Die Welt: Herr Scheuer, Sie waren beim CDU-Parteitag Gast, was war Ihr Eindruck?

Andreas Scheuer: Ich freue mich, dass die CDU wichtige Entscheidungen getroffen hat, die auf einen gemeinsamen Weg der Union hinführen. Richtungweisend ist das Papier von Thomas Strobl, das Verbesserungen bei der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber fordert, aber auch das Nein zum Doppelpass ist eine klare Positionierung. Ich bin auch froh, dass sich Angela Merkel gegen die Vollverschleierung gewandt hat. Das waren klare Aussagen und Entwicklungen, die aus Sicht der CSU in die richtige Richtung gehen.

Die Welt: Angela Merkel hat in ihrer Rede ständig davon geredet, wie die Politik und die Welt eigentlich sein müssten. Ist das die „Orientierung“, die die CDU in ihrem Leitantrag verspricht?

Scheuer: Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Rede auch Selbstkritik geübt, das fand ich gut. Sie hat die weltweiten Entwicklungen treffend beschrieben und eingeordnet. Im harten Wahlkampf werden wir den Bürgern konkrete Antworten geben müssen, wie wir Deutschland in die Zukunft führen wollen.

Die Welt: Hätten Sie dem Leitantrag zustimmen können?

Scheuer: Maßgebliche Punkte sind mit der Position der CSU absolut deckungsgleich. An einigen Punkten haben wir stärker Klartext formuliert, und natürlich vermissen wir weiterhin ein glasklares Bekenntnis zur Begrenzung der Zuwanderung. Stichwort: Obergrenze.

Die Welt: Gibt sich die CDU einer Illusion hin, wenn sie glaubt, die Flüchtlingspolitik würde den Wahlkampf nicht mehr prägen?

Scheuer: Die Spätfolgen der massenhaften Zuwanderung werden uns weiter beschäftigen. Es gibt nach wie vor weltweit Kriege und Krisen. Das zeigt, dass wir gut vorbereitet sein müssen auf mögliche nächste Wanderungswellen. Es braucht doch nur kleinste Auslöser, dass sich wieder Hunderttausende in Bewegung setzen. Die Lage bleibt fragil. Das Thema ad acta zu legen oder auch nur zu glauben, dass es für ewig abklingen könnte, wäre ein Riesenfehler. Sonst gibt es für das gemeinsam jetzt schon Erreichte sowie das von der CDU und der Kanzlerin gegebene Versprechen, dass sich ein Jahr wie 2015 nicht mehr wiederholen wird, keine Garantie. Und die wollen wir geben.

Die Welt: Die Junge Union hat sich gegen den Doppelpass für in Deutschland geborene Kinder von Ausländern ausgesprochen. Ist die Entscheidung richtig? Immerhin hat sie auch die CSU in den Koalitionsverhandlungen mitgetragen?

Scheuer: Die Entscheidung des CDU-Parteitags ist vollkommen richtig. Die Kompromisslinie, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, entstand unter ganz anderen Voraussetzungen als heute. Da hatten wir noch keine massenhafte Zuwanderung von Menschen, von denen viele wohl auch Bleibeperspektive haben. Wir hatten auch noch keine türkische Innenpolitik auf deutschem Boden. Die Demonstrationen türkischstämmiger Bürger in Deutschland für Erdogan hat die ablehnende Haltung der CSU zum Doppelpass noch einmal bestätigt.

Der Doppelpass muss die absolute Ausnahme bleiben und darf nicht der Regelfall sein. Wir müssen eine ungeteilte Loyalität durch ein eindeutiges Bekenntnis zu unserer Staatsbürgerschaft einfordern. Wir können nicht mit Verweis auf den Koalitionsvertrag achselzuckend sagen: Wir bleiben jetzt halt dabei. Wir müssen die Regelung den neuen Umständen anpassen.

Die Welt: Angela Merkel hat aber gesagt: Es bleibt bei der jetzigen Regelung.

Scheuer: Mir ist klar, dass unser Koalitionspartner SPD sich gegen eine Änderung ausspricht. Aber ich interpretiere das Votum des CDU-Parteitags schon so, dass die Union mit einem Nein zum Doppelpass und für ein Bekenntnis zur deutschen Staatsbürgerschaft in den Wahlkampf ziehen sollte.

Die Welt: In Essen riefen Redner in Richtung München, die CSU solle die Angriffe auf die Kanzlerin sein lassen. Ist es nun genug?

Scheuer: Wir wollen den gemeinsamen Erfolg. Dafür machen wir unsere Grundpositionen klar. Auch in den nächsten Monaten. Wir werden die Unterschiede aushalten. Die Unterschiede untereinander, vor allem aber zum politischen Gegner.

Die Welt: Angela Merkel benennt den politischen Gegner fast nie. Braucht es mehr Auseinandersetzung?

Scheuer: Das ist Grundvoraussetzung für Wahlkampf. Wir müssen die Themen aufgreifen, die die Bürger bewegen. Und wir müssen bereit sein, in den Kampfmodus zu gehen und uns auch mal das Trikot schmutzig machen. Weniger Brettspiel im Büro, mehr Zweikampf vor dem Tor.

Die Welt: Horst Seehofer hat kurz vor dem Parteitag die Vorstellung eines Papiers zur Flüchtlingspolitik abgesagt, war das ein Friedensangebot an die CDU?

Scheuer: Es gab zwei Aspekte, die für Horst Seehofer so wichtig waren, dass er sie noch aufgreifen wollte. Da ist zum einen der Aspekt Sicherheit. Nach dem Mord an der Studentin in Freiburg, für den ein Flüchtling aus Afghanistan verantwortlich gemacht wird, stellen sich neue Fragen. Zum anderen geht es darum, wie Zigtausende abgelehnte Asylbewerber mit einer besseren Verwaltungspraxis in ihre Heimat zurückgeführt werden können.

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer beobachtet am Dienstag in Abwesenheit seines Parteichefs Horst Seehofer als Gast den 29. Bundesparteitag der CDU in Essen
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer beobachtet am Dienstag in Abwesenheit seines Parteichefs Horst Seehofer als Gast den 29. Bundesparteitag der CDU in Essen

Quelle: dpa

Die Welt: Sollte der Bund den Ländern die Kompetenz bei der Abschiebung wegnehmen?

Scheuer: Wir sind dagegen, die Kompetenz vollends an den Bund zu verlagern. Aber es muss Eingriffsmöglichkeiten des Bundes geben, um die Lage zu verbessern. Es kann nicht sein, dass zum Beispiel das rot-rot-grün regierte Berlin offen Rechtsbruch begeht und Abschiebungen einfach aussetzt. So wird Berlin unter Rot-Rot-Grün zum Mekka für Asylmissbrauch.

Da muss der Bund die Möglichkeit haben einzugreifen. Die Abschiebung ist eine nationale Kraftanstrengung. Als solche müssen wir sie auch rechtlich ausgestalten. Den Leuten ist es nämlich vollkommen egal, wer zuständig ist. Die Umsetzung ist entscheidend.

Die Welt: Nach dem Mord von Freiburg haben wir erneut eine Debatte über das Frauenbild der Flüchtlinge. Wie muss man diese führen?

Scheuer: Wir müssen aufpassen, dass wir keine einzelne Personengruppe oder die Angehörigen einer bestimmten Nationalität unter Generalverdacht stellen. Allerdings ist es falsch, die Probleme, die innerhalb von Gruppen auftreten, nicht beim Namen zu nennen. Nur wer anerkennt, dass es kulturelle Prägungen gibt, etwa ein Frauenbild, das nicht unserem Bild der Gleichberechtigung und des gegenseitigen Respekts entspricht, der kann gezielt dagegen vorgehen. Das ist dann auch im Interesse jener, die sich nichts zuschulden kommen lassen.

Politik und Medien tragen hier eine sehr hohe Verantwortung. Sie müssen diejenigen schützen, die das Gastrecht nicht missbrauchen und gute Gäste sind. Auf der anderen Seite dürfen sie aber nicht aus falsch verstandener Rücksichtnahme diejenigen decken, die sich nicht an Recht und Gesetz halten. Damit sind Asylbewerber ebenso gemeint wie Einheimische. Es gibt immer mehr Rohheitsdelikte, die Zahlen sind da leider eindeutig, damit müssen wir uns ehrlich beschäftigen. Sonst verliert die Bevölkerung das Vertrauen in den Staat.

Die Welt: Die ARD-„Tagesschau“ hat über die Tat von Freiburg nicht berichtet. Haben Sie dafür Verständnis?

Scheuer: Nein, es war ein schwerer Fehler, zunächst nicht darüber zu berichten. Ich höre leider immer öfter, dass viele Menschen dem, was sie in den Abendnachrichten hören, nicht mehr trauen. Das ist eine dramatische Entwicklung, die unsere Demokratie insgesamt bedroht. Das beitragsfinanzierte Fernsehen muss seine Glaubwürdigkeit unbedingt bewahren. Sonst hat es seinen Zweck verwirkt.

Die Demokratie braucht glaubwürdige Medien – gerade in Zeiten von Social Media, wo auch schnell viele unseriöse Informationen kursieren. Beim Münchner Amoklaufhieß es bei Twitter und Co., Hunderte Terroristen wären unterwegs. Das hat die Menschen vollkommen verunsichert, beinahe eine Hysterie ausgelöst. Es braucht deshalb Medien, die Vermutungen Einhalt gebieten, indem sie aber auch klar die manchmal unangenehmen Wahrheiten benennen.

Die Welt: Der Pressekodex besagt, die Herkunft von Tätern eigentlich nicht zu nennen. Sollte man dies ändern?

Scheuer: Der Pressekodex sagt, die Herkunft sei zu nennen, wenn zur Tat ein begründeter Sachbezug besteht. Ich finde, das war gerade nach der Silvesternacht von Köln und auch in Freiburg der Fall, und die meisten Medien haben das durchaus auch so gesehen. Seit es soziale Medien gibt, lässt sich ohnehin nichts mehr zurückhalten. Um Fakten und Unwahrheiten zu trennen, müssen seriöse Medien heute alle bekannten Fakten veröffentlichen, um damit auch wilden Spekulationen Einhalt zu gebieten. Ich finde: Die Herkunft der Täter und Opfer muss grundsätzlich genannt werden.

Die Welt: Mit Asylpolitik allein wird sich kein Wahlkampf bestreiten lassen. Wo braucht es klare Botschaften?

Scheuer: Wir müssen Antworten für alle Lebensbereiche geben: Wie wollen wir Deutschland wirtschaftlich in der Erfolgsspur halten? Wie wollen wir die Rente zukunftsfest machen? Wie wollen wir die Digitalisierung der Arbeitswelt gestalten? Wie wollen wir die Bürger steuerlich entlasten? Die Grundsätze von Unionspolitik erarbeiten wir in den nächsten Wochen bis zur gemeinsamen Präsidiumssitzung von CDU und CSU im Februar. Zum Schluss muss ein Zukunftskonzept aus einem Guss stehen.

Die Welt: Die CDU will mit dem Bekenntnis gegen Steuererhöhungen als Wahlkampfschlager punkten. Das hat doch schon 2013 nicht verfangen.

Scheuer: Da widerspreche ich: Das war schon 2013 ein Markenkern der Union, und damals haben CDU und CSU fast die absolute Mehrheit der Sitze im Bundestag erreicht. Jetzt, in Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen, gilt: Wir wollen den Bürgern mehr von ihrem hart erarbeiteten Einkommen lassen.

Die CSU will mit einem konkreten Konzept in den Wahlkampf gehen, das kleine und mittlere Einkommen steuerlich entlastet. Wir wollen den Soli abschaffen. Und wir wollen Erleichterungen für den Mittelstand und die Gründerszene. Dieses Konzept stellen wir gegen die Steuererhöhungstirade der Linksfront aus SPD, Linkspartei und Grünen.

Die Welt: Können Sie schon garantieren, dass es ein gemeinsames Wahlprogramm geben wird?

Scheuer: Wir haben jetzt die Parteitage von CDU und CSU gehabt. Im Februar ist die gemeinsame Sitzung, und bis dahin gibt es harte, konzentrierte Arbeit.

https://www.welt.de/politik/deutschland/article160129524/Berlin-wird-das-Mekka-fuer-Asylmissbrauch.html