrechnet.

https://www.welt.de/wirtschaft/article165669142/Dieser-Supertanker-zeigt-das-Scheitern-des-Oel-Kartells.html