Die Schweizerische Nationalbank verfügt über ein riesiges Aktienportefeuille. Erst seit kurzem übt sie die damit verbundenen Stimmrechte aus. Nach welchen Kriterien dies erfolgt, bleibt offen.
Eine unkonventionelle Geldpolitik hat unkonventionelle Herausforderungen zur Folge. Das spürt auch die Schweizerische Nationalbank (SNB). Seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 hat sich ihre Bilanzsumme rund versechsfacht. Bereits ist die Bilanz ähnlich gross wie die Wertschöpfung der Schweiz in einem Jahr. Verantwortlich für die Aufblähung sind die Devisenkäufe, mit denen die Erstarkung des Frankens zu parieren versucht wird. Die riesigenDevisenanlagen von derzeit 595 Mrd. Fr. müssen indes angelegt werden. Knapp 120 Mrd. Fr. davon – ein hoher Anteil für eine Zentralbank – fliessen in Aktien. Damit ist die SNB nicht nur ein gewichtiger Mitbesitzer diverser Unternehmen; sie hat bei diesen Firmen aufgrund ihrer Stimmrechte auch ein gewichtiges Wort mitzureden.
Richtlinien unter Verschluss
Diese Mitsprache ist ein relativ junges Phänomen. Erst 2004 wurden die rechtlichen Grundlagen geschaffen, um Anlagen in Unternehmensanleihen oder Aktien tätigen zu können. Bei den im gleichen Jahr verabschiedeten Anlagerichtlinien werden dabei enge Grenzen definiert für Aktienbeteiligungen. So sind nur Aktien zugelassen, die Bestandteil massgebender Aktienindizes und börsenkotiert sind. Die SNB betreibt zudem keine Titelselektion, sondern bewirtschaftet die Aktien passiv, indem Indizes nachgebildet werden. Zur Vermeidung von Interessenkonflikten wird ferner auf Aktien von Banken verzichtet. Als Tabu gelten auch Investitionen in Unternehmen, «die international geächtete Waffen produzieren, grundlegende Menschenrechte massiv verletzen oder systematisch gravierende Umweltschäden verursachen».
Ein Jahrzehnt lang baute die SNB ihr Aktienportefeuille aus, ohne die damit verbundenen Stimmrechte auszuüben. Erst 2015 nahm man diese Rechte erstmals wahr. Nach welchen Kriterien dies geschieht, ist unklar. Zwar hat die SNB entsprechende Richtlinien erarbeitet, auf deren Basis die Traktanden einer Aktionärsversammlung von einem externen Spezialisten überprüft und Stimmempfehlungen abgegeben werden. Auf Anfrage erklärt die SNB jedoch, weder die Richtlinien noch die Stimmabgaben zu veröffentlichen. Mitgeteilt wird nur, dass man sich bei der Stimmabgabe vorerst auf mittel- und grosskapitalisierte Unternehmen aus dem Euro-Raum konzentriere, um Erfahrungen zu sammeln. Zudem beschränke man sich auf Aspekte der Corporate Governance.
Was das genau impliziert, bleibt offen. Laut Auskunft der SNB werden in den eigenen Richtlinien jedoch Standards definiert, die für eine Zustimmung erfüllt sein müssen. Dabei reisen selbstverständlich nicht Mitarbeiter der SNB an Generalversammlungen irgendwo im europäischen Ausland. Angesichts der Vielzahl an Titeln arbeitet man vielmehr mit externen (und namentlich nicht genannten) Gesellschaften zusammen. Immerhin umfasst das Aktienportfolio lautjüngstem Geschäftsbericht schon rund 6700 Einzeltitel. Diese verteilen sich auf zirka 1500 Aktien von mittel- und grosskapitalisierten Unternehmen und 4400 Titel kleinkapitalisierter Firmen aus Industrieländern. Hinzu kommen etwa 800 Titel von Unternehmen aus Schwellenländern – eine Region, in der man erst seit 2015 Aktien erwirbt.
