Wackelpudding. Man hatte fast so etwas befürchtet. Eine Castingshow für mollige Models, und das auf RTL II, konnte das denn gut gehen? „Curvy models“ statt halb verhungerte Hühner. Eine als TV-Sendung verpackte Kampfansage an ein Schönheitsideal, das sich eher an der Barbie-Puppe als an die deutsche Durchschnittsfrau anlehnt, die mit Konfektionsgröße 42 schon leer ausgeht bei Modeketten wie Zara.

Nun, es ging nicht gut. Fragen Sie Sina-Laureen, 1,74 Meter, Konfektionsgröße 42. Die 23-Jährige war eine von 5000 Frauen, die sich für diese neue Sendung beworben hatten. Eine platinblonde Schönheit, die in einem pinkfarbenen Bikini zur Schau trug, was die einen Speck und die anderen Hüftgold nennen. „Geile Kurven“ oder „Wackelpudding“, wie Sina-Laureen ihre Figur nennt. Eine Frau, wie sie RTL II nach eigenem Bekunden sucht. Eigentlich. Stolz, sinnlich und selbstbewusst.

So jedenfalls reiste sie an. Ob sie so auch wieder abreiste, darf jedoch bezweifelt werden. Denn die Jury erstickte ihre Hoffnung auf eine Modelkarriere im Keim. Sie müsse dringend daran arbeiten, dass ihr Gewebe fester werde, monierte Model-Agent Ted Linow. „Auch ein Curvy Model soll nicht aussehen wie Wackelpeter.“

Was ist sexy? Und was einfach nur zu dick?

Wo mollig draufsteht, suggeriert die Jury, ist eben nicht immer sexy drin. Es gibt gewisse Standards, die auch proppere Models erfüllen müssen. Statt 90-60-90 sollten sie idealerweise die Maße 120-80-120 mitbringen, sagt Ted Linow, der mit seiner Mega-Model-Agency Supermodels wie Tatjana Patitz oder Toni Garrn entdeckt hat. Also die Figur einer Sanduhr. Eine gute Haut, ein rundes Gesicht und ein Ego, groß genug, um Anfeindungen zu trotzen. Denn anders als in den USA steht „curvy“ hierzulande nicht für kurvig, sondern für fett. Und entsprechend schwer dürfte es diese neue Show haben.

Wann sind überflüssige Pfunde noch sexy? Und wann senkt der Zuschauer den Blick, weil – nun ja – der Vergleich mit Wackelpudding eben doch nicht ganz von der Hand zu weisen ist? Weil man sich unangenehm an Abspeckshows wie „The Biggest Loser“ erinnert fühlt, die genau diesen Moment der Fremdscham als Stilmittel einsetzen, um die Couch-Potatoes vor dem Schirm in der Illusion zu wiegen, sooo dick wie die Kandidaten seien sie ja nun auch wieder nicht. Auf diesem schmalen Grat balancierte die neue RTL-II-Show in der ersten Folge.

Hatte man etwas anderes erwartet? So ist das doch immer beim Auftakt. Es gilt, die Spreu vom Weizen zu trennen. Wackelkandidatinnen werden da nicht nur geduldet, sie sind sogar ausdrücklich erwünscht.

Gekuschelt wird hier genauso wenig wie bei Heidi Klum

Doch was sind das für Frauen, die sich auf dieses ungewisse Abenteuer mit einem Sender einlassen, der dafür bekannt ist, dass er weibliche Rollenklischees in Sendungen wie „Frauentausch“ oder „Teenie-Mütter“ zementiert ?

Viel ist es nicht, was man in dieser lieblos zusammengeschnittenen Schüttel-deinen-Speck-Olympiade über sie erfährt. Die„Curvy Models“ sind etwas älter als die klapperdürren Kleiderständer, die ProSieben ins Bootcamp zu „Germany’s Next Topmodel“ schickt. Das Einstiegsalter liegt zwischen 17 und 25 Jahren.

Das Spektrum reicht von der Tänzerin Lara, 17, die trotzig versichert, sie habe gar keinen Bock, so dünn zu sein wie die Hungerhaken, die sonst in Modelshows auftreten, bis zur Vollzeitmama Alisa, die ihren Körper unter einer vorzeltförmigen Bluse in Größe 48 versteckt. „Ein bisschen hausfräulich“, urteilt Ted Linow naserümpfend.

Aber hey, so viel Selbstbewusstsein muss man erst mal besitzen, sich im Fernsehen auf so einen Laufsteg zu trauen. Denn in der Heimat der Du-darfst-Margarine ist es mit den Plus-Size-Models ein bisschen wie mit Bauch-weg-Schlüppern. Viele sind froh, dass es sie gibt. Aber keiner würde zugeben, dass er sie selber trägt.

Größe 38 ist nicht „curvy“ genug

Dieses Unbehagen kann den Kandidatinnen keiner nehmen. Es wird auch nicht weniger davon, dass die Juroren gebetsmühlenartig versichern, hier werde keine neue Campbell gesucht, hier gehe es um die Revolution eines Schönheitsideals. Im Gegenteil. Damit werden die Frauen erst recht stigmatisiert.

Dass in der Jury neben dem Model-Agenten Ted Linow, dem Modemacher Harald Glööckler und der Tänzerin Motsi Mabuse („Let’s Dance“) auch das weltweit gebuchte Plus-Size-Model Angelina Kirsch, 28, sitzt, vermag daran nichts zu ändern. Denn die Auslese der Kandidatinnen ist genauso gnadenlos und willkürlich wie bei „Germany’s Next Top Model“. Und ihren Gesetzen kann sich auch diese Vorzeige-Jurorin nicht widersetzen.

Ist es nicht eigentlich überhaupt paradox, dass eine normalgewichtige Frau mit der Konfektionsgröße 42/44 wie ein zweiköpfiges Kalb im Modelzirkus vorgeführt wird? Und muss man nicht von einer besonders perfiden Form der Diskriminierung sprechen, wenn Harald Glööckler die schlankste Kandidatinnen nicht zulassen will? Ein Mann, dessen Silhouette und Gestus immer mehr in Richtung Spätbarock tendiert. „38 ist nicht curvy“, rief der selbst ernannte „Robin Hood der kräftigeren Damen“.

Auch ein Wackelpudding ist schön

Die Show folgt den Gesetzen des Marktes. Mode-Labels haben längst erkannt, dass die Size-Zero-Models nicht repräsentativ für die deutsche Durchschnittsfrau sind. Was schön ist und was nicht, das bestimmen nicht mehr die Modezaren in London, New York oder Paris. Es sind Selfmade-Stars wie die Reality-TV-Ikone Kim Kardashian, die auf Instagram neue Maßstäbe setzt, mit 1,59 Meter und 65 Kilo und über 84 Millionen Followern.

Eine Castingshow für Mollige ist vor diesem Hintergrund genauso überflüssig wie eine Castingshow für Magersüchtige. Frauen nach XS, S, M, L oder XL zu sortieren, das ist gleichermaßen menschenverachtend. Welches Schönheitsideal will RTL II denn damit revolutionieren?

Schönheit liegt ja immer noch im Auge des Betrachters. Und manchmal ist es eben ein Wackelpudding.

https://www.welt.de/vermischtes/article158573577/Die-Schuettel-deinen-Speck-Olympiade-ist-eroeffnet.html