Selten gab es solch ein Hin und Her um einen Jahresbericht der Bundespolizei. Eigentlich wollten Innenminister Thomas de Maizière(CDU) und Polizeipräsident Dieter Romann das Papier bereits im Juli vorstellen. Dann im September. Jetzt gar nicht mehr. Ein Auftritt vor der Bundespressekonferenz wurde abgesagt. Aus dem Ministerium verlautet, dass es merkwürdig aussähe, erst jetzt eine Bilanz für 2015 vorzulegen.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Romann eine schärfere Flüchtlingspolitik will als die Bundesregierung. Denn die Zahlen des Berichtes, der der „Welt“ vorliegt, sind alarmierend: Die Bundespolizei, die für den Schutz von Bahnhöfen, Flughäfen und der Grenzen zuständig ist, hat im vergangenen Jahr insgesamt 436.387 Straftaten registriert. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht das einem Anstieg von 31,6 Prozent.
Dafür gibt es vor allem zwei Gründe. Die Diebstahlsdelikte sind um 11,9 Prozent auf 57.146 Fälle gestiegen. Damit bestätigt sich der Trend hin zu massenhaft verübten Alltagsdelikten. Die größte Zunahme aber wurde mit 151,6 Prozent bei den Straftaten gegen das Aufenthalts-, Asylverfahrens- und Freizügigkeitsgesetz der EU verzeichnet. Insgesamt sind das 171.477 Fälle.
Der Großteil der Diebstahlsdelikte wird auf Bahnhöfen und in Zügen verübt. Allein dort zählte die Bundespolizei 44.800 Fälle, das ist ein Viertel mehr als im Vorjahr. Kriminalisten zufolge gehören viele Täter zu gut organisierten Banden, die oft aus Südosteuropa stammen und äußerst professionell agieren.
Die Bahn installiert verstärkt Videotechnik
So werden immer mehr Bahnreisende von Taschendieben angegriffen. Ermittler berichten, dass die Kriminellen in Gruppen von jeweils drei bis sechs Personen vorgehen. Sie halten Ausschau nach Opfern, die etwa ein Portemonnaie in der Hosentasche haben oder eine offene Handtasche. Ein Täter beobachtet das Umfeld, ein anderer lenkt das Opfer ab, der Dritte greift zu und reicht die Beute sofort an Komplizen weiter. Beim Taschendiebstahl gab es einen Zuwachs um 5,1 Prozent auf 19.296 Fälle.
Um gegenzusteuern, installiert die Bahn inzwischen verstärkt moderne Videotechnik. Das hat geholfen, deutlich mehr Delikte, nämlich 1536 (Vorjahr: 959), aufzuklären. Betrachtet man aber die Gesamtzahl, kommen die Beamten nur einem kleinen Teil der Diebe auf die Spur. Schon lange bemängeln die Polizeigewerkschaften, dass zu wenige Ermittler in Zivil eingesetzt werden.
Polizeichef Romann und seine rund 40.000 Mitarbeiter sind aber vermehrt in Sachen Terrorabwehr im Einsatz. Romann spricht von zahlreichen anderen „Baustellen“: Die Sicherung des G-7-Gipfels im bayerischen Elmau, Terrorwarnungen, die Absage des Fußballländerspiels in Hannover oder die Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof. „Die gesamte Bundespolizei ist nicht mehr aus den Stiefeln herausgekommen“, seufzt Romann. Angesichts so vieler Großereignisse und -einsätze sei 2015 ein ganz besonderes Jahr gewesen.
Syrer auf Platz eins bei unerlaubter Einreise
Nicht zuletzt habe die „Migrationskrise“ (Romann) die Bundespolizei in Atem gehalten. Sie stellte insgesamt 865.374 Asylsuchende bei der unerlaubten Einreise fest. Der Tag mit der höchsten Zahl war demnach der 12. September. An diesem Tag kamen rund 14.000 Asylsuchende nach Deutschland. Anfang September hatte Kanzlerin Angela Merkel das Signal gegeben, Migranten aus Ungarn einreisen zu lassen.
Den Schwerpunkt der unerlaubten Einreisen bildete die deutsch-österreichische Grenze mit einem Anteil von mehr als 81 Prozent. Über die Flughäfen kamen lediglich fünf Prozent und über die Grenze zur Tschechischen Republik vier Prozent aller illegal Eingereisten.
Den ersten Platz bei den unerlaubten Einreisen belegen laut dem Jahresbericht die Syrer. Exakt 73.920 stellte die Bundespolizei fest, damit hat sich die Zahl mehr als vervierfacht (2014 waren es noch 14.389). Hohe Zahlen gab es auch bei Afghanen (mit 38.750 illegalen Einreisen) und Irakern (22.394). Sie weisen laut den Polizeiangaben die höchsten Steigerungsraten auf.
Der Schwerpunkt der Einreisewege verlagerte sich dem Bericht zufolge im Laufe des vergangenen Jahres von der zentral-mediterranen Route von Nordafrika nach Italien auf die ost-mediterrane Route über die Türkei nach Griechenland. Auf der ersten Route wurden im Schnitt 421 Menschen pro Tag gezählt, auf der zweiten Route 2413.
„Vollzugsdefizit bei Abschiebungen“
Bei der Schleuserkriminalität wurde ein Anstieg um 56,8 Prozent erfasst. Insgesamt nahm die Bundespolizei 3370 Schleuser fest. Die meisten stammen aus Syrien (390), Rumänien (370) und Ungarn (362). Innenminister de Maizière hat angekündigt, dass er im Kampf gegen Schlepperbanden verstärkt verdeckte Ermittler einsetzen will.
Im Kapitel zur Migration beklagt der Jahresbericht ein erhebliches „Vollzugsdefizit“ bei Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber von Deutschland zurück in ihre Heimatländer. „Im Vergleich zu der Entwicklung bei den unerlaubten Einreisen bzw. der Asylantragstellung bleibt die Steigerungsrate bei den Rückführungen deutlich zurück“, heißt es im Bericht.
Gleichwohl erhöhte sich die Zahl der Rückführungen von 13.851 auf 22.369. Der Großteil der Menschen wurde mit Flugzeugen abgeschoben, meist in die Balkanstaaten Albanien, Kosovo, Mazedonien und Serbien. Die Flüge starteten hauptsächlich von Düsseldorf, Frankfurt am Main und München. Das bedeutete einen erheblichen Aufwand, denn zur Begleitung wurden 5774 Polizisten eingesetzt. Zwar sind Abschiebungen Sache der Bundesländer, diese aber werden von Romanns Beamten koordiniert.