Bundesrat und Ständerat sind dem Druck der Kasino-Lobby erlegen und haben ein ebenso protektionistisches wie kontraproduktives Gesetz verabschiedet. Der Nationalrat kann nun korrigieren.
Selten hat eine Branche erfolgreicher lobbyiert. Und selten ist ein fragwürdigeres Gesetz herausgekommen. Die Schweizer Kasinos haben bei der Erarbeitung des Geldspielgesetzes und bei dessen Beratung im Erstrat ganze Arbeit geleistet. Während die Bundesverwaltung von einem «sorgfältig austarierten Kompromiss» spricht, war Justizministerin Sommaruga im Juni im Ständerat ehrlicher. «Die Kasinos haben sich hier durchgesetzt», sagte sie auf die Frage von Andrea Caroni (Appenzell Ausserrhoden, fdp.), warum künftig nur bestehende Kasinos in der Schweiz legal Online-Glücksspiele sollen anbieten dürfen.
Das neue Gesetz soll aus Sicht des Bundesrates zwei Ziele erfüllen. Zum einen soll ein grosser Teil der Spielerträge (online wie offline) wie bisher der AHV und gemeinnützigen Zwecken zugutekommen. Zum anderen soll dem Schutz vor Spielsucht Rechnung getragen und ein «sicherer und transparenter Spielbetrieb» gewährleistet werden. Illegale Online-Angebote würden mittels sogenannter Netzsperren blockiert.
Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf werden allerdings beide Ziele nicht erreicht. Das Anbieten von Online-Spielen ist gemäss geltendem Recht nicht erlaubt. Das hindert viele Spieler jedoch nicht daran, via ausländische Anbieter online zu spielen. Die Spieler selber machen sich dabei nicht strafbar. Wer online Poker spielt, der wird auch künftig bei seinem präferierten Anbieter spielen, wo er sich weltweit mit anderen Spielern messen kann. Das allfällige künftige Angebot eines Schweizer Kasinos wird er oder sie dankend links liegen lassen. Die Netzsperre zu umgehen, ist dabei kein grosser Aufwand.
Wachsender Schwarzmarkt
Die Erfahrungen im Ausland zeigen denn auch: Dort, wo protektionistische Gesetze in Kraft sind, floriert der Schwarzmarkt. In Frankreich etwa, wo Online-Spiele offiziell verboten sind, beträgt deren Anteil bei Glücksspielen mehr als 50 Prozent. In Deutschland hat sich der Markt für Online-Kasinos trotz einem Totalverbot innerhalb von zwei Jahren verdoppelt. Der Schweizer Gesetzesentwurf lehnt sich eng an das belgische Modell an. Doch auch dort sind die Erfahrungen wenig berauschend. Wirtschaftlich sind die Online-Angebote für die belgischen Kasino-Betreiber unattraktiv; einige überlegen sich bereits, wieder aus dem Geschäft auszusteigen. Das zeigt, dass die Spieler trotz Netzsperren vor allem bei den grossen internationalen Anbietern spielen. Die EU hat gegen Belgien zudem ein Vertragsverletzungsverfahren angestrengt, weil die Dienstleistungsfreiheit zu stark eingeschränkt wird. Davon ist in der bundesrätlichen Botschaft keine Rede.
Ebenfalls nicht erwähnt wird in der Botschaft das Modell Dänemarks. Dort können sich ausländische Anbieter um Lizenzen bewerben. Sie liefern entsprechend Steuern ab und müssen sich an die gesetzlich definierten Regeln halten. Der Schwarzmarktanteil beträgt in Dänemark gemäss der dortigen Aufsichtsbehörde gerade einmal fünf Prozent. Dänemark kennt zudem wie die Schweiz das staatliche Lotteriemonopol.
«Eingriff in die Grundrechte»
Auch der Bundesrat hatte ursprünglich nicht ausgeschlossen, dass ausländische Anbieter sich um Lizenzen bewerben können. Die Vorteile liegen auf der Hand: Der Markt, der sich auf geschätzte 750 Millionen Franken beläuft, würde hohe Steuereinnahmen und Abgaben generieren. Geld, das beim nun gewählten Modell zum Grossteil im Schwarzmarkt versickert. Doch unter dem Druck der Kasino-Betreiber, die bei der Erarbeitung der Vorlage stark involviert waren, knickten Bundesrat und Verwaltung ein.
Die gewählte Lösung kollidiert nicht nur mit der verfassungsmässig garantierten Wirtschaftsfreiheit. Auch die Netzsperren stellen gemäss einem neuen Gutachten der Universität Zürich «einen problematischen Eingriff in die Grundrechte» dar (siehe Zusatztext). Zudem steht das Gesetz absehbar in Konflikt mit einem allfälligen Dienstleistungsabkommen mit der EU.
Der Ständerat störte sich allerdings nicht an all diesen Punkten und winkte das Gesetz mit 41 zu 0 Stimmen bei einer Enthaltung durch. Der Nationalrat hat nun die Chance, korrigierend einzugreifen. Seine Rechtskommission wird sich am Donnerstag mit dem Gesetz beschäftigen.
Gutachten: «Unwirksame Netzsperren»
flj. Bern ⋅ Um den Zugang zu illegalen Angeboten zu verhindern, sollen die Internetprovider verpflichtet werden können, den Zugriff auf bestimmte Inhalte zu verhindern. Solche Netzsperren sind höchst umstritten, zumal sie gemäss Experten äusserst leicht zu umgehen sind. Zu diesem Schluss kommt nun auch ein Gutachten des Rechtswissenschaftlichen Instituts der Universität Zürich. «Netzsperren können ohne grossen Aufwand und mit bescheidenem technischem Wissen umgangen werden», schreiben die Gutachter und erwähnen als Beispiel etwa die Nutzung eines virtuellen privaten Netzwerks (VPN). Damit seien Sperren auch für technisch wenig versierte Nutzer «faktisch unwirksam».
Gerade Personen, die von Spielsucht betroffen seien, würden sich von dem kleinen Aufwand nicht abhalten lassen. Die Wirksamkeit der Massnahme sei im Hinblick auf deren Verhältnismässigkeit entscheidend, so die Autoren des Gutachtens weiter. Mit Blick auf den beschränkten Nutzen und die damit verbundenen Eingriffe in die Grundrechte (persönliche Freiheit der Nutzer, Wirtschaftsfreiheit der Anbieter und der Internetprovider) erscheine die Einführung von Netzsperren «problematisch».
Dazu könne die Glaubwürdigkeit der Rechtsordnung Schaden nehmen, wenn sie sich «weitgehend untauglicher Mittel» bediene. Letztlich müsse dies jedoch der Gesetzgeber entscheiden.
http://www.nzz.ch/schweiz/aktuelle-themen/neues-geldspielgesetz-der-protektionismus-feiert-urstaend-ld.121333