Apple-Paket von 1,4 Mrd. $
Was sind die Gründe, weshalb die SNB, die jahrelang auf ihr Stimmrecht verzichtete, nun bei Aktienbeteiligungen mitredet? Seitens der SNB wird betont, man beabsichtige keinesfalls, strategische Geschäftsentscheide zu beeinflussen. Jedoch seien die Aktieninvestitionen im Zug der angestrebten Diversifizierung der massiv gestiegenen Devisenanlagen in den vergangenen Jahren stark gestiegen, womit man zu einer «nicht unbedeutenden Anteilseignerin» bei verschiedenen Firmen geworden sei. (Ein Beispiel zur Veranschaulichung: Bei Apple besass die SNB per Ende März lautAngaben der amerikanischen Securities and Exchange Commissionüber 14 Mio. Aktien im Wert von knapp 1,4 Mrd. $.) Zudem sei es heute international üblich, dass grosse Aktionäre ihre Stimmrechte im Bereich guter Unternehmensführung ausübten.
Das Umdenken der SNB kommt bei internationalen Stimmrechtsberatern gut an. Die Notenbanken müssten mit gutem Beispiel vorangehen und sich ihrer treuhänderischen Verantwortung stellen, meint beispielsweise Alexander Juschus von Glass Lewis. Auch Vincent Kaufmann, Direktor der Genfer Anlagestiftung Ethos, begrüsst das Engagement und betont, dass man als Aktionär auch Pflichten wahrzunehmen habe. Das gelte für die SNB, die das Geld der Schweiz verwalte, in besonderem Mass. Kaufmann vergleicht den Aktienkauf mit dem Erwerb eines Hauses, bei dem man sich in der Folge auch um den Unterhalt kümmern müsse. Die Ausübung des Stimmrechts gehöre zur Verantwortung eines Aktionärs – erst recht für einen Grossinvestor wie die SNB.
Auf Kritik stösst bei Kaufmann indes die Tatsache, dass die SNB ihre Richtlinien zur Ausübung der Stimmrechte unter Verschluss hält. Die Verwaltung des Schweizer Geldes gehe mit einer grossen Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit einher. Das Publikum habe ein Anrecht darauf, zu erfahren, auf welche Weise die Währungshüter ihr Mitspracherecht bei den Aktienbeteiligungen wahrnähmen. Kaufmann verweist auf den Staatsfonds Norwegens, der die Erdöleinnahmen im Namen der Bevölkerung investiert, um für die Zeit ohne üppige Erdölreserven vorzusorgen. Der Fonds lege nicht nur seine Richtlinien offen, er informiere auch darüber, wie bei den Aktionärsversammlungen abgestimmt werde. Eine solche Transparenz müsse auch die SNB liefern, fordert Kaufmann.
Abseits der reinen Geldpolitik
Zwar ist Norwegens Staatsfonds, der auf reales Vermögen in Form von Erdöl zurückgreifen kann, nur begrenzt vergleichbar mit Schweizer Devisenreserven, die auf einer blossen Geldmengenausdehnung basieren und keine realen Werte schaffen. Dennoch, der Druck auf die SNB, ihre Richtlinien zur Stimmrechtsausübung und ihre Lesart von «guter Unternehmensführung» offenzulegen, wird eher zu- als abnehmen. Erstens ist mit Blick auf die weltwirtschaftlichen Rahmendaten keine baldige Verkleinerung der Devisenanlagen und Aktienbeteiligungen zu erwarten. Zweitens prüft die SNB laut eigenen Angaben eine Ausweitung der Stimmrechtsausübung auf Gebiete ausserhalb des Euro-Raums. Angesichts ihrer riesigen Bilanz sieht sich die SNB in wachsendem Mass mit Aufgaben konfrontiert, die mit Geldpolitik im engeren Sinn nur noch wenig zu tun haben.
http://www.nzz.ch/wirtschaft/wirtschaftspolitik/ausuebung-von-stimmrechten-die-snb-redet-mit-ld.18443