Es war nach Mitternacht, als die Polizei schließlich doch ins Schanzenviertel einrückte. Unterstützt von drei seit Stunden über dem Stadtteil dröhnenden Hubschraubern. Von Wasserwerfern und Räumfahrzeugen. Mehrere Hundertschaften der Polizei sowie Sondereinsatzkommandos rückten in Richtung der „Roten Flora“ vor und beendeten damit endlich einen Zustand der Anarchie wie ihn Hamburg, wie ihn auch dieser an aus-dem-Ruder-laufenden-Demonstrationen und Krawallen nicht eben arme Stadtteil noch nicht erlebt hatte.
Stundenlang hatte sich in der „Schanze“ zuvor eine fast schon absurde Mischung aus Happening und Bürgerkrieg abgespielt. Während teilweise sehr professionell organisierte Grüppchen von schwarz Vermummten Feuer legten, in Geschäfte einbrachen, dann wieder Steine aus dem Asphalt der Straße „Schulterblatt“ gruben, um sie anschließend auf Polizisten zu werfen, feierten in den Nebenstraßen tausende vorwiegend junger Menschen als wäre das hier einfach nur eine sehr, sehr laue Sommernacht.
Dabei spielten sich gleich um die Ecke Szenen ab, die einem das Blut in den Adern gefrieren ließen. So versuchte eine dreiköpfige, schwarz vermummte Gruppe in das Geschäft eines Apple-Vertragshändlers in der Schanzenstraße einzudringen, in dem es die Verbundglasscheiben attackierte. Ein Passant, der das Treiben sah und die Täter im Vorbeigehen kurz kritisierte, wurde von den Angreifern umgehend zusammengeschlagen. Umstehende alarmierten zwei Sanitäter, die sich dann fast schon rührend um den Mann kümmerten. Die Täter blieben unerkannt.
Die Flammen schossen meterhoch. Böller explodierten
Nur ein paar Meter weiter zertrümmerte ein etwas größerer Trupp Gewalttäter die Scheiben eines winzigen Ladens, der noch nicht einmal über eine Auslage verfügte. Nur Anti-Nazi-Aufkleber und die Notiz des Betreibers, das er erst am Sonnabend wieder öffnen wolle, waren zu erkennen. Trotzdem wurde das Geschäft sehr gezielt angegriffen. Anschließend tauchten die Täter wieder in der Menge unter.
In der Straße „Schulterblatt“ wurden mittlerweile eine Filiale des Hamburger Traditionsdrogisten „Budnikowsky“ und ein Rewe-Supermarkt geplündert. Besondere Freude bereitete es den Tätern Kisten mit Sprühdosen in ein vor dem „Budni“ angezündetes Feuer zu werfen. Die Flammen schossen bei den Explosionen meterhoch. Böller explodierten. Zwischendurch wurden auch schon mal Feuerwerksbatterien abgeschossen.
Ebenfalls im Schulterblatt versuchten Vermummte unter einer Bahnbrücke eine Barrikade zu errichten und zündeten auch sie an. Danach wurden auf die dahinter postierten Polizisten Steine geworfen, die zuvor aus dem Pflaster vor der „Roten Flora“ gebrochen worden waren. Am anderen Ende des Schulterblatts brannten ebenfalls Barrikaden. Dort kletterten vermummte Gestalten ein eingerüstetes Haus empor und bewarfen die auf dem Pferdemarkt postierten Polizeieinheiten ebenfalls mit Flaschen und Gegenständen. Die Polizei berichtete, dass sie von dort auch aus Zwillen beschossen worden sei. „Hier ist Krieg“, fluchte ein Beamter.
Dennoch schritten seine Kollegen stundenlang nicht ein. Ein Abwarten, das Polizeisprecher Timo Zill im Gespräch mit dem Sender N24 damit begründete, dass man zunächst Kräfte habe sammeln müssen. Die brachte dann nach Angaben eines „Bild“-Reporters das erstmals eingesetzte neue Sicherheitsfahrzeug der Polizei, der „Survivor“, zum Schanzenviertel. Man habe, so Zill, zudem auf die Sicherheit der eingesetzten Beamten achten müssen. So seien Gehwegplatten auf Dächer gebracht und Molotow-Cocktails vorbereitet worden.
Nach dem Vorrücken der Polizei flüchteten zahlreiche Gewalttäter offenbar aus dem Stadtteil. Aus den umliegenden Gegenden wurden daraufhin ebenfalls Plünderungen, unter anderem eines Bio-Marktes gemeldet. Aus dem Schanzenviertel wurde gegen zwei Uhr am Morgen erstmals weitgehende Ruhe gemeldet.
In Hamburg begann unterdessen die politische Debatte über die aus dem Ruder gelaufenen Demonstrationen gegen den G-20-Gipfel. Während sich der Erste Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) am Freitag vorerst nur „besorgt“ und „bedrückt“ über die Krawalle und ihre Folgen geäußert hatte, distanzierten sich die mitregierenden Grünen von dem Treffen der 20 Staats- und Regierungschefs in Hamburg.
Die drei Grünen-Senatoren Katharina Fegebank, Jens Kerstan und Till Steffen erklärten via Facebook, dass der G-20-Gipfel so groß sei, „dass er selbst in eine Großstadt wie Hamburg nicht mehr passt“. Die Lehre von Hamburg müsse sein: „Speckt G20 ab!“