Im deutschen Soldatengesetz findet sich Vokabular, das so manchen Nationalisten und Rechtsextremen durchaus ansprechen dürfte. Da heißt es etwa, der Soldat verpflichte sich, „Deutschland treu zu dienen“ und die „Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“. Von Gehorsam ist die Rede, von Pflichten und Kameradschaft. Aber eben auch vom Grundgesetz.
„Der Soldat muss die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung eintreten“, heißt es in Paragraf 8 des Soldatengesetzes. Wer dagegen verstößt, muss mit Disziplinarmaßnahmen rechnen. Oder wird gar unehrenhaft aus der Truppe entlassen. Kein Platz also für Neonazis, Dschihadisten, selbsternannte Gottes-, Rassen- oder Kulturkrieger. Eigentlich.
Der kuriose wie schockierende Fall des 28-jährigen Oberleutnant Franco A., der einen ausländerfeindlich motivierten Terroranschlag geplant haben soll und wohl monatelang ein Doppelleben als angeblicher syrischer Kriegsflüchtling führte, lässt Zweifel daran aufkommen, ob in der Bundeswehr tatsächlich konsequent gegen Verfassungsfeinde vorgegangen wird.
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat eine lückenlose Aufklärung im Fall des terrorverdächtigen Soldaten versprochen. Eine der dringendsten Fragen: Wieso wurde Franco A. nicht viel früher als Rechtsextremist identifiziert?
Franco A.s Gesinnung fiel schon früher auf
Der 28-jährige Offenbacher, gegen den inzwischen die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ermittelt, fiel bereits vor Jahren durch eine völkisch-nationalistische Gesinnung auf. Folgen hatte das allerdings nicht. Es gab keine Disziplinarmaßnahmen, keinen Hinweis an den Militärischen Abschirmdienst (MAD), keinen Rauswurf aus der Truppe.
Der „Welt“ liegt der Bericht des Gutachters vor, der im Januar 2014 die Masterarbeit von Franco A. auf wissenschaftliche Standards überprüft hat. Das Gutachten ließ schon damals wenig Zweifel daran, dass es sich bei Franco A. um einen Rechtsextremisten handelt.
Am 11. September 2009 war Franco A. in die Deutsche Stabsgruppe im französischen Fontainebleau versetzt worden. Er begann daraufhin ein Studium der Staats- und Sozialwissenschaften an der renommierten französischen Militärschule Saint-Cyr. Rund vier Jahre später, Ende Dezember 2013, reichte er dort seine erste Masterarbeit ein.
Das Dokument, das der „Welt“ vorliegt, ist rund 140 Seiten lang und trägt den Titel: „Politischer Wandel und Subversionsstrategie“. Gegliedert ist die Arbeit in drei Kapitel und mehrere Unterkapitel: Etwa „Diasporagruppen und Lobby“, „Genozid / Autogenozid“ oder „Der Niedergang von Kulturen“.
Aus dem Inhaltsverzeichnis von Franco A.s Masterarbeit
Beim französischen Schulkommandeur, Antoine Windeck, kamen wohl schnell Zweifel auf, ob es sich tatsächlich um eine wissenschaftliche Arbeit handelte. Er unterrichtete am 8. Januar 2014 den Leiter der deutschen Stabsgruppe in Frankreich über „schwere Mängel“ in der Masterarbeit.
Franco A. wurde nicht zur mündlichen Prüfung zugelassen, die Arbeit wurde als „nicht bestanden“ bewertet. Die deutliche Ansage des Franzosen: „Wenn es ein französischer Lehrgangsteilnehmer wäre, würden wir ihn ablösen.“
Noch am selben Tag telefonierte der deutsche Kommandeur mit Franco A. und ließ sich seine Sicht der Dinge schildern. A. erklärte, er habe die Arbeit unter Zeitdruck angefertigt, er habe zudem keine „wissenschaftliche Begleitung“ gehabt. Und: Er habe keinerlei extremistische Gesinnung.
Unabhängiger Historiker überprüft Franco A.s Masterarbeit
Seine Vorgesetzten beauftragten dennoch am 15. Januar 2014 einen unabhängigen Historiker (Fachgebiet Militärgeschichte und Sozialwissenschaften) mit einem Gutachten zu Franco A.s Masterarbeit. Nur drei Tage später war der Fachmann fertig und meldete seinen Befund an die Bundeswehr.
„Um das Ergebnis vorwegzunehmen“, heißt es in der Vorbemerkung des Gutachtens. „Bei dem Text handelt es sich nach Art und Inhalt nachweislich nicht um eine akademische Qualifikationsarbeit, sondern um ein radikalnationalistischen, rassistischen Appell, den der Verfasser mit einigem Aufwand auf eine pseudo-wissenschaftliche Art zu unterfüttern sucht.“
Franco A. habe seine Arbeit offensichtlich „in Unkenntnis der mittlerweile jahrzehntelangen Historischen Nationalismusforschung“ geschrieben, so der Historiker. „In manchen Teilen liest sich der Text wie eine Gebrauchsanweisung für rassistische Propaganda“.
Immer wieder greife der Autor „explizit auf rassistisches Vokabular“ zurück, schwadroniere über „sein ganz eigenes Verständnis von „Volk“ und „Nation“ und von „biologistischer Metaphorik“. A. ziehe dabei „die bekannte rassistische Deutungsfigur der Gene“ und den „kruden Geodeterminismus“ heran.
Masterarbeit warnt vor „Durchmischung der Rassen“
Der Oberleutnant beschreibe „Diasporagruppen“ als Gefahr für die jeweilige Umgebungsgesellschaft, „da sie niemals Teil eines Volkes sein könnten“. Und diesem sogar Schaden zufügen. Die US-amerikanische Gesellschaft etwa sei lange Zeit von der jüdischen und armenischen Diaspora „ausgebeutet“ worden.
An einigen Stellen seiner Masterarbeit warnt Franco A. zudem vor einer „Durchmischung der Rassen“ oder „Mischehen“. Die Mehrheitsgesellschaft könne kein Interesse an der Verbreitung der Menschenrechte haben, die A. als „infektiösen Charakter“ beschreibt. Nur Minderheiten seien an Menschenrechten interessiert.
A. verweise in seiner Arbeit kaum auf wissenschaftliche Quellen, kritisiert der Gutachter. Wenn überhaupt, dann würde fragwürdige Literatur auftauchen, etwa vom umstrittenen Sozialpsychologen Gustave Le Bon.
Verfasser verfügt über lange Liste von Feindbildern
„Die Liste der Feindbilder des Verfassers ist ebenso bunt wie lang“, heißt es in dem Gutachten weiter. „Medien und Presseagenturen, Think Tanks, NGOs und Popmusik“. Selbst das Erasmus-Programm für Studenten werde von A. als vermeintlicher Beleg für eine „absichtsvoll betriebene innereuropäische Vermischung“ von „jungen, fruchtbaren Menschen“, angeführt, die ihre Zeit mit „einem ausschweifenden Leben“ verbringen.
In der Emanzipation der Frau „sieht der Verfasser eine Gefährdung der Familie und damit ebenfalls eine gezielt herbeigeführte Schwächung des Volkes“, notierte der Gutachter. Durch gezielte Einwanderung, so heißt es auf Seite 102 der Masterarbeit, sei zudem ein „Genozid der Völker in Westeuropa“ im Gange. Franco A. nennt es gar „Autogenozid“.
Wie ein roter Faden ziehe sich der Gedanke der „Abwehr fremder Einflüsse“ durch das Manuskript, gemeint sei nichts anderes als ein „Rassenkampf“. Es bestünde wohl kein Zweifel daran, schreibt der Gutachter, „dass es in den Augen des Oberleutnants für die Anwendung von Gewalt nur den einen Rechtfertigungsgrund gibt: den Schutz der eigenen Identität und des eigenen Volkes gegen ‚ausländische Elemente‘“.
Gutachten warnt vor Gefährlichkeit des Autors
Das Fazit des Gutachters ist eindeutig und alarmierend: „Der als Masterarbeit zu begutachtende Text ist deshalb keine geschichts- und politikwissenschaftliche Abhandlung zum politischen Wandel (…), sondern ein Aufruf dazu, einen politischen Wandel herbeizuführen, der die gegebenen Verhältnisse an das vermeintliche Naturgesetz der rassistischen Reinheit anpasst.“
Offensichtlich hege Franco A. eine rassistische Denkweise, wie sie für radikalnationalistische Milieus typisch sei. Die Angst vor Überfremdung in Verbindung mit der „Verunsicherung durch Globalisierung, wie sie beim Verfasser immer wieder durchscheint“, sei durchaus anschlussfähig, warnt der Historiker. „Diese Anschlussfähigkeit macht seine Gefährlichkeit aus“.
Ein Offizier der Bundeswehr legt eine Masterarbeit mit nachweislich rechtsextremistischem Inhalt vor. Für den Gutachter ein Weckruf – der eigentlich nicht ohne Folgen bleiben dürfte. „Es würde mich sehr interessieren, welche Konsequenzen es hat“, schrieb der Historiker an die Bundeswehr.
Nur eine Verwarnung, MAD nicht informiert
Das Gutachten sorgte zwar dafür, dass sich der Wehrdisziplinaranwalt (DWA), der für Vergehen von Soldaten zuständig ist, zumindest kurzzeitig mit Franco A. beschäftigte. Tiefergehende Konsequenzen als eine reine Verwarnung hatte das völkisch-nationalistische Dokument allerdings nicht. Der Militärische Abschirmdienst (MAD), der für die Bekämpfung von extremistischen Bestrebungen innerhalb der Bundeswehr zuständig ist, wurde über Franco A. nicht informiert.
Zwei Mal, am 22. und am 27. Januar 2014, wurde der Oberleutnant bundeswehrintern zu seiner Arbeit befragt. Er beteuerte dabei weder rechtsextrem noch rassistisch zu sein. A. gab an, die kritisierte Abhandlung unter Zeitdruck in drei Monaten geschrieben zu haben. Eine wissenschaftliche Begleitung habe es außerdem nicht gegeben. Zum „essayistischen“ Stil der Arbeit sei er durch das Buch eines französischen Professors ermutigt worden.
Die Ausreden und vermeintlichen Erklärungen zeigten offensichtlich Wirkung. „Nach Kenntnisnahme von der Person des Soldaten habe ich den Eindruck gewonnen, dass es sich bei der vorgelegten Masterarbeit um eine wissenschaftliche Schlechtleistung handelt“, heißt es in einem Schreiben des Wehrdisziplinaranwalts vom 27. Januar 2014, das der „Welt“ vorliegt.
Es deute „alles darauf hin, dass der Soldat angesichts der ihm unzweifelhaft zugeschriebenen hohen Intellektualität ein Opfer seiner eigenen intellektuellen Fähigkeit in der Darstellung geworden ist“. Und weiter: „Aufgrund des gewonnen Persönlichkeitsbildes sind Zweifel an der erforderlichen Einstellung zur Werteordnung nicht nur nicht belegbar, sondern auszuschließen.“ Das disziplinarische Vorermittlungsverfahren werde daher „eingestellt“.
Franco A. bekam lediglich eine Verwarnung. Er schrieb eine neue Masterarbeit. Diesmal mit Erfolg. Am 22. Juli 2014 erhielt er seinen Abschluss in Staats- und Sozialwissenschaften an der Saint-Cyr. Ein Jahr später, am 09. Juli 2015, wurde er zum Berufssoldaten ernannt.
https://www.welt.de/politik/deutschland/article164193275/Die-voelkisch-rassistische-Masterarbeit-des-Franco-A.html