Was ist die Philosophie, die Stephen Bannon und seinen Präsidenten Donald Trump beflügelt? Eigentlich ist es keine Philosophie, sondern ein Mythos – und der geht so: Die richtigen Amerikaner leben im Herzland der Vereinigten Staaten. Sie arbeiten hart und lieben ihre Heimat von ganzem Herzen, sind aber im vergangenen Jahrzehnt furchtbar um die Früchte ihrer Arbeit betrogen worden.
An den Küsten Amerikas hingegen leben die unechten Amerikaner – Leute, die überall und nirgendwo zu Hause sind; wurzellose Kosmopoliten, die keine Ahnung haben, was echte Arbeit, echte Mühe und echte Entbehrung bedeutet. Sie sollen durch diese Präsidentschaft entmachtet werden. Und die richtigen Amerikanern sollen sich durch Mauern, Schutzzölle und scharfes Vorgehen gegen Einwanderer endlich wieder zu Hause fühlen.
Natürlich ist das kein amerikanischer Mythos. Im Kern handelt es sich um ein russisches Märchen, das sich bei jedem slawophilen Ideologen nachlesen lässt: in der Scholle verwurzelte, gläubige russische Bauern und ihr heißgeliebter Zar gegen liberale, verwestlichte Eliten.
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Bei der diesjährigen Oscar-Verleihung in Hollywood konnte man dann allerdings das Gegenprogramm zum russischen Bannon-Trump-Mythos studieren: Kunst kennt keine Grenzen. Wir lieben die Freiheit, wir lieben kulturelle und ethnische Vielfalt. Einwanderer sind herzlich willkommen. Mauern sind eine schlechte Idee.
In Abwandlungen sagte das ein Preisträger nach dem anderen. Und natürlich kann dieses Seid-umschlungen-Millionen-Pathos leicht in Kitsch umschlagen – aber in einem historischen Moment, in dem in Amerika wirklich Bundesbeamte Jagd auf „illegale Immigranten“ machen, wirkt es plötzlich wunderbar subversiv.
Zu den Höhepunkten der diesjährigen Oscar-Verleihung gehörte es darum, als ein Brief des iranischen Regisseurs Asghar Farhadi verlesen wurde, in dem er begründete, warum er seinen Preis nicht selber entgegennehmen wolle: Er protestierte damit gegen Donald Trumps zeitweiliges Einreiseverbot gegen Leute aus sieben vorwiegend muslimischen Ländern, das mittlerweile von einem amerikanischen Gericht aufgehoben wurde.
Die diesjährige Oscar-Verleihung hatte aber auch sozusagen einen Dauerhöhepunkt – die Conference des Moderators Jimmy Kimmel. Sie war scharf, witzig und genau. Gleich am Anfang bedankte sich Kimmel ironisch beim Präsidenten, denn im vergangenen Jahr hatte es noch geheißen, die Oscar-Verleihung sei rassistisch; da jetzt ein waschechter Rassist im Weißen Haus sitzt, redet davon jetzt natürlich kein Mensch mehr.
Es sei doch großartig, so Kimmel weiter, dass alle an diesem Abend Beteiligten die Chance hätten, mit einem wütenden Tweet des Präsidenten in Großbuchstaben bedacht zu werden, den dieser wahrscheinlich um fünf Uhr in der Früh auf dem Klo verfassen werde.
Später hinterließ Kimmel live eine Nachricht auf dem Twitter-Account des Präsidenten, einen kleinen Gruß: „Na, bist du schon wach?“ Und: „Meryl sagt Hallo.“ (Die Schauspielerin Meryl Streep war von Donald Trump scharf angegriffen worden, nachdem sie ihn bei einer Rede kritisiert hatte.) Durch solchen Spott wurde Trump auf sein eigentliches, sein lächerliches Maß zurechtgestutzt – einen Moment lang konnte man beinahe vergessen, dass er allen Ernstes der mächtigste Mann der Welt ist.
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Am Ende wird tout le monde aber wohl nur über das Malheur sprechen, das ganz am Ende der Oscar-Nacht passierte: Da verlasen Warren Beatty und Faye Dunaway (die einst das Gangsterpaar Bonnie und Clyde spielten), „La La Land“ sei als der beste Film ausgezeichnet worden – doch das war ein peinlicher Fehler, in Wirklichkeit hatte „Moonlight“ den Preis gewonnen.
In Wahrheit verbarg sich aber auch in diesem Malheur eine politische Botschaft, die weit über diesen Abend hinausreicht. Denn „La La Land“ ist ein Film mit lauter weißen Darstellern, in dem viel getanzt und gesungen wird – „Moonland“ dagegen handelt davon, wie es sich anfühlte, als schwarzer Schwuler in Miami aufzuwachsen. Und die natürliche Höflichkeit, man möchte beinahe schreiben: Grazie, mit der das Team von „La La Land“ den Oscar an die schwarzen Kollegen weitergab, nachdem das Missverständnis aufgeklärt war, erwärmte das Herz. Denn eine solche Noblesse hat man vom amtierenden Präsidenten noch nie erlebt.
So wie nach diesem dummen Missgeschick sollten Amerikaner, sollten Weiße und Schwarze, sollten Menschen überhaupt miteinander umgehen – das war die Botschaft, die Hollywood hier aussandte. Trumps Wähler werden sich davon freilich nicht beeindrucken lassen. Sie glauben vorerst weiter an den schönen russischen Mythos von den erdverwurzelten Bauern und ihrem wunderbaren Zaren.
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https://www.welt.de/kultur/kino/article162410493/Die-herzerwaermende-Geste-nach-einer-nie-dagewesenen-Panne.html