Großbritannien wird erst im März 2019 aus der EU austreten – aber schon jetzt wird das Fell verteilt. Beim EU-Gipfel am Donnerstag wird ein heftiges Gezerre um die Brexit-Beute erwartet. Es geht um den künftigen Sitz von zwei lukrativen EU-Agenturen, die bisher in London angesiedelt waren. Es ist ein Kampf um Geld, Jobs und Ehre. Von europäischer Solidarität keine Spur – alle kämpfen gegen alle und jeder für sich allein.

Nahezu jede EU-Regierung will die europäische Arzneimittelagentur EMA oder die Bankenaufsicht EBA ins eigene Land holen. „Wir arbeiten seit Monaten mit allen Mitteln daran und haben eine Topbewerbung bei EU-Ratspräsident Tusk abgegeben. Es geht um sehr viel für mein Land“, sagte eine osteuropäische Diplomatin. Am Ende wird es viele Verlierer geben, die mit leeren Händen dastehen – darunter dürfte auch Deutschland sein.

Allein für den Sitz der Arzneimittelagentur mit 890 Beschäftigten haben sich 17 EU-Länder beworben. Bei der Bankenaufsicht mit derzeit 189 Mitarbeitern gibt es vorläufig fünf offizielle Bewerbungen. Aber es können noch mehr werden. Anmeldeschluss: 31. Juli. Einige Länder, wie Deutschland und Irland, haben bereits beide Agenturen gefordert. Reine Taktik, um am Ende wenigstens eine lukrative Behörde zu bekommen? Mitnichten.

Die Bundesregierung „kämpft für beide Agenturen“, twitterte Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU). Bonn (EMA) und Frankfurt (EBA) sollen die Standorte sein. Deutschland habe „gute Bewerbungen abgegeben mit Städten, die exzellente Voraussetzungen bieten“, erklärte Michael Roth (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt.

May geht das Ganze „nichts mehr an“

Warum dieses Gerangel mitten in der schwersten Krise seit Bestehen der EU? Wer gewinnt, kann einen Prestigeerfolg verbuchen, der sich Wählern gut verkaufen lässt als Beweis für die eigene Stärke in Europa. Aber es geht noch um viel mehr. Die beiden Agenturen bieten rund 1000 Topjobs für hoch bezahlte Beamte mit ihren Familien – das stärkt die Kaufkraft in der jeweiligen Stadt. Außerdem richten EMA und EBA zahlreiche Konferenzen mit Experten aus aller Welt aus. Zuletzt sorgten beide Agenturen in London für rund 39.000 zusätzliche Hotelübernachtungen pro Jahr.

Gegen 23.30 Uhr, direkt nach dem Abendessen, in der Nacht vom Donnerstag auf Freitag, kommt der Tagesordnungspunkt „EU-Agenturen“ beim Treffen der Staats- und Regierungschefs auf den Tisch. Londons Regierungschefin Theresa May muss die Runde dafür verlassen. „Es geht sie nichts mehr an“, sagte ein Diplomat.

Allen Beteiligten ist klar: Es reicht nicht, wie Spanien Hochglanzbewerbungen abzugeben, die mit dem architektonisch herausragenden Torre Glories in Barcelona, der über 34 Stockwerke verfügt, werben. Am Ende sind die Regeln des Auswahlverfahrens mindestens genauso wichtig für den Erfolg eines Landes. Und darüber wird jetzt beim EU-Gipfel gestritten. Einig ist man sich nur in einem Punkt: Die Kosten des Umzugs müssen selbstverständlich die Briten bezahlen.

„Oberste Priorität ist, den bestmöglichen Deal sicherzustellen“

In der sogenannten Queen’s Speech hat Elizabeth II. das Programm der konservativen Regierung für die nächsten zwei Jahre verlesen. Zentrales Thema dabei: Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union.

Quelle: N24/ Eybe Ahlers

„Wie beim Eurovision Song Contest“, beschrieben EU-Kreise das Auswahlverfahren. In der ersten Runde hat jedes Land sechs Punkte: drei für den bevorzugten Standort, zwei für den zweitbesten und einen für den drittbesten. Bekommt kein Land von mindestens 14 Ländern drei Punkte, gibt es eine zweite Runde mit je drei bestplatzierten. Dann hat jedes Land nur noch eine Stimme.

Die Deutschen, Italiener, Spanier, Portugiesen und Schweden befürchten, dass diese Prozedur für sie zu einem schlechten Ergebnis führen könnte, weil sie in der ersten Runde wegen des großen Bewerberfeldes nicht häufig genug drei Punkte erhalten. Einige dieser Länder fordern eine sogenannte Shortlist, aufgestellt womöglich von der EU-Kommission. Da wollen aber die Osteuropäer nicht mitspielen. Sie erwarten, dass sich dann vor allem die großen Staaten durchsetzen.

Länder wie die Slowakei betonen, dass sie bisher keine europäische Behörde hätten und die Zeit reif sei für eine Agentur in der Hauptstadt Bratislava. Aber solche Argumente zählen bei diesem Kampf der vereinigten europäischen Egoisten nicht. Wer hat, will noch mehr. Und wer wieder leer ausgeht, hat eben Pech gehabt.

Dass Deutschland, wo bereits die Europäische Zentralbank zu Hause ist, gleich zwei neue Agenturen fordert, empfinden viele kleinere und mittlere Länder als „Unverschämtheit“, ein Diplomat sprach sogar von „Größenwahn“. Die Chancen für Bonn und Frankfurt stehen darum schlecht. Die Entscheidung fällt im Oktober.

https://www.welt.de/politik/deutschland/article165806424/Deutschland-droht-bei-Brexit-Beute-leer-auszugehen.